Inga
Die Sache mit der Wahrscheinlichkeit ist so ein Ding. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eines Zufallsexperiments eintritt, liegt immer zwischen 0 und 1. Es gibt sichere und unmögliche Ereignisse. Wirft man etwa eine Münze, die auf beiden Seiten eine Zahl hat, ist das Ereignis Zahl sicher. Würfelt man mit einem Würfel, der die Zahlen 1 bis 6 trägt, dann kann keine 7 fallen. Sie liegt logischerweise nicht im Ereignisraum und ist ein unmögliches Ereignis. Zwischen sicheren und unmöglichen Ereignissen liegt der wesentlich interessantere Bereich: der der möglichen Ereignisse. Beim Münzwurf oder beim Würfeln sind alle Ergebnisse gleich wahrscheinlich. Aber dann gibt es die wesentlich spannenderen Zufallsexperimente, in denen die verschiedenen Elemente des Ereignisraumes unterschiedlich häufig eintreten. Die Eintretenswahrscheinlichkeit für die verschiedenen Ereignisse unterscheidet sich also, mitunter gravierend. Was nicht heißt, dass die unwahrscheinlichen Dinge nicht passieren. Sonst könnten Flugzeuge nicht abstürzen. Sonst hätte man nie ein kaputtes Ei im Eierkarton. Sonst wäre noch nie jemand vom Blitz getroffen worden.
Ich war immer noch fantastisch mit Zahlen. Sie lagen mir. Sie ergaben Sinn. Alles was man mit ihnen tut, geht am Ende auf. Gleichungen lassen sich auflösen und ich mochte das befriedigende Gefühl, schließlich den wahren Wert einer Variable zu ermitteln. Das war in der Schule so gewesen und war auch danach nie weggegangen. Wahrscheinlichkeitsrechnung, Analysis, Geometrie und ich waren einander immer freundlich gesinnt gewesen. Bis hierhin. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung hatte sich einen krassen Scherz mit mir erlaubt. Darüber zu lachen fiel verdammt schwer und darüber wütend zu sein fühlte sich nicht weniger falsch an. Die Konsequenzen, die dieses Eintreten der unwahrscheinlichsten aller Unwahrscheinlichkeiten hatte, brachten meine Knie zum Zittern, aus tausendundeinem Grund.
Alles neu.
Alles anders.
Unvorhersehbare Risiken.
Fehler.
Ein riesengroßer Fehler. Weil ich von falschen Voraussetzungen ausgegangen war? Oder weil ich die wahre Natur der Wahrscheinlichkeit unterschätzt hatte? Hatte ich ihre Unsicherheit übersehen wollen?
Lieber Lukas,
Ohne deine Hilfe stünde ich noch lange nicht wieder sicher auf meinen Füßen. Mir geht es gut- oft zumindest. Und wenn nicht, dann komme ich trotzdem zurecht. Du wirst lachen, aber ich habe doch noch verstanden, dass es die Optionen um Hilfe bitten und Hilfe annehmen wirklich gibt. Und ich wage zu behaupten, dass ich auch deswegen den Kopf wieder stabil über Wasser halte. Ich würde mich freuen, wenn du dich bei mir melden würdest, wenn du soweit bist. Wir sollten nochmal sprechen. Aus tausendundeinem Grund.
Um es mit A. A. Milnes Worten zu sagen:
"Ferkel merkte, dass er zwar nur ein ganz kleines Herz hatte, darin aber sehr viel Dankbarkeit Platz hatte."
Und mein Herz ist gar nicht so klein, Lukas.
Inga
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Frohe Weihnachten, ihr Lieben. Ich habe euch ein bisschen Rätselspaß mitgebracht 🎈🎄🎄
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Lieblingstag
Fiksi RemajaInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...