Sehr langsam ging ich Schritt für Schritt über den Rasen und Sinas Blick flog schon in meine Richtung, bevor ich in den Lichtschein der Außenbeleuchtung erreicht hatte.
„Wollte gerade losfahren.", sagte ich und zog die Schultern hoch, um ihr meine Enthauptung wenigstens schwerer zu machen. Sie presste wütend die Lippen aufeinander und verschränkte bei meinem Anblick ihre Arme vor der Brust.
„Packe dein Fahrrad in den Kofferraum, Lukas.", befahl sie ohne Umschweife und in einem so harschen Ton, dass ich mir jede Erklärung sparte und stumm mein Fahrrad aufschloss, das an der Hauswand lehnte.
„Lukas hat mir beim Aufräumen geholfen", warf Inga kleinlaut ein, während Sina immer noch vor der Haustür stand. Wegen der Kälte stieß sie mit jedem Atemzug kleine Dampfwölkchen aus und ich beeilte mich, mein Fahrrad zum Auto zu tragen und zu verstauen. Ich wollte nicht, dass der Wutanfall vor Ingas Augen passierte. Ich wollte das wenigstens hinauszögern, bis die Autotüren zu waren.
„Lieb von ihm.", entgegnete Sina derweil unterkühlt und ich spürte, dass ich noch viel tiefer in Schwierigkeiten steckte, als ich angenommen hatte. „Als engagierte Küchenhilfe habe ich ihn noch nicht oft erlebt."
Ich lief hinter ihrem Rücken rot an und schlug die Klappe vom Kofferraum zu. Ohne auf ein Wort von mir zu warten, drehte Sina sich auf dem Absatz um und stapfte zum Auto. „Gute Nacht, Inga.", rief sie dabei und ihre Stimme hatte kein bisschen Schärfe eingebüßt. Während ich zur Beifahrertür herüberging, sah ich zur Tür, sah auf Ink, die sichtlich unglücklich von einem Bein aufs andere trat und hob fast mutlos die Hand. Ich hatte in meinem Leben noch keinen Hausarrest gehabt und das Wort war auch seit ich bei den Feldmanns lebte noch nicht einmal gefallen, aber ich war mir trotzdem sicher, dass ich bis Ostern weggeschlossen würde. Irgendwie sowas würde garantiert passieren.
„Warte!", rief Inga just in dem Moment, als ich gerade einsteigen wollte und hastete auf Socken nach draußen, flitzte vor der Front des Autos entlang, schob meine Hand vom Türgriff weg und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ohne zu sehen, wie Sina uns anstarrte, spürte ich quasi, wie ihr Blick sich durch Ingas Oberkörper hindurch auf meine Brust brannte und ich war mir sicher, dass Inga gerade das letzte bisschen Beherrschung aus ihr herauskochte. „Wer weiß, wann ich dazu wieder komme.", wisperte sie, während sich in mir das dringende Bedürfnis aufbaute, zu Fuß nach Hause zu gehen. Sie lächelte kurz und huschte dann ohne sich umzudrehen zurück ins Haus, wo sie die Tür hinter sich zuschlug. Widerwillig machte ich die Autotür auf, stieg ein und vermied jeden Blick nach links, während ich mich anschnallte. Ich wusste, dass ich mich entschuldigen musste, aber ich wusste auch, dass ein Wort von mir das Donnerwetter todsicher auslösen würde. Also schwieg ich und starrte auf meine Hände, während Sina den Motor anließ.
„Ich sehe, du warst zu beschäftigt, um nach Hause zu kommen?", fragte sie spitz, als sie gewendet hatte und das Auto aus dem Wohngebiet manövrierte.
Ich biss mir fest auf die Lippe und schwieg, weil ich nicht wusste, was ich erwidern sollte und weil diese Bemerkung nach Ingas Kuss vor ihren Augen in meinen Ohren nach Spott klang.
„Wir haben auf dich gewartet, weißt du. Bis eben." Sie warf mir einen Seitenblick zu, dem ich gerade noch ausweichen konnte. „Julian wollte dich schon vor Stunden suchen, weil er sich sicher war, dass du angefahren im Straßengraben liegst."
„Quatsch.", murmelte ich.
„Quatsch?!" Ihre Stimme wurde sofort lauter. „Hast du mal auf dein Handy geguckt, Lukas? Ist dir mal die Idee gekommen, einen der Anrufe anzunehmen?"
Mein Handy. Ich tastete in meiner Jackentasche danach. Ich hatte es nicht mehr angefasst, nachdem ich am Abend meine Jacke an die Garderobe gehängt hatte. Weil ich tatsächlich besseres zu tun gehabt hatte. Das sprach ich nicht aus. „Habe nicht dran gedacht." Das stimmte sogar.
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Lieblingstag
Novela JuvenilInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...