Kapitel 21: Erkenntnisse (5)

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Ich kam nicht einmal dazu, mir Gedanken darüber zu machen, wer vor der Tür stehen könnte, als Paul die Wohnungstür aufriss und mit mir ins Treppenhaus trat.

„Und wer ist jetzt...", setzte ich an, als ich im ersten Moment niemanden sah. Dann wanderte mein Blick auf die Stufen, die in die höheren Etagen führten- und ich verstand nicht, was ich sah. Zumindest nicht sofort. Auf den Stufen saß, an die Wand gelehnt, die Arme um die Knie geschlungen, in Jeans und Regenjacke, Felix. Er sah blass und müde aus und kroch tiefer in seine dunkelblaue Jacke, als er mich erkannte.

„Was zur...Felix!?" Ich war schon fast auf dem Weg zu ihm, die Stufen hinauf, als ich mich doch nochmal zu Paul umdrehte. „Hast du was damit zu tun?", fragte ich außer mir.

„Bist du wahnsinnig?" Paul schüttelte heftig den Kopf. „Jemand hat ihn beim Reingehen hier sitzen sehen und drinnen davon erzählt. Ich fand die Idee, dass ein Kind nachts auf der Treppe sitzt, ziemlich seltsam und wollte nachgucken. Und dann habe ich dich geholt."

Ich hätte mich bedanken sollen, aber ich wandte mich nur von Paul ab, ging zwei, drei Treppenstufen nach oben und ließ mich neben Felix sinken, der bisher kein Wort gesagt hatte. Er sah beharrlich weg, presste die Lippen aufeinander und verbarg seine Hände in seinen Ärmeln.

„Felix...", machte ich fassungslos, als Paul wieder reinging und die Tür hinter sich schloss. Irgendetwas war passiert und was auch immer Minuten zuvor zwischen Pia und mir gewesen war, hatte in diesem Moment keine Bedeutung mehr und schien Lichtjahre entfernt.

„Hey.", murmelte er widerwillig und nach wie vor ohne mich anzusehen.

„Was machst du hier? Wie bist du hergekommen?", fragte ich atemlos und wusste nicht, auf welche Antwort ich hoffen sollte.

Er zuckte nur stumm mit den Schultern.

„Wissen Julian und Sina wo du bist?", fragte ich und spürte, wie mein Puls aus ganz anderen Gründen als eben noch anstieg. Die Vorstellung, was die beiden denken mussten, wenn sie mitten in der Nacht bemerkten, dass Felix verschwunden war, war gruselig.

Er reagierte nicht.

„Mensch Felix, die rufen die Polizei wenn du einfach weg bist.", sagte ich fassungslos und zog mein Handy aus der Hosentasche. Ich sah verpasste zwei Anrufe von Enno und konnte mir, ganz ohne mit ihm gesprochen zu haben, ausmalen, weswegen er versucht hatte, mich zu erreichen. Wahrscheinlich war Felix erst in der WG gewesen. „Ich rufe die beiden an.", sagte ich entschlossen, aber Felix schüttelte heftig den Kopf.

„Bitte nicht."

„Felix..."

„Bitte nicht. Ich verspreche dir, niemand macht sich Sorgen und niemand vermisst mich."

„Felix, wenn..."

„Die beiden sind nicht zuhause. Ich war alleine. Die kommen erst Sonntagabend zurück und..." Felix schüttelte langsam den Kopf und schloss die Augen. „Die merken nicht, dass ich nicht Zuhause bin."

„Sage mir bitte, dass das ein Scherz ist.", erwiderte ich dumpf.

„Was denn? Die haben dich auch zuhause gelassen, wenn du nicht mit aufs Turnier wolltest."

„Aber nicht mit 13."

„Es ist nicht so, als ob ich denen die Wohnung abfackele."

„Stimmt, du setzt dich nur in den Zug und fährst nach Berlin!" Wütend sah ich ihn an. „Felix...", wiederholte ich dann, fast flehend und sah ihn an, während ich vergebens auf eine Erklärung wartete.

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