Kapitel 21: Erkenntnisse (3)

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Pia


Paul warf mir einen spöttischen Blick zu, als das Geräusch der Wohnungsklingel mich zum wiederholten Mal an diesem Abend zusammenzucken ließ und mein Blick Richtung Hausflur schoss. Ich konnte nicht anders, als ihm ziemlich kindisch die Zunge herauszustrecken und er wandte sich betont gelassen wieder Bruno und zwei von dessen Kommilitoninnen zu. Er sah entspannt aus und ich hoffte, er würde die Distanz zwischen ihm und Kim für ein paar Stunden vergessen. Außerdem hoffte ich, dass irgendwer oder irgendwas seine Aufmerksamkeit so sicher binden würde, dass er nur mit halbem Auge auf mich und Lukas gucken würde- oder vielleicht auch gar nicht. Denn Paul hatte recht gehabt mit dem, was er am Nachmittag gesagt hatte: ich war verdammt nervös. So krampfig wie die Stimmung am vergangenen Sonntag beim Klettern geworden war, hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass Lukas unter irgendeinem Vorwand absagen würde. Er hatte sich die ganze Woche über nicht gemeldet und ich hatte ihm zwar hundertmal schreiben wollen, es aber doch erst heute über mich gebracht. Ich hatte eigentlich eine Menge Fragen und gleichzeitig das untrügliche Gefühl, dass ich kein recht hatte, sie zu stellen. Schon gar nicht dann, wenn Lukas nichts anderes von mir wollte, als mit mir zu klettern und danach Pizza zu essen.

Während die Wohnung sich füllte und die Stimmung langsam stieg, holte ich die fertigen Baguettes aus dem Ofen, schnitt sie klein und verteilte sie zusammen mit den mitgebrachten Dips in der Wohnung. Bruno und Martin waren so großzügig gewesen, ihre Zimmer zusätzlich zu Flur und WG-Küche als Partyfläche zur Verfügung zu stellen und schon um neun war ich froh darüber. Es wurde voll und laut und ich hoffte inständig, die Toleranz unserer Nachbarn würde eine deutliche Steigerung noch aushalten.

Erst, als die Leute aus meinem Präparierkurs mir erst eine und dann eine zweite Runde Schnaps aufdrängten, trat der Gedanke zurück. Der Präpkurs war eine gute Gelegenheit gewesen, sich an neue Menschen zu hängen und seit Niklas und ich uns keinen Freundeskreis mehr teilten, machte die Uni mir ungleich viel mehr Spaß. Paul gesellte sich schließlich zu uns und als wir ihm in schillernden Farben davon erzählten, wie wir Anatomie an echten, menschlichen Leichen lernten und dabei vielleicht zu viel Spaß an seinem blasser werdenden Gesicht hatten, vergaß ich sogar die Türklingel. Nach dem ersten Hugo schlang ich meinen Arm sicherheitshalber um Pauls Hüfte- weniger, weil ich nicht mehr hätte stehen können, sondern weil eine meiner Freundinnen, die selbst ritt, mit verdächtig leuchtenden Augen Paul über seinen Job ausfragte. Ich kannte den Blick und wollte, Kim zuliebe, lieber auf Nummer sicher gehen.

„Willst du deinem Typen eigentlich signalisieren, dass du auf mich stehst?", murmelte Paul irgendwann. „Ich meine, meinetwegen kannst du so stehenbleiben, aber an seiner Stelle würde ich mich fragen, warum du mich dauerhaft betatschst. Nur mal so als guter Ratschlag."

„Ich betatsche dich nicht.", erwiderte ich, bevor ich meinen Blick durch den Wohnungsflur schweifen ließ. Mittlerweile war es so voll, dass die Leute sich aneinander vorbeidrängten. Es waren niemals nur die fünfzig Leute da, die wir eingeladen hatten. Es schien eher so, als hätte jeder noch mindestens ein Anhängsel mitgebracht und ich hatte mitbekommen, dass Martin mit einem seiner Kumpels losgezogen war, um Bier nachzukaufen. „Ich habe dich halt lieb und der Typ ist noch nicht da."

„Noch nicht da." Paul schmunzelte und drehte sich so, dass er die Wohnungstür im Blick behalten konnte. „Das war ein Eigentor, Pia. Das schränkt die Auswahl ein."

Ich kam nicht dazu, irgendetwas zu erwidern. Just in dem Moment machte jemand, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, unsere Wohnungstür auf und im Türrahmen stand niemand anders als Lukas. Ich erstarrte, was Paul zum Glück verborgen blieb. Zumindest hob der seinen Arm und winkte wild, kaum, dass er Kims Bruder erkannt hatte. Lukas Blick schweifte suchend durch die Menge an fremden Leuten vor ihm, bis er an Pauls Hand hängen blieb. Er lächelte, als er uns sah, warf seine Jacke auf den Haufen unter der Garderobe und bahnte sich seinen Weg zu uns.

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