Kapitel 14: Nordwind (4)

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Lukas


„Sie hat angerufen und nach dir gefragt. Bloß so zwanzig Mal oder so." Daniel räusperte sich und fischte mit dem kleinen Holzspieß in seiner Hand nach den Früchten in seiner Altbierbowle. „Lena hat kurz mit ihr gesprochen. Sie meinte, sie wäre völlig von der Rolle gewesen."

„Überrascht mich jetzt nicht. Inga ist schon eine ganze Weile ziemlich von der Rolle.", warf Juan ein und zuckte hilflos mit den Schultern. „No offense, Lukas, aber sie war eigentlich schon die letzten Jahre immer wieder schräg drauf. Erst das Masterplatzdrama, dann dieses Gesundheitsdrama und dann der Totalausfall auf eurer Party. Mich wundert nichts mehr."

„Ich verstehe es einfach nicht. Inga war so anders, als ich sie kennengelernt habe." Daniel, der mittlerweile eine Erdbeere erwischt hatte und sie am Rand seines Glases fixierte, warf mir einen kurzen Blick zu. „Sprich, Ex-Freund."

„Ich habe doch gesprochen." Ich griff nach meinem Glas und trank einen Schluck von meinem Bier, um mir Zeit zu verschaffen. Ich hatte, wie versprochen, die beiden direkt nach meiner Ankunft zuhause auf ein Bier eingeladen und die ganze Geschichte vor den beiden ausgepackt. Jetzt saßen wir in einer der gemütlichen, etwas in die Jahre gekommenen Studentenkneipen in der Altstadt und ich fragte mich, wie okay es wirklich von mir gewesen war, Ingas Gesundheitszustand vor Juan und Daniel ausgebreitet zu haben. Das sie darüber nicht begeistert wäre und es vermutlich verdammt übergriffig fände, musste sie mir nicht erklären. Ich wusste es und ich verstand es auch so. Gleichzeitig hatte ich nicht gewusst, wie ich den beiden sonst hätte erklären können, warum die Dinge in Berlin so aus dem Ruder gelaufen und ich danach abgetaucht war.

„Sie war so krass zielstrebig und lässig und korrekt und...", setzte Daniel wieder an, nachdem er die Erdbeere in seinen Mund gesteckt hatte.

„Wolltest du damals nicht insgeheim was von ihr, Daniel?", fragte Juan und grinste, als meine Augenbrauen zuckten. Das war mir neu.

„Ich hätte was von ihr gewollt, wenn jemand anders als unser Streber sie aus der Heimat mitgebracht hätte." Daniel zwinkerte mir zu und verdrehte die Augen, als die erhoffte Reaktion von mir ausblieb. „Komm schon, Lukas. Inga ist eine beeindruckende Frau. Du bist nicht der einzige, dem das je aufgefallen ist. Außerdem habe ich den Gedanken verworfen, als ich einsehen musste, dass sie zu dir gehört."

„Streue schön Salz in die Wunde." Juan boxte Daniel gegen die Schulter und schüttelte den Kopf. „Möchtest du ihm noch erzählen, wie super harmonisch und glücklich die beiden waren? Und wie wir Wetten darauf abgeschlossen haben, ob die Kinder kleine Pumuckls werden oder nicht? Sorry, Lukas." Er hob beschwichtigend die Hand, als habe er genau realisiert, wie sich meine Hand unter dem Tisch zusammengekrampft hatte. „Bringt doch nix. Und Inga war die letzten Jahre immer wieder anstrengend. Mag ja sein, dass sie viel mit sich ausgemacht hat, aber du darfst ruhig zugeben, dass wir mehr als einmal darüber gesprochen haben, ob sich da eine Trennung ankündigt."

„Danke, ihr zwei.", ächzte ich als Daniel mit gespielter Empörung zu einer Antwort ansetzen wollte, ließ mein Glas los und lehnte mich kopfschüttelnd zurück.

„Juan übertreibt."

„Tue ich nicht." Juan tat es mir nach, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete mich mit schiefgelegtem Kopf. „Gucke dir das gut an, Daniel. So sieht ein Kollateralschaden aus. Mag ja sein, dass alles mit Lukas und Inga gut gegangen wäre, wenn Ink ihren Masterplatz in Berlin bekommen und nicht krank geworden wäre. Ist sie aber. Und unser Lukas ist das Bauernopfer für ein ruhiges Gewissen."

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