Kapitel 18: Aus dem gleichen Holz (5)

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Pia


Ich hatte in meinem ganzen Leben nicht ein einziges Mal Yoga gemacht- und damit hatte ich etwas mit Lukas gemein. Was Yoga anging hatte ich eine Menge Vorurteile im Kopf und ziemlich wenig echte Ahnung, weswegen Lukas und ich beide über Kriegerposen, Kindhaltungen und vermeintliche Leberentgiftungsdrehungen herzogen. Weder er noch ich nahmen unser eigenes Geläster für voll, aber es tat gut, einfach herzhaft über Dinge zu lachen, die uns immer schon etwas merkwürdig vorgekommen waren.

„Ich finde, du solltest mal eine Probestunde machen.", sagte ich und nippte zufrieden an meinem Bier. „Einmal testen, ob an diesem Sport nicht doch mehr dran ist als unsere Vorurteile. Und wenn du es für gut befindest, dann versuche ich auch mal mein Glück."

„Wahrscheinlich hole ich mir dabei einen Bänderriss.", mutmaßte Lukas mit einem schrägen Lächeln. „Mit meiner verkürzten Läufermuskulatur kriege ich gerade so die Fingerspitzen auf den Boden. Aber ja, falls nichts kaputt geht, sage ich dir Bescheid."

„Als so unflexibel hätte ich dich gar nicht eingeschätzt", stichelte ich übermütig und verschluckte mich an meinen eigenen Worten, hustete und hoffte, dass Lukas sich nicht fragen würde, in welchem Zusammenhang ich mir Gedanken über seine Beweglichkeit gemacht hatte. Was ich nicht hatte. Aber der Gedanke war jetzt eben mit einem Schlag in meinem Kopf, präsent, laut und vermutlich weithin sichtbar. Zumindest spürte ich, dass mein Gesicht glühte und ich widerstand nur mühsam der Versuchung, schnell das Thema zu wechseln.

„Bin faul beim Dehnen.", erklärte er mit einem Schulterzucken. „Auf dem Pferd bin ich kaum noch und wenn ich mal zum Klettern komme, dann..."

Ich hörte mit halbem Ohr weiter zu, während ich mit Erleichterung registrierte, dass ihn meine Einschätzung offensichtlich so gar nicht berührte. Zu einer Antwort kam ich auch nicht mehr, denn Kim hatte sich angeschlichen, fiel Lukas von hinten um den Hals und beschwerte sich, während sie ihm fast die Luft abdrückte, bitterlich darüber, dass er die Familienpassion nicht ausreichend würdigte.

„Familienpassion.", ächzte er unter ihrem Klammergriff. „Du bist diejenige, die sich beruflich umorientiert."

Sie erstickte seinen Protest im wahrsten Sinne des Wortes und ich schielte auf ihre um seine Schultern geschlungenen Arme und ihr Kinn auf seinem Kopf. Es war unübersehbar, dass das Verhältnis der beiden im Laufe der letzten Jahre eine Wandlung mitgemacht hatte. Damals, als sie und ich und Paul zu dritt den Stall unsicher gemacht hatten, hatten die beiden selten mehr als drei Sätze am Stück miteinander gesprochen, zumindest in Pauls und meiner Gegenwart. Er war halt ihr Bruder gewesen, meistens weg und irgendwie nicht aus unserer Welt. Jetzt schien sie fast an ihm festgewachsen und ich konnte nicht anders, als sofort anzunehmen, dass Kim ihren Beziehungsstress bei ihm ablud, wenn ich gerade nicht greifbar war und ich hätte darauf wetten mögen, dass er ihr mit seinem Trennungsstress auch in den Ohren gelegen hatte. Vermutlich wusste Kim ziemlich genau, was zwischen ihm und seiner Freundin passiert war- auch, wenn sie vor Paul und mir immer so tat, als hätte sie keine rechte Ahnung, was da eigentlich schiefgegangen war. Jedenfalls- und dafür hätte ich mich kneifen mögen- fragte ich mich, wie ich sie am besten danach fragen könnte. Als ob ich in letzter Zeit nicht genug Mist verzapft hätte. Als ob gerade Kims Bruder eine gute Idee wäre. Aber es änderte nichts daran, dass ich, während ich auf Kims Umklammerung starrte, registrierte, dass Lukas' Pullover gerade eng genug war, um mir seiner Oberarme bewusst zu werden und gerade weit genug, um meiner Fantasie zu viel Raum zu geben. Ich beglückwünschte mich selbstironisch zu der Erkenntnis, dass Lukas Arme und Schultern hatte und fragte mich im Stillen bitter, warum mein Hirn so schlecht verdrahtet war, dass es bei ausnahmslos allen Männern, die eine schlechte Idee waren, grundlos Enthusiasmus auslöste.

„Und? Bist du jetzt doch froh, dass ich dich noch überzeugen konnte?", hörte ich Kim neben mir Lukas leise fragen, der stumm lachte.

„Nachdem du angeboten hast zu fahren, sowieso."

„Hm..." Kim seufzte und ich nahm aus dem Augenwinkel war, wie sie entspannt lächelnd ihr Kinn von seinem Kopf nahm. „Ich weiß jetzt, was Paul mir schenkt.", flüsterte sie, gerade laut genug, dass Lukas und ich es hören konnten. „Silvester auf Amrum." Sie hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, da glänzten ihre Augen schon feucht. Sie war gerührt, hin und weg- und Paul hatte damit erreicht, was er wollte. Er hatte sich quasi eine einzige romantische Highlight-Show für die beiden ausgedacht. Wattwandern, Sauna, Feuerwerk- und irgendwo da wollte er die magischen drei Worte einstreuen. Für ihn konnte der Moment nicht groß genug sein und er hatte mich schon vor Tagen angerufen, um seinen Plan mit mir zu besprechen und sicherzugehen, dass er ihr bloß nicht weniger als den perfekten Urlaub mit der perfekten Liebeserklärung bot. Alleine der Gedanke, dass sie diesen Moment nicht als überwältigend großartig und unvergesslich abspeichern könnte, machte ihm Stress und ich hätte ihn dafür schütteln mögen. Denn so sehr, wie er ihr zeigen wollte, dass sie die Eine und Besondere war, so verrückt machte Kim sich längst, weil sie bisher kein simples „Ich liebe dich" gehört hatte.

„Weiß ich längst.", sagte Lukas neben mir belustigt. „Hat Julian mir ganz stolz erzählt. Wenn Paul so weitermacht, wird er noch der Schwiegersohn der Herzen."

Kim gab einen frustrierten Laut von sich. „Wusste eigentlich wirklich jeder schon vor mir davon?"

„Pauli musste sich bei jedem vergewissern, dass er dich nicht zu sehr enttäuscht, also ja.", bestätigte ich äußerlich ungerührt und mit einem Augenzwinkern, während ich versuchte, unbemerkt den Neid herunterzuschlucken. Kim bekam mal wieder die Welt zu Füßen gelegt, während ich für einen Typen mal wieder nichts als eine willkommene, unkomplizierte Abwechslung gewesen war. Wenn ich mich mit Neid auf Kim nicht so gut ausgekannt hätte, dann hätte ich vermutlich zweimal schlucken müssen. Aber so war das vertraut und ein bisschen wie früher. Kim war die EM geritten, während es für mich nicht für den Preis der Besten gereicht hatte. Kim hatte gemeckert, weil ihre Eltern ihr Großpferd für ihren Geschmack zu oft mitgeritten waren- und ich hatte von einem Großpferd nicht zu träumen gewagt. Jetzt sprach Paul eben nicht schnell genug drei Worte aus, die er längst jeden Tag für sie tanzte- und ich war halt alleine. Es war das übliche Muster. Ich war also neidisch- nicht wegen Paul, aber wegen dem, was sie für ihn war- und ich hatte weder ein Problem damit, mir das einzugestehen, noch es auszuhalten. Übung halt.

Lukas' Räuspern riss mich aus meinen Gedanken. „Vielleicht solltest du am Ende die Sache mit dem Danke sagen nicht vergessen, Kimmi.", sagte er und schielte zu ihr hoch, während sie ihn mit einem beleidigten Schnaufen losließ und sich aufrichtete.

„Was glaubst du eigentlich von mir?"

Er hob abwehrend die Hände. „Ich meine ja nur. Die Geste ist groß, sehr groß."

„Das habe ich gemerkt, Lukas!", zischte sie und knuffte ihm unsanft gegen die Schulter. „Wie groß ist eigentlich die Geste, seiner Ex-Freundin persönlich frohe Weihnachten zu wünschen? Hast du dafür ein Danke bekommen?"

Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Zunge, während Lukas neben mir die Augen schloss und den Kopf schüttelte. Ob wegen der Erinnerung oder wegen Kims Talent, ungewollt und unnötig hart auszuteilen, blieb mir ein Rätsel.

„Woher...?", setzte er an.

„Mama und Papa verstummen nicht jedes Mal schlagartig, wenn ich an ihnen vorbeigehe." Kim verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust und sah ihn neugierig an, während es nicht offensichtlicher hätte sein können, dass Lukas seine Zähne eigentlich nicht voneinander lösen wollte. 


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Ich habe Kimmi  ja schon sehr vermisst. Ihr auch?

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