Pia
Calvin machte mir schon nach der kurzen Zeit, die ich ihn jetzt schon regelmäßig ritt, so viel Spaß, dass ich mir kaum vorstellen konnte, dass ich in den Monaten zuvor immer öfter gedacht hatte, dass die Sache mit mir und den Pferden vielleicht einfach vorbei wäre. Der Schimmel war wirklich brav, aber so langsam fand ich die richtigen Knöpfe, um ihn auch mal aufzuwecken. War er die ersten Male noch eher phlegmatisch mit mir über den Platz geschlurft, entwickelte er mittlerweile im Laufe der Reitstunde immer mehr Eifer. Herr Baaten war auf diesem Weg eine unterwartet große Hilfe. Er bewahrte sich seine stoische Ruhe, aber er taute von Woche zu Woche auf. Je mehr ich mit Calvin zusammenfand, umso freundlicher wurde er.
„Ihr müsst dem mal einen Dressursattel kaufen.", brummte er mir zu, nachdem Calvin das Schulterherein im Trab zum ersten Mal nicht selbst beendete, sondern auf meine Hilfe wartete. „Und angaloppieren. Dabei weiter an Schulterherein denken. Nur denken, Pia!", sagte er, bevor ich dazu kam, ihm eine Antwort zu geben. Schmunzelnd gab ich die Galopphilfe, achtete pingelig darauf, dass Calvin auch wirklich durchsprang und die Hinterhand nicht auf den zweiten Hufschlag schob und freute mich gleichermaßen über Calvins zufriedenes Schnauben wie über das Lob von Herrn Baaten. Ich warf einmal mehr einen kritischen Blick in den Spiegel und korrigierte meine Handhaltung, was mit einem ebenso prompten wie knappen „Gut" kommentiert wurde. Seit ich wieder regelmäßig ritt und sich das schon verloren geglaubte Körpergefühl zurückgemeldet hatte, war mein Ehrgeiz wieder da. Herr Baatens Unterricht trug dazu auf jeden Fall bei. Ich wollte gar nicht mit Calvin aufs Turnier, aber ich wollte wieder vernünftig reiten.
Als ich am Ende der Reitstunde die Zügel lang ließ und Calvins verschwitzten Hals klopfte, spürte ich das zufriedene Grinsen auf meinem Gesicht. So müde ich in den letzten Tagen oft gewesen hatte, wenn ich nach meiner Famulatur nachmittags das Krankenhaus verließ, so wach war ich jetzt.
„Das war eine gute Stunde, Pia.", sagte Herr Baaten, als ich auf ihn zuritt, um ihm das Geld für den Unterricht zu geben. „Du bist heute wirklich gut geritten."
„Danke.", erwiderte ich verlegen, während ich in der Tasche meiner Reithose nach den Scheinen kramte. „Calvin hat es mir heute aber auch leicht gemacht."
„Bist du eigentlich mal Turnier geritten?", fragte er, als ich fündig wurde und ihm zwei zusammengeknüllte Scheine entgegenstreckte.
Ich nickte. „Ist schon eine Weile her."
„Und was?", hakte er nach.
„Na ja, Dressur halt.", gab ich ausweichend zurück. Unter dem prüfenden Blick von Herrn Baaten ließ ich schließlich meine Schultern sinken. „Ich hatte ein Pony. Wir sind mal bei den Westfälischen Meisterschaften gestartet. In der letzten Wertungsprüfung ist er mir aus dem Viereck gesprungen." Ich grinste. „Seitdem komme ich gern mit dem äußeren Schenkel durch." Es war leichter, diese peinliche Story zu erzählen, als darüber zu sprechen, wie viel Spaß ich am Turnierreiten gehabt hatte.
Herr Baaten lachte nicht. Er kraulte Calvin an der Stirn und warf mir einen nachdenklichen Blick zu. „Die Ponyprüfungen sind schon ein Zirkus für sich.", sagte er dann, fast abfällig. Er fragte nicht weiter und ich war dankbar, dass er mich nicht wissen wollte, was aus meinem Pony geworden war. Herr Baaten vergewisserte sich danach wieder gewohnt geschäftsmäßig, ob die Reitstunde in der nächsten Woche normal stattfinden würde. Ich bestätigte und er ging. Trotzdem hatte seine Frage nach der Turnierreiterei mich an Niro denken lassen. Vor zwei Wochen hatte ich Felix geschrieben und ihn gefragt, wie es mit Niro lief. Eine Antwort hatte ich nicht bekommen. Während ich es nicht ungewöhnlich gefunden hatte, das Felix sich mit der Zeit seltener mit Updates und Fotos bei mir gemeldet hatte, hatte ich nicht damit gerechnet, dass er auch auf Nachfrage nicht mehr antwortete. Auf der Heimfahrt dachte ich darüber nach, ob ich einfach anrufen sollte. Aber ich wollte Felix auch nicht nerven, und die Festnetznummer der Feldmanns wollte ich im Moment nicht wählen. Nicht nach den letzten Monaten. Nicht nachdem was mit Lukas gewesen- oder auch nicht gewesen- war. So richtig klar war mir nicht, was davon zu wem durchgesickert war. Und so schrieb ich, kaum, dass ich mein Auto wieder vor der Wohnung abgestellt hatte, Felix eine zweite Nachricht. Wenn er nicht antwortete, könnte ich mich immer noch bei Kim melden. Denn die, und dabei machte mein Herz vor Wiedersehensfreude einen Hüpfer, würde in wenigen Tagen aus Holland zurückkommen.
Nach der Dusche schlüpfte ich eilig in meine gemütlichste Jeans und ein sauberes T-Shirt. Meine noch feuchten Haare drehte ich zu einem nachlässigen Dutt zusammen, damit sie mir beim Kochen nicht im Weg waren und fing an, für Jasja und mich Abendessen zu machen. Jasja war in der WG mit Abstand diejenige, die ich am liebsten mochte, auch wenn ich mit Bruno und Martin normalerweise keinen Ärger hatte. Das Zusammenleben mit Bruno war einfach, weil er selten da war. Und wenn, dann war er leise und hinterließ Bad und Küche immerhin nicht dreckiger, als er sie vorgefunden hatte. Mit Martin kam ich deswegen gut zurecht, weil wir einander so wenig zu sagen hatten, dass wir auch selten in Streit gerieten. Das fünfte Zimmer stand zurzeit leer. Das lag nicht daran, dass es keine Interessenten dafür gegeben hatte, aber während der Prüfungen am Ende des Semesters hatten wir keine Lust auf stundenlange Bewerbungsgespräche gehabt. Irgendwann hatten wir beschlossen, das leere Zimmer vorerst als Wohn- und Gästezimmer zu nutzen. Seitdem hatten wir endlich einen Platz, um unsere Wäsche zu trocknen und Leergut zu sammeln. Ich konnte damit leben, weil ich im Café genug Stunden machen konnte und mein Vater in den letzten Monaten zuverlässig mein Geld überwiesen hatte. Eilig wischte ich den Gedanken, dass ich ihn anrufen sollte, um ihm zu erzählen, dass ich immer noch lebte und studierte, beiseite. Stattdessen machte ich mich daran, Gemüse zu schnippeln. Ich hatte Jasja versprochen, die Pizza fertig zu haben, wenn sie vom Babysitten zurückkam und ich freute mich auf unseren Mädelsabend, den wir so oft am Donnerstagabend machten und der immer ähnlich ablief: viel Essen, eine True-Crime Doku, und ein Glas Wein. Dieses Mal brannte ich außerdem darauf, ihr davon zu erzählen, wer sich seit einigen Tagen bei mir meldete. Bei dem bloßen Gedanken musste ich breit und sehr schadenfroh grinsen. Viktor war, dieses Mal scheinbar endgültig, von Schatzi verlassen worden.
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Ach ja, Viktor und Schatzi. Was meint ihr? Ist das endgültig? Und wenn ja, interessiert das Pia oder eher nicht?
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Lieblingstag
Novela JuvenilInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...