Pia
Ich wartete auf der Treppe vor der Haustür auf Lukas. Martin und Jasja kochten gerade, Brunos neuste Freundin war da und mein Zimmer hatte ich auch noch nicht wieder in Ordnung gebracht, nachdem ich Paul am Bahnhof abgeliefert hatte. Ich wollte Lukas so nicht drinnen treffen, nicht inmitten dieses Chaos, das mir an Tagen wie heute zu laut und zu viel war. Also hatte ich mir, kaum, dass ich seine Nachricht gesehen hatte, einen dicken Pulli übergezogen, meine Haare ordentlich in einem Dutt zusammengenommen, meine Turnschuhe angezogen und mich vor die Tür gesetzt. Er hatte noch Samstagnacht auf meine Frage geantwortet, ob wir uns beim Klettern sehen würden- und in einem ersten Impuls hätte ich fast mein Handy zerstört, als er geschrieben hatte, dass wir das wohl ausfallen lassen müssten. Felix wäre immer noch da und würde abends abgeholt werden. Erst in der nächsten Nachricht hatte er geschrieben, dass wir uns ja vielleicht später, wenn seine Familie wieder weg sei, sehen könnten. An der Stelle hatte Paul wissend geseufzt- und ich hatte die ganze Nacht über versucht zu verarbeiten, dass ich nicht die Chance haben würde, beim Klettern vorzufühlen, was er über diesen Kuss- oder einfach nur mich- dachte. Er wollte vorbeikommen, einfach so- und ich wusste nicht, was ich erwarten sollte. Ein Date? Die Fortsetzung von Freitagabend? Ein höfliches „Ich glaube, du hast da was falsch verstanden"? Und dann? Ich atmete tief durch meinen Mund aus, als ich sicher zum fünfundreißigsten Mal an diesem Tag an genau diesem Punkt und diesem Gedanken hängen blieb und versuchte, mich zu beruhigen. Ich war auf jede dieser Situationen vorbereitet. Ich hatte peinlich genau darauf geachtet, dass mein Outfit nicht Date schrie- damit ich, falls es keins war, auf keinen Fall so aussah, als hätte ich mit einem gerechnet. Ich trug Jasjas wasserfeste Mascara, weil ich nicht aussehen wollte wie ein Panda, wenn mich eine Abfuhr aus dem Gleichgewicht bringen sollte. Und ich hatte meine Beine rasiert- just in case. Vorbereitet zu sein – und zwar auf alles- gab mir wenigstens jenes Gefühl zurück, dass Freitagabend vorübergehend verloren gegangen war: mich selbst unter Kontrolle zu haben.
Es hielt auch noch an, als ich Lukas um die Ecke biegen sah und überdauerte auch das „Hi", das Winken und eine flüchtige Umarmung.
„Was machst du hier draußen?", war seine erste Frage und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass er angespannt wirkte. Zumindest sah ich jene leichte Falte zwischen seinen Augenbrauen, die er immer hatte, wenn er beim Klettern unzufrieden konzentriert mehrmals an der gleichen Route scheiterte. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu sehen, dass er nicht entspannt war, dass ihn irgendetwas unter Strom setzte- und das war fast greifbar. Vermutlich lag ihm auf der Seele, dass er mich absägen musste- oder wollte.
„Ich dachte, wir gehen eine Runde. Ich habe schon den ganzen Tag drinnen verbracht. Der Lagerkoller ist nahe." , sagte ich. Das stimmte zwar nicht, aber Lukas stellte es auch nicht in Frage- und ich schaffte es immerhin, die aufkeimende Nervosität nicht hörbar in meiner Stimme mitschwingen zu lassen.
„Wie lange ging die Party noch?", fragte er, als er mir folgte und ich berichtete davon, dass wir die letzten Gäste im Morgengrauen rausgeschmissen hatten und dann direkt angefangen hatten aufzuräumen. Das Chaos, dass die Party hinterlassen hatte, war gewaltig gewesen und restlos erst diesen Nachmittag beseitigt worden. Nicht zuletzt dank Pauls Unterstützung. „Und Felix? Was war los?", wechselte ich das Thema. „Ist alles in Ordnung mit ihm?"
„Alles gut.", antwortete Lukas knapp und kaum, dass ich ihn misstrauisch ansah, vergrub er seine Hände tief in den Hosentaschen.
„Und für alles gut stellt der sich vor meine Wohnungstür?" Wohl kaum. Felix war, zumindest soweit ich das mitbekommen hatte, der Gegenentwurf zum jüngeren Ich seiner Schwester: brav und pflegeleicht und ziemlich bedacht, in dem, was er tat. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der ohne Grund unangemeldet hier aufgetaucht war.
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Lieblingstag
Teen FictionInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...