Kapitel 5: Von Neuanfängen und Wachstumsschmerzen (6)

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Als ich Julian dabei half, die Teller in die Spülmaschine zu räumen und die Küche wieder in den Originalzustand zu versetzen, war ich gleichzeitig müde und aufgekratzt. Die anderen waren nach und nach abgeholt worden und ihr Geschenk- eine Mütze von meinem Lieblingsfußballverein, gefüllt mit selbstgemachten Nougatstangen- lag noch auf dem Küchentisch. Es war das erste Geburtstagsgeschenk von Freunden seit Jahren gewesen und ich hatte in dem Moment erst gerafft, dass ich seit fast einem Jahr aus der Klinik raus war. Und dieses Jahr war ein Wahnsinnsjahr gewesen, gemessen an dem, was hinter mir lag. Ich hatte Freunde, ich ritt Turnier und es waren auch keine Fremdem mehr gewesen, die heute Morgen mit mir Geburtstagskuchen gegessen hatten. Gleichzeitig war es ein weiterer Geburtstag ohne meine Eltern gewesen und zwischendurch hatte ein Schuldgefühl an mir genagt, weil ich mich fragte, ob ich zwischen Geschenken und Freunden nicht zu sehr vergaß.

„War es schön?", fragte Julian, während sie das feuchte Geschirrtuch an die Backofenklappe hängte und sich ein Weinglas aus dem Schrank angelte.

„Ja, war gut." Vorsichtig klappte ich die Spülmaschine zu und lehnte mich an die Arbeitsplatte. Wirklich schön und im Nachgang ein bisschen krass.

„Die Stalltour auch?", fragte er und ich sah, wie er gegen ein Grinsen ankämpfte, als er sich Rotwein einschenkte.

„Höre auf mit der Stalltour.", murmelte ich und wollte schon die Flucht ergreifen, als Julian sich räusperte. Immerhin hatte er mir diesen Gedanken ins Hirn gepflanzt. „Ja, war auch nett.", brummte ich dann doch widerwillig und vermisste den stabilen Holzpfosten, als ich sofort wieder Inga im Nebeldunst vor mir sah, die kleinen Tautropfen im leuchtenden Rot ihrer Locken, während sie mit mir an dieser Holzumzäunung gestanden hatte. Ich verschränkte ablehnend meine Hände vor der Brust und hielt die Luft an, als sich ein zaghaftes Kribbeln zwischen meinen Rippen breit machte.

„Und? Doch ein Date?", hakte er nach und ich versuchte, mich nicht zu auffällig unter seinem Blick zu winden.

„Sicher nicht.", gab ich gereizt zurück, weil ich das mit ihm nicht diskutieren wollte. Ich wollte keinen väterlichen Ratschlag, wie ich diese Datesituation angehen sollte. Zum einen brauchte ich keinen Rat- denn es gab kein Date. Zum anderen war er nicht mein Vater. Wen ich datete und wen nicht ging Julian nichts an. Trotzdem zog mein Magen sich bei der Erinnerung an die Stallführung so fest zusammen, dass mir fast schlecht wurde. Inga war Inga war Inga und ich war ich. Diese Datesache war nichts für mich. Alleine die Vorstellung, was da alles dranhing, trieb mich in den Wahnsinn und rückwärts fast eine Klippe herunter. Die Vorstellung, was ich alles nicht würde für mich behalten können, war eine verdammte Horrorshow. Am Ende erwartete man – präziser sie- noch von mir, dass ich sie zu den Besuchen bei meinen Eltern auf dem Friedhof mitnahm. Bei der Vorstellung wurde mir wirklich schlecht. Es gab viel zu viele genug Dinge, die ich selbst kaum geregelt bekam und von denen ich nicht wollte, dass Freunde, Mädchen oder ganz speziell Inga das mitbekamen.

„Hm...wenn du das sagst." Julian legte den Kopf schief und nippte an seinem Wein. „Wer hat eigentlich die Nougatstangen gebacken?"

„Niemand." Wütend stieß ich mich von der Arbeitsplatte ab und schnappte die Mütze mit den Süßigkeiten. Mein Kopf glühte. „Ari, glaube ich." Inga, wusste ich. „Ich gehe schlafen! Ist die Befragung beendet?"

„Wir können auch mal reden, wenn die Sache ernster wird." Er trank noch einen Schluck von seinem Wein und als zu mir durchdrang, was er da vorschlug, spürte ich die roten Stressflecken auf meinem Hals.

„Ich will nicht...Ich brauche nicht mit dir reden." Meine Stimme überschlug sich fast vor Entsetzen. „Meine Eltern haben mit mir geredet. Außerdem ist das kein Date! Kein Date, okay? Kein Date, kein Redebedarf!" Ich presste mir demonstrativ die Hände auf die Ohren, eilte aus der Küche und verschwand in der sicheren Zone meines Zimmers, wo die roten Flecken auf meinem Hals noch Minuten brauchten, bis sie langsam den Rückzug antraten. 

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Hach ja. Dates und Wachstumsschmerzen. Lovely :D

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