Lukas
Ich nahm ihn beim Wort, machte am Freitag bei der Arbeit mittags Schluss, stieg ins Auto und fuhr nach Balve. Ich hatte nicht gewusst, was ich in Berlin alleine hätte tun sollen.
Als ich nachmittags ankam, war die Stimmung gut. Julian war mit Raindrop einen blitzsauberen Grand Prix geritten. Der Hengst, der immer ein bisschen unstet in Stimmung und Konzentrationsfähigkeit war, war scheinbar mit dem richtigen Huf aufgestanden. Er hatte seine Stärken gezeigt und Julian bedachte die Piaffen, die wohl immer seine Schwäche bleiben würden, mit einem Schulterzucken und einem „Besser zu viel nach vorne als rückwärts. Und das scheint zumindest dieses Jahr in Mode zu sein." Er war zufrieden und Sina, die sich darüber freute, dass Paul in beiden Umläufen der ersten Wertungsprüfung nur Zeitfehler gehabt hatte, sowieso. Mit diesem Ergebnis für Paul und seine Stute Fia hatten beide nicht gerechnet, das hörte man heraus, ohne, dass sie es explizit aussprechen mussten. Paul selbst hatte nach seinen Ritten lange nicht so befreit ausgesehen, wie man es hätte erwarten können. Er hatte sich um Fia gekümmert und war mit ihr, kaum, dass sie abgesattelt und übergeputzt war, grasen gegangen. Als ich mich zu ihm gesellt hatte, um ihn zu beglückwünschen, hatte er es geschafft, nicht ein einziges Mal zu lächeln- und das war für Paul eine Leistung. Er war angespannt gewesen, er hatte das Thema so weit wie möglich von sich und Kim weggehalten und hatte mich angesehen, als erwartete er, dass ich mich in den Streit der beiden einmischte. Ich hatte es nicht getan, weil ich es schwer fand, eine Meinung zu haben. Ich fand mies, dass er sie seit zwei Wochen in der Luft hängen ließ und konnte gleichzeitig verstehen, dass sie ihn mit seinem Misstrauen nicht zum ersten Mal empfindlich getroffen hatte. Also hatten wir über Nikita gesprochen, die sich, so Paul, einfach traumhaft entwickelte. Er würde sie am Samstag in einer Prüfung reiten und er hatte quasi darauf bestanden, dass ich mir das ansehen solle. Ich hatte versprochen zuzusehen und danach mit Felix Nikita besucht, die ruhiger in ihrer Box stand, als ich erwartet hatte. Ihr Heu hatte sie trotzdem unter die Späne gepflügt und während ihr Boxennachbar gedöst hatte, hatte sie das Treiben auf der Stallgasse aufmerksam verfolgt. So richtig entspannt war sie jedenfalls nicht gewesen.
Trotz der guten Runden saß Paul am Abend nicht mit uns im Restaurant. Sina hatte ihn eingeladen, aber er hatte abgelehnt. Weil er müde war, behauptete er. Die Wahrheit war wohl eher, dass jeder am Tisch von dem erdbebenartigen und alles in Frage stellenden Streit zwischen ihm und Kim wusste. An seiner Stelle hätte ich mich da genauso sorgsam aus Familienaktivitäten herausgehalten und mich im Hotelzimmer versteckt. In seiner Abwesenheit war der Streit dann auch wirklich Thema am Tisch, nicht zuletzt, weil eigentlich an meiner statt Kim mit ihnen am Tisch hätte sitzen sollen. Ich war überrascht, wie wenig parteiisch Julian und Sina reagierten und dass Julian beim Nachtisch seufzend äußerte, er würde wirklich darauf hoffen, dass die beiden sich zusammenrauften.
„Paul ist kein schlechter Kerl."
„Ach.", machte Sina mit einem milden Lächeln. „Das klang vor einem Jahr noch anders."
„Darf ich meine Meinung nicht ändern? Er gibt sich Mühe. Das kann ich doch anerkennen."
„Niemand ist darüber glücklicher als ich.", erwiderte sie mit einem zufriedenen Lächeln.
„Noch glücklicher als Kim?", fragte ich schmunzelnd nach. „Wieso das?"
„Weil der Junge reiten kann und ich es nicht erwarten kann, zu sehen, wohin das noch führt.", sagte sie und seufzte leise. „Spätestens seit Kim weg ist, ist er das Highlight meines Arbeitstages."
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Lieblingstag
Novela JuvenilInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...