Pia
Die Haarspangen, mit denen ich meine widerspenstigen Haare fixiert hatte, die sich sonst hartnäckig aus dem Dutt verirrten, piekten mir fast unangenehm in die Kopfhaut. Ich trug zu meiner Lieblingsjeans einen bordeauxroten Pulli und meine Sneaker waren ungeahnt sauber- nach der O-Woche hatte ich sie in die WG-Waschmaschine stecken müssen. Meine Wimperntusche saß und ich riss mich dauerhaft zusammen, sie auf meinen Wimpern zu lassen und nicht mit meinen Händen in meinem Gesicht zu verteilen. Bereits die Einführungsveranstaltung hatte mich gelehrt, dass meine Kommilitoninnen größtenteils ziemlich akkurat gestylt waren- und die Jungs standen ihnen oft nicht viel nach. Ungeschminkt hätte ich mich unwohl gefühlt. Den fehlenden Schlaf der letzten Nacht hatte ich mit Kaffee ausgeglichen und ich war mir nicht sicher, ob das flaue Gefühl in meinem Magen darauf zurückging oder vielleicht doch auf meinen übertriebenen Herzschlag, mit dem ich die erste Vorlesung erwartete. Zwischen Vorfreude und Angst hin- und her taumelnd beobachtete ich, wie sich der Saal langsam füllte und wie sich die ersten Grüppchen, die sich in der Orientierungswoche gebildet hatten, wie alte Freunde begrüßten. Ich kannte das schon von Pharmazie- und wusste, dass das Los, das einen einer von vielen O-Gruppen zuwies, bestimmte, mit welcher Schicksalsgemeinschaft man durch die ersten Semester ging. Entsprechend hob ich die Hand, als ich Mina und Ole am Eingang des Hörsaals entdeckte. Ich wollte gar nicht erst das Risiko eingehen, zum einsamen Wolf zu werden und registrierte erleichtert, wie die beiden auf mich zuhielten.
„In meinem Badezimmer schimmelt es.", begrüßte Mina mich ohne Umschweife und ließ sich auf den freien Platz neben mir sinken. „Kannst du da helfen? Als unechter Ersti?"
„Ist es viel?"
„Weiß nicht. Eher nicht." Mina zuckte mit den Schultern. „Aber vielleicht wird es viel."
„Kaufe Schimmeltod, ziehe dir Handschuhe an, sprühe es drauf, mache das Fenster auf und warte eine Weile."
„Und dann?" Mina sah mich aus großen, besorgten Puppenaugen an. Ihr Makeup schlug meins- nicht nur was die Qualität, sondern gerade was die Quantität anging.
„Wenn es wiederkommt, rufst du deinen Vermieter an. Und sonst hast du erfolgreich Schimmel vertrieben.", erwiderte ich trocken und zuckte mit den Schultern. „Ist kein Hexenwerk."
„Kannst du das machen?"
„Schimmel wegmachen?", fragte ich ungläubig und Ole lachte laut auf.
„Klar macht sie das, Mina. Sie atmet dann das giftige Zeug für dich ein."
Ich hielt das für einen Scherz, bis Mina mich entschuldigend ansah. „Schimmelsporen sind jetzt nicht so gesund. Ich habe da schon Respekt vor."
„Mache halt das Fenster auf.", erwiderte ich und wusste nicht, ob ich ermutigend lächeln sollte oder nicht. Ich tat es- aber irgendwie erforderte es mehr Muskelanstrengung, als es sollte.
„Was hast du gestern gemacht, Pia? Wie bist du den Dauerkater von letzter Woche losgeworden?", fragte Ole mit einem Augenzwinkern und wechselte damit glücklicherweise das Thema. „Du warst ja Freitagabend fast so gut drauf wie ich- und ich habe das ganze Wochenende nur Toast gegessen, geschlafen und Serien geguckt."
„So ungefähr war es bei mir auch.", gab ich zurück und dachte an mein Probearbeiten, dass ich am Samstag im Überlebensmodus absolviert hatte. Ich hatte ungefähr so viel Makeup im Gesicht gehabt wie Mina jetzt, vorher einen Liter Wasser getrunken und ungefähr eine ganze Packung Kaugummi gekaut, bevor ich es gewagt hatte, meinen Mund aufzumachen. Die Gastro-Erfahrung der letzten Jahre- immerhin konnte ich unfallfrei Kaffeemaschinen bedienen, Tabletts tragen und mir Tischnummern merken- hatte mich offensichtlich gerettet und ich hatte den Job in einem der Studentencafés auf dem Campus trotz schwerer Augenlider bekommen. Den Rest des Wochenendes hatte ich dann tatsächlich in der WG und größtenteils im Bett verbracht- mit kurzer Unterbrechung von Jasja, die mit sehr neugierigem Blick gefragt hatte, weswegen ich am Freitagabend nicht mehr nach Hause gekommen war. Ich hatte ihr- widerstrebend- den Grund genannt und bei der Erinnerung daran, wurde mir auch in diesem Moment noch fast unangenehm warm und ich spürte, wie mir die Röte auf die Wangen kroch.
„Hey, da ist der Rest!" Ole, dem mein Farbwechsel zum Glück entgangen war, deutete Richtung Tür, winkte überschwänglich und ich wusste ohne hinzusehen, wer sich da auf den Weg zu uns machte. Meiner Gesichtsfarbe half das sicher nicht.
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Während Lukas beruflich also neue Wege in Erwägung zieht, hat Pia ihre O-Woche überlebt. Nur wie? :D

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Lieblingstag
Novela JuvenilInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...