Mein Blick blieb an meinem dunkelblauen Socken hängen, der auf dem Fußboden lag. Daneben lag mein Pulli und daneben Socken Nummer Zwei. Ich rutschte tiefer unter meine Decke und starrte ohne zu Blinzeln auf das Chaos auf dem Boden. Mein Handy lag direkt vorm Bett. Zwischendurch blinkte es. Ich hatte nur gesehen, dass Paul geschrieben hatte und beschlossen, seine Nachricht lieber nicht zu lesen. Er würde mich umbringen. Wobei: er würde mich wahrscheinlich eher schütteln, bis mir die Zähne ausfielen, wenn er hiervon erfuhr.
Ich fror ein, als sich Viktors Arm von hinten über meine Taille auf meinen Bauch schob und er mich an sich zog. Sein Oberkörper schmiegte sich warm an meinen und normalerweise hätte ich mit geschlossenen Augen innegehalten, diesen Moment aufgesogen wie ein Schwamm und versucht, ihn zu konservieren, denn: egal, was zwischen Viktor und mir gerade lief, nicht lief oder schieflief, ich war süchtig nach seiner Haut an meiner, seiner Wärme und dem Gefühl, dass sich einstellte, wenn er mich nur ansah. Dieses Mal allerdings fehlte irgendetwas. Das Gefühl war anders, vielleicht wie Substitutionstherapie.
„Ich habe dich vermisst, Süße.", murmelte er gegen meinen Nacken.
„Ja?", fragte ich, ohne es als Frage zu meinen.
„Ja, man." Er rutschte noch ein Stück näher an mich heran und atmete seufzend aus. „Es ist gut so, wie es gekommen ist. Im Ernst."
„Macht die Dinge einfacher, hm?", fragte ich und war mir sicher, dass er den sarkastischen Unterton nicht überhören konnte. Tat er aber. Und das war eine Kunst.
„Keiner wartet auf mich. Ich kann einfach hier bleiben." Er griff nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Ich ließ ihn gewähren, während mein Display wieder aufleuchtete. „Danke, Pia."
Ja, er bedankte sich gerade wirklich bei mir dafür, dass ich seine Beziehung beendet hatte und er nicht mehr nach Hause konnte. Zumindest tat er dankbar und vielleicht redete er sich sogar ein, wirklich erleichtert zu sein. Ich war mir jedenfalls weniger sicher als je zuvor, ob er so ganz sicher in der Realität verhaftet war. Wenn ja, dann musste er mich für debil halten- oder für vollkommen besessen von ihm. Zugegeben, ich hatte ihm Grund zu der Annahme gegeben. Ich hatte diese Schatzi- Super Vik- Pia Dreiecksgeschichte über mich ergehen lassen. Ich hatte geheult, gedroht und mir versprechen lassen, dass Schatzi Geschichte und ich die Sonne seines Universums war. Und dann hatte irgendjemand mehr als einmal die Wiederholungstaste gedrückt. Insbesondere der Teil, in dem ich geheult hatte, war ziemlich oft passiert. Öfter als der, in dem ich gedroht hatte. Und gerade wiederholte sich wohl der Teil, in dem ich ihm gesagt hatte, dass es vorbei war und er danach bei mir übernachtete. Dieses Mal allerdings riskierte er dafür nicht einmal Ärger mit Schatzi, die tatsächlich das einzig Sinnvolle getan und ihn hochkant rausgeworfen hatte. Somit war er quasi obdachlos, wenn auch weich gelandet: in meinem Bett. Er räkelte sich wohlig unter meiner Decke und in meinem abgestreiften Selbstwertgefühl und als ich Anstalten machte aufzustehen, protestierte er.
„Es ist so gemütlich."
„Das ist mein Part.", murmelte ich, wand mich aus seiner Umarmung, richtete mich auf und klaubte meine Klamotten vom Boden. Tatsächlich hatte ich das mehr als einmal gesagt, um ihm zum Bleiben zu überreden.
„Wolltest du das nicht?"
„Was?" Ich drehte ihm den Rücken zu, während ich mir meinen Pulli überzog und spürte seinen Blick auf mir ruhen.
„Mehr Gemütlichkeit?"
„Deine Freundin hat dich rausgeworfen, Vik. Sonst wärst du nicht hier." Und allein das hätte reichen sollen, mir eindeutig klar zu machen, weswegen das hier nicht den üblichen Rauschzustand vor den unausweichlichen Entzugserscheinungen bewirkte.
„Sonst würdest du mich nicht hier haben wollen. Du wolltest doch die ganze Zeit, dass ich sie verlassen muss, wenn das mit uns eine Zukunft haben soll."
„Sie hat aber dich verlassen, Vik." Müde strich ich mir die Haare zurück, bevor ich sie zu einem nachlässigen Knoten band.
„Deinetwegen, Pia." Er setzte sich auf und packte meine Schulter. „Ohne dich wären sie und ich noch zusammen, also mache jetzt kein Fass auf. Du hast deinen Willen. Du kriegst immer deinen Willen. Und sei es, in dem du Bilder von uns beiden an Lioba schickst." Es war das erste Mal, seit er bei mir an der Tür geklingelt hatte, dass die Wut deutlich durchschimmerte. „Du weißt schon, wie du kriegst, was du willst. Du bist schlau. Du hast das schon durchdacht."
Ich schwieg, während ich meine Zähne so fest aufeinanderpresste, dass ich ihr leises Knirschen in meinem Ohr hörte und darüber nachdachte, ob es vielleicht Lioba war, die mit einem Mal zwischen uns fehlte. Vielleicht hatte sie uns auf dem perfekten Abstand gehalten, auf der perfekten Distanz, irgendwo zwischen besessenem Vermissen, Angst und Erleichterung.
Er verdrehte die Augen, als ich nichts erwiderte und schüttelte den Kopf. „Gott, Pia. Rege dich ab. Ich gehe nicht zurück zu Lio und ich will auch nicht zurück zu Lio. Es ist gut so. Und wir können endlich die Dinge zwischen uns in Ordnung bringen. Ich kann hier übernachten, sooft wie ich möchte. Niemand macht Stress, niemand hegt irgendeinen Verdacht- es wird noch so viel besser werden jetzt." Er rüttelte so fest an meiner Schulter, dass ich unwillkürlich nickte. „Ich kann dich meinen Eltern vorstellen."
Das war der Satz, der meine Zähne voneinander löste und mir ein Lachen abverlangte. Ein echtes Lachen, herausgekitzelt von dieser Absurdität, die er da von sich gab. „Und erzählst du denen dann, dass du Lio mit mir betrogen hast und von ihrem Bett in mein Bett umgezogen bist? Oder fügst du eine Anstandspause von zwei Monaten ein?"
„Schwingst du jetzt die Moralkeule?", fuhr er mich an, während seine Ohren anfingen, rot zu glühen. „DU? Du hast das mit uns doch angefangen. Und du hast doch auch nicht aufgehört, als du von Lio erfahren hast, oder? Vielleicht solltest du mal checken, wie es wirklich um deine moralische Überlegenheit bestellt ist, Pia. Sonst machst du dich nur lächerlich."
Ich schwieg und er schnaubte abfällig.
„Ich bin vielleicht fremdgegangen, aber du hast Lio nicht weniger betrogen als ich. Sonst hättest du es lange vorher beendet. Denke mal darüber nach."
„Ich kenne Lio kaum. Das kannst du nicht vergleichen.", wehrte ich mich.
„Das tue ich aber. Du kannst nicht alleine sein. Du kannst alleine nicht einschlafen. Du brauchst mich. Du liebst mich. Wen rufst du an, wenn es deiner Großmutter schlecht geht? Mich! Und jedes Mal hast du Lio dabei genauso betrogen wie ich. Also gib deine Opferrolle auf, die steht dir nicht. Das bist du nicht. Lio heult gerade nicht nur meinetwegen."
„Du hast mir immer wieder versprochen, dass du es beendest! Sonst hätte ich das nie so lange mitgemacht!"
„Und ich wollte, aber ich konnte nie. Ich..."
Der Kreislauf fing an. Er war wütend, ich war wütend. Er verletzte mich, ich schlug verbal zurück. Er brüllte, ich heulte. Er tröstete mich. Und am Ende lagen wir Nase an Nase im Bett. Die Haut auf meinen Wangen war klebrig von meinen Tränen, aber mir war warm, innerlich warm, weil er da war.
„Ich liebe dich, Pia. Ich verspreche es dir." Er küsste mich auf meinen Mundwinkel, auf meine Wangen, auf meine Stirn, bevor er mit den Fingerspitzen die Konturen meiner Wangenknochen nachstrich. „Das weißt du, oder?"
„Ich weiß."
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Ich sage dazu: "Ach man, Pia..."
Und ihr?

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Lieblingstag
Teen FictionInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...