Kapitel 24: In der Schwebe (7)

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Lukas


Es wurde langsam dunkel, als ich Inga zum Auto brachte und verabschiedete.

„Rufe sie an.", sagte Inga lächelnd zu mir, als sie einstieg.

„Das mache ich."

„Denke nicht zu viel nach vorher.", sagte sie mit Nachdruck.

„Inga..." Ich verdrehte die Augen, erwiderte aber ihr Lächeln. Sie meinte es wirklich gut. Inga hatte die letzte halbe Stunde damit verbracht, mir zu erzählen, ich müsse auf mein Bauchgefühl vertrauen, statt es unter Bedenken zu ersticken. Was genau mein Bauchgefühl war, hatte ich ihr nicht gesagt. Was ich über Pia und mich dachte, wollte ich nicht mit ihr bereden. Pia und ich, und da war ich mir sicher, konnte keine Zukunft haben, wenn ich Inga in die Beziehung einlud. Wenn es denn eine Beziehung geben sollte. „Lass das meine Sorge sein."

„Ich habe fast vergessen, wie stur du sein kannst." Sie seufzte tief. „Komme gut wieder nach Berlin, Lukas. Ich melde mich, wenn es was zu wissen gibt.

„Danke, Inga."

Dann sah ich ihrem Auto nach, als sie langsam über die Hofeinfahrt Richtung Straße fuhr, bevor ich Richtung Stall ging. Mein Kopf fühlte sich, wie eigentlich dauerhaft in den letzten Monaten, an, als ob die Vielzahl an Baustellen und Gedanken ihn bald zum Platzen bringen würde und ich wollte wenigstens für ein paar Minuten meine Stirn gegen Galinas Kopf legen, um den Sturm damit zur Ruhe zu zwingen.



Ich durchstöberte gerade das Regal im Rentnerstall auf der Suche nach einem Leckerli für Galina, als ich Schritte hörte und mich umdrehte.

„Hey.", sagte ich.

„Hey." Julian machte eine ruckartige Kopfbewegung, die wohl ein Nicken sein sollte. „Bist du gut hergekommen?"

„Ich stand ewig im Stau."

„Und das am Sonntagnachmittag.", murmelte er mit einem Schulterzucken, bevor er neben mir ans Regal trat und eine kleine Flasche und eine Spritze vom obersten Regalbrett nahm. Mehr Begrüßung, eine flüchtige Umarmung etwa, ließ er ausfallen. Es war offensichtlich, dass die Enttäuschung über mich auch nach einer Woche noch nicht abgeklungen war.

„Was ist das?"

„Schmerzmittel für Paula.", antwortete er knapp, während er die Spritze aufzog.

„Was ist mit ihr?", fragte ich nach, fand die Dose mit den Leckerlis und zog sie zu mir heran.

„Sie hat Arthrose, so wie die letzten Jahre auch schon." Ohne mich anzusehen, ging er zu Paulas Box und drückte der Stute die Lösung so schnell ins Maul, dass die nicht dazu kam, sein Verhalten zu hinterfragen. Sie schleckte zweimal irritiert, stieß ihn unsanft an und wandte sich erst wieder ihrem Heu zu, als Julian die Boxentür wieder verriegelte.

„Ich wusste nicht, dass sie dafür was kriegt. Die läuft sich doch sonst noch ganz gut ein, gerade im Sommer."

„Dann guckst du noch besser weg als Sina und ich.", sagte er, während er Flasche und Spritze wieder ins Regal legte. „Sie legt sich nicht mehr ab, weil sie so schlecht wieder hochkommt und beim Dösen knicken ihr schon vor Erschöpfung die Vorderbeine ein. Wenn das Schmerzmittel nicht vernünftig anschlägt, ist das jedenfalls der letzte Schub, den sie aushalten muss."

„Das ist scheiße.", sagte ich langsam und warf einen Blick in Richtung der Stute, der Sina attestierte, vielleicht nicht das talentierteste, aber dafür das krasseste Geländepferd zu sein, dass je gelebt hatte. Ich konnte das nicht beurteilen und Sina war alles andere als neutral, wenn es um ihr altes Erfolgspferd ging. Sie respektierte die Stute mehr als die meisten Menschen- und andersherum galt es genauso. Paula hatte Charakter und ihre Launen waren im Alter nicht weniger ausgeprägt als früher. So konnte sie gemeingefährlich reagieren, wenn man versuchte, ihre Ohren anzufassen, aber von Sina- und nur von Sina- ließ sie sich in der Insektenzeit Penatencreme in ihre ständig entzündeten Ohren schmieren. Im Gegenzug galten für Paula, zumindest mittlerweile, eigentlich keine Regeln mehr. Die Stute hatte Narrenfreiheit und Sina tolerierte ohne jeden Erziehungsversuch, dass Paula eine Abneigung gegen das Anbinden entwickelt hatte und im Sommer als erste auf die Wiese und auch als erste wieder in den Stall wollte. Die beiden waren oberflächlich betrachtet partnerschaftlich tolerant miteinander. Sah man genauer hin, dann besaß Paula einen Teil von Sinas Herzen, der garantiert nicht kleiner war als der, der jeweils für Kim, Felix oder mich übrig war. Ich mochte mir den Tag nicht ausmalen, an dem die Stute eingeschläfert werden musste und bisher hatte ich auch wenig Grund dazu gesehen. Paula hatte immer widerstandsfähiger als Ackerschachtelhalm gewirkt.

„Vieles ist scheiße.", erwiderte Julian und riss mich mit der Bemerkung aus meinem Gedankenfluss. „Mit einer vergebenen Frau Kinder kriegen, zum Beispiel." Bei den Worten sah er mich zum ersten Mal an dem Tag richtig an. „Ich habe Ingas Auto gesehen, als ich nach Hause gekommen bin."

„Was soll ich dazu sagen, Julian? Dass es mir leid tut? Dass ich jetzt damit leben muss? Dass ich mich nicht vor meiner Verantwortung drücken werde? Dass die Situation natürlich nicht so ist, wie ich mir das gewünscht habe?" Ärgerlich schob ich die Dose mit den Leckerchen zurück ins Regal und zuckte mit den Achseln. „Ich kann es nicht ändern. Es ist passiert. Und wenn du enttäuscht sein möchtest, dann sei enttäuscht von mir. Ich habe es verdient. Aber bevor du dich zu sehr darauf einschießt, mich oder Inga zu verurteilen, erinnerst du dich vielleicht vorher mal daran, dass wir alle sehr genau wissen, dass Kim nicht geplant war und sie scheint weder dein noch Sinas Leben dauerhaft zerstört zu haben." Als ich aus dem Stall stapfte und Galina im Vorbeigehen die Leckerchen in den Trog warf, fühlte ich eine Enttäuschung in mir, die der von Julian garantiert um nichts nachstand. 


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Frohe Ostern, ihr Lieben :)

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