Kapitel 5: Von Neuanfängen und Wachstumsschmerzen (5)

63 12 3
                                    


„Und das da reitest du?" Skeptisch machte Inga einen Schritt auf Lugars Boxentür zu. Sie stand noch immer fast einen Meter von seinen Nüstern entfernt und schob sicherheitshalber trotzdem ihre Finger in die Gesäßtasche ihrer Jeans. „Krasses Tier. Ist das wie mit Katzen? Bringen schwarze Pferde auch Unglück?"

„Glaube nicht.", erwiderte ich schmunzelnd, trat an Lugars Kopf heran und wuschelte ihm durch seinen dichten Schopf. „Schwarze Ponys bringen sowieso kein Unglück." Ich streckte meine Hand nach ihr aus und legte den Kopf schief. „Der beißt nicht. Du kannst den wirklich anfassen."

„Muss ich?" Inga kniff kurz die Augen zusammen, überwand sich dann aber und stellte sich direkt hinter mich. „Wenn du weggehst, mache ich dich kalt. Kein Witz, Lukas."

„Stelle dich nicht an." Kopfschüttelnd nahm ich ihre Hand und zog so lange daran, bis sie nachgab. „Gucke mal, wie weich der ist."

„Seine Zähne sind nicht so weich, das schwöre ich dir."

„Ich schwöre dir, dass Lugar nicht beißt. Solange du ihn nicht kitzelst.", beteuerte ich und hielt immer noch ihre Hand fest.

„Und wie kitzele ich ihn nicht?" Nervös betrachtete Inga Lugars vorwitzige Ponyaugen und versank tiefer in ihrem hellblauen Wollschal. „Der sieht nämlich verdammt kitzelig aus."

Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ich aufgab. Das würde sie eh nicht überzeugen. Vorsichtig, aber beharrlich zog ich so lange an ihrer Hand, bis sie ihre Fingerspitzen an Lugars Nüstern legte.

„Heilige Scheiße.", murmelte Inga leise und ich sah, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich und ihre Augen gleichzeitig immer größer wurden. Sie hatte offensichtlich keinen Quatsch erzählt, als sie gesagt hatte, dass sie Angst vor Pferden hatte. Ihre Finger wurden jedenfalls unter meinen ziemlich schnell ziemlich feucht.

„Atmest du noch?", fragte ich und warf ihr sicherheitshalber einen Kontrollblick zu, während ich mit ihrer Hand in meiner Lugars weiche Nase streichelte.

„Gucke lieber auf seine Zähne und meine Finger.", antwortete sie mit gepresster Stimme und nickte Richtung Lugar. „Wenn denen was passiert, ist das heute dein letzter Geburtstag."

„Machst du deine Drohungen eigentlich manchmal auch wahr?", fragte ich und ließ ihre Hand los, als ich spürte, wie sie selbst anfing, Lugars Fell zu streicheln.

„Immer natürlich." Tatsächlich machte sie einen Schritt auf die Boxentür zu und fuhr Lugar, der entspannt seine Augen zuklappte, über die Stirn. „Pennt der jetzt?"

„Er entspannt zumindest." Ich trat einen Schritt zur Seite und Lugar ließ nicht nur seine Augenlider, sondern auch seine Unterlippe hängen, während Inga ihn weiter kraulte. So ängstlich sie auch noch aussehen mochte, so beherzt kraulte sie ihn mittlerweile. „Ich glaube, er ist ein Fan von dir."

„Ich habe gehört, die schlafen im Stehen?", fragte Inga bemüht darum, ihren unbeeindruckten Tonfall wiederzufinden.

„Meistens zumindest."

„Eigentlich ein cooler Skill. Ich würde gern mit offenen Augen schlafen können. So in Politik, zum Beispiel." Als Lugar leise schnaubte, zog sie ihre Hand eilig zurück. „Gut, reicht. Du wolltest mir noch zeigen, wo die Thestrale abgerichtet werden."

Wir gingen von Lugar weiter zu den Reithallen und sie lachte ungläubig, als sie sich neben einen Sprung stellte, dessen Stange auf ihrer Kinnhöhe hing. „Da springt ihr drüber?", fragte sie ungläubig.

Ich springe da ganz sicher nicht drüber.", erwiderte ich und zog die Schultern hoch. „Jedenfalls sicher nicht mit Pferd."

„Dann ist ja doch noch Verstand in dir.", sagte sie und hakte sich mit einem übermütigen Grinsen bei mir ein. „Okay. Nächste Station?"

Wir gingen im Dämmerlicht an den Weide der Jungpferde vorbei, die noch bis zum Dezember draußen bleiben würden, aber niemand von ihnen bequemte sich zum Zaun. Sie standen in einiger Entfernung, hoben den Kopf, als sie unsere Stimmen hörten und versanken dann mit jeder Minute, die Inga und ich länger am Koppelzaun standen, tiefer im Nebel. Inga, die sichtlich erleichtert über den Sicherheitsabstand war, lehnte sich an den Zaun und atmete tief durch. „Eigentlich ist es schön hier. Wenn die blutrünstigen Vierbeiner nicht wären."

„Mit Lugar bist du gut ausgekommen.", erwiderte ich, kletterte auf die unterste Latte vom Holzzaun und wartete, bis sie es mir nachtat.

„Ich habe mir ja auch Mühe gegeben.", sagte sie, legte den Kopf in den Nacken und holte tief Luft. Das diesige Herbstgrau hatte keine Chance gegen ihre roten Locken, die sich von ihrem hellblauen Schal abhoben und das helle Braun ihrer Augen....

Hast du einen Schatten? Ich stieß mit Absicht fest mit dem Knie gegen die Holzumzäunung und spürte dankbar, wie der dumpfe Schmerz dieses absurd schöne Bild von Inga mit kleinen Wassertröpfchen im Haaransatz auflöste. Mein Herz klopfte viel zu schnell und ich rammte sicherheitshalber mein Knie gleich nochmal gegen den Pfosten. Julian hatte mir eine furchtbar dumme Idee in den Kopf gesetzt mit seinem Gefasel über Dates und Mathenachhilfe, die ich angeblich nicht mehr brauchte.

„Alles gut?", fragte Inga irritiert, als mir die Tränen in die Augen schossen.

„Alles prima.", murmelte ich und schüttelte mich, bevor ich mich räusperte. „Wie kommt das eigentlich?", fragte ich, um mich von dieser Idee abzulenken.

„Wie kommt was?", fragte sie und zog skeptisch ihre linke Augenbraue hoch.

„Das du solche Angst vor Pferden hast."

„Hm..." Inga seufzte und zuckte mit den Schultern. „Ich bin mal geritten, als ich gerade in die Schule kam. In so einer Reitschule, die vielleicht nicht so gut war. Zumindest habe ich das hinterher gehört. Jedenfalls habe ich neben dem Pony gestanden, das ich reiten sollte, als eins der größeren Reitmädchen für mich den Sattel draufgemacht hat. Ich wusste nicht, dass man Abstand halten sollte, wenn die ihre Ohren anlegen und als dann der Gurt festgezogen wurde, hat es seine Zähne in meine Schulter geschlagen. Ich habe vor Schreck geheult und geschrien, heftig geblutet und eine schicke Narbe behalten." Sie seufzte und schloss die Augen. „Bisschen peinlich. Ich hätte halt weggehen sollen."

„Beißende Ponys gehören vielleicht auch nicht ein eine Reitschule."

„Vielleicht nicht, weiß ich nicht." Sie wandte ihr Gesicht mir zu. „Jedenfalls weiß ich, dass ich keine Ahnung habe, was die Biester mir sagen wollen und deswegen gehe ich ihnen lieber aus dem Weg. Im Zweifel tun sie mir nämlich verdammt weh."

„Man kann das Lernen, weißt du?", fragte ich und dachte daran, wie hilflos ich in den ersten Monaten um Lugar herumgeeiert war. Nach Ingas Geschichte hatte ich eine neue Dankbarkeit dafür, dass er eine frecher, aber doch sehr gutmütiger Teddy war. Ernsthaft wehgetan hatte er mir bisher nie.

„Bestimmt." Sie hüpfte vom Zaun herunter und zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt tanze ich Ballett. Da habe ich selbst im Griff, wie sehr ich mir wehtue. Das ist ein klarer Vorteil. Auch, wenn ich weder so gut noch so besessen bin wie Ariana." Sie drehte übermütig eine Pirouette um ihre eigene Achse und strahlte mich an. „Was sagt dein Magen, Fachsenberg? Sollen wir bald mal den Pizzadienst anrufen? Oder warten wir auf den Rest der Crew?"


----


Ja, was sagt wohl sein Magen? Pizza?

LieblingstagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt