Kapitel 26: Gewitter (2)

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Pia



Es war noch kühl an diesem Sommermorgen und ich vergrub meine Hände in den Ärmeln von Lukas dickem Pulli, den ich über meinen eigenen Sachen trug. Meine Augen fühlten sich so geschwollen an, wie sie nach der Nacht eben aussahen und ich versuchte, nichts zu fokussieren, nichts anzuschauen und nur in die Weite und ins Nicht zu starren. Ich wollte nicht weiterweinen. Nicht, nachdem ich Lukas geweckt hatte, als ich ins Bett zurückgekrochen war. Wie er sich erschrocken hatte, als er für einen Moment geglaubt hatte, er hätte irgendetwas falsch gemacht. Als ob... Ich holte tief Luft und legte meinen Kopf in den Nacken. Nicht weinen. Es reichte.

„Na du?" Ich hörte Lukas Stimme, seine Schritte hinter mir und roch den Kaffee- und ich blinzelte und räusperte mich mehr als einmal, bevor ich mich zu ihm umdrehte und versuchte zu lächeln. „Besser?"

„Besser.", bestätigte ich- und es war keine Lüge. Es ging besser hier draußen, an der Luft und in der aufwachenden Natur.

Lukas seufzte leise und reichte mir einen Kaffeebecher mit einem dampfenden Milchkaffee. „Die Bäcker haben schon auf. Unsere Rettung."

„Ja.", machte ich und hätte gerne mehr gesagt. Es reichte noch für ein „Danke".

„Ach was." Er ließ sich auf der Parkbank neben mir nieder und nippte stumm an seinem eigenen Kaffee, während sein Blick nicht minder nachdenklich als meiner auf den zugewachsenen Teich vor uns fiel. Es hatte in der Nacht geregnet, und die Feuchtigkeit hing schwer über dem Gewässer und der Wiese. Es roch nach nasser Erde und nassem Gras, und die Luft war klar.

Lukas und ich waren noch vor sechs aus dem Haus gegangen und zu einem Park in der Nähe gelaufen. Wir hatten stumm dabei zugesehen, wie die Sonne aufgegangen war und dabei zugehört, wie nicht nur die Vögel, sondern auch die Menschen wach wurden. Als die ersten Jogger aufgetaucht waren, hatte Lukas Kaffee organisiert.

„Ich rufe sie nachher an.", sagte ich leise und drehte den warmen Becher zwischen meinen kalten Fingern.

„Sie ist bestimmt noch zuhause."

„Ich hoffe, Paul lässt sich da nicht blicken."

„Wenn er nicht arbeiten muss, dann wohl kaum. So willkommen ist er da gerade nicht."

„Ich kann immer nicht fassen, dass er nicht rausgeflogen ist.", murmelte ich kopfschüttelnd.

Lukas holte tief und unglücklich Luft und dachte eindeutig dasselbe.

„Wieso eigentlich nicht?", hakte ich nach, weil ich es wirklich nicht verstand.

„Weil das eine beruflich ist und das andere privat. Und weil Sina ihn halten will." Lukas zog die Schultern hoch. „Kim wird das am Ende entscheiden. Wenn sie will, dass er geht, wird er schon nicht bleiben. Das ist ihr Zuhause. Das wird keiner vergessen. Da bin ich mir ziemlich sicher."

„Aber du sagtest eben, dass Sina ihn nicht gehen lassen will."

Lukas schüttelte langsam den Kopf. „Das geht dieses Mal wohl kaum darüber, was Kim will."

„Ich wünsche es Kim. Und Paul wünsche ich, dass er irgendwo von vorne anfangen darf und das garantiert ohne mehr Kracher unterm Hintern, als er an einer Hand Finger hat." Rache mochte niemandem etwas bringen, aber trotzdem fühlte ich bei dem Gedanken grimmige Zufriedenheit.

„Würde ihn vielleicht erden."

„Ja.", murrte ich und zog meine Knie fester an den Körper. Ich wusste genau, dass niemand Paul erden musste. Paul stand mit beiden Füßen ziemlich fest auf dem Boden. Der Erfolg, den er in den letzten Monaten gehabt hatte, hätte den ein oder anderen sicher die Bodenhaftung verlieren lassen, aber nicht Paul. Dazu hatte er zu hart gearbeitet. Das wusste ich, egal, wie wütend ich auf ihn war. Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich damit den Gedanken an ihn abschütteln. Neben mir legte Lukas den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ sich die Morgensonne ins Gesicht scheinen. Mein Blick verfing sich in seinem kastanienfarbenen Haar, blieb an seinen dunklen Wimpern hängen, streifte seine Wangen zu seinen Lippen- und ich spürte, wie sich das riesige Knäuel aus Wut und Chaos in meiner Brust lockerte. Stumm ließ ich mich gegen seine Brust sinken und sah zu ihm hoch. Seine Augen blieben geschlossen, aber seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.

„Hey du.", sagte er leise, als habe er meinen Blick gespürt.

„Es war schön. Bis Paul angerufen hat."

„Hmhm..." Lukas Lächeln wurde breiter, aber er machte keine Anstalten, seine Augen aufzumachen.

„Ich will gar nicht nach Hause gehen."

„Musst du nicht."

Ich lehnte mich schwerer gegen ihn und stupste mit meinem Hinterkopf mit Nachdruck gegen seine Schulter. „Du... Kommst du mal mit nach Hamburg?"

„Klar. Sage nur wann."

„Und nimmst du mich mit nach Hause? Also zu dir?"

„Sicher." Er richtete sich gerade so weit auf, dass er mir einen flüchtigen Kuss hinters Ohr drücken konnte- und ich schwieg, während ich die Gänsehaut auf meiner Haut genoss. „Sobald das mit Kim geklärt ist.", schränkte er ein. Ich hatte keine Einwände.

„Und deine Freunde?"

„Was ist mit denen?"

„Lerne ich die mal kennen?"

Ich merkte nur am leichten Beben seines Brustkorbs, dass Lukas lachte. „Mir fällt da eine gute Gelegenheit ein."

„Welche?"

„Hast du ein schickes Kleid?"

„Ein schickes Kleid?", echote ich verwundert.

„Und dazu passende Schuhe, in denen du gut tanzen kannst? Stundenlang?"

Ich hörte die Belustigung in seiner Stimme heraus und verrenkte mir den Nacken beim Versuch, zu ihm hochzusehen, ohne meinen Hinterkopf von seinem Brustkorb nehmen zu müssen. „Was hast du vor?"

„Ich habe gar nichts vor. Aber einer meiner besten Freunde heiratet und ich bin Trauzeuge. Ich schätze also..."

„Das ich mitkommen muss?"

„Das du mitkommen könntest. Falls du möchtest. Falls du meine Freunde gleich alle auf einmal kennenlernen möchtest." Er grinste. „Falls du dich das traust. Die sind kritisch, weißt du." Die Finger seiner linken Hand malten Kreise in meinen Nacken- und ich ließ mir Zeit, zu begreifen, was er da gerade gesagt hatte.

„Ich war noch nie auf einer Hochzeit.", antwortete ich langsam und lehnte meinen Nacken fester gegen den Druck seiner Finger.

„Das ist kein Hinderungsgrund." Er zog seine Finger zurück und ich richtete mich mühsam wieder auf, bis ich ihn ansehen konnte. „Ich halte dich nicht geheim, Pia." Er lächelte und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Es sei denn, du willst das."

„Wieso sollte ich das wollen?"

„Vielleicht findest du das ja aufregend." Seine Augen blitzten vergnügt. „Vielleicht werde ich dir sonst langweilig."

„Langweilig.", wiederholte ich langsam, während die Erinnerung an den Vorabend und sein Gesicht dicht vor meinem dem Wort jede Bedeutung raubten.

„Hm?" Lukas kam näher, bis ich seinen Atem auf meinem Gesicht spürte, bis seine Lippen nur Zentimeter von meinen entfernt waren, bis die Spannung zwischen uns sich so sehr aufbaute, dass sie physisch spürbar wurde.

Ich biss mir fest auf die Unterlippe und stand ruckartig auf. „Zurück nach Hause?"

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