Kapitel 26: Gewitter (6)

316 13 3
                                    


Lukas



Die Kopfschmerzen kamen in der Bahn auf dem Weg nach Hause. Ich fühlte mich wie überfahren, während ich aus dem Fenster sah und die Stadt so schnell an mir vorbeizog, dass ich kaum noch hinterherkam. Als ich ausstieg und von der Haltestelle langsam zur Wohnung ging, war ich doppelt so langsam wie sonst, und die Treppe hoch zur Wohnung schien mindestens dreimal so lang. Drinnen warf ich meine immer noch klammen Klamotten über die Wäschekiste, ging duschen und ließ mir das warme Wasser auf den Nacken prasseln, bis die Vernunft mich ermahnte, endlich die Dusche auszustellen. Auf dem kurzen Weg in mein Zimmer merkte ich erst, wie verspannt meine Muskeln waren. Steif zog ich mir Jogginghose und T-Shirt und selbstgestrickte Socken von Julians Mutter an, während ich daran dachte, dass ich Pia versprochen hatte, sie anzurufen. Ich wusste, dass sie sauer sein würde- und ich hatte eine Meinung dazu, die ich noch nicht abschließend mit mir selbst geklärt hatte. Deswegen hatte ich sie nicht schon im Krankenhaus angerufen und sie gebeten, mich nach Hause zu bringen. Müde ließ ich mich auf mein Sofa fallen und zog mir halbherzig eine Wolldecke über den Körper. Ich wollte nur eine kurze Pause machen und mich dann bei ihr melden, damit sie sich keine unnötigen Sorgen machte.

Stattdessen schlief ich ein und wachte erst auf, als Enno zwei Stunden später vom Sport zurückkam und mich weckte, indem er fest an meiner Schulter rüttelte.

„Hey, Lukas!", hörte ich ihn laut sagen, bevor ich ihn mit schweren Augenlidern anblinzelte und widerwillig die Frage, wo ich gerade sei, beantwortete.

„Na, immerhin weißt du noch wer und wo du bist." Enno seufzte und richtete sich auf. „Wie lange bist du schon zuhause?"

„Ein paar Stunden.", murmelte ich und setzte mich vorsichtig auf. „Sorry für die Nachricht, aber...." Statt Pia hatte ich ihm geschrieben. Er hatte mich nicht abholen können, aber versprochen, nach mir zu sehen, sobald er nach Hause kam. Offensichtlich hielt er Wort.

„Kein Ding. So lange ich dir nicht regelmäßig nach Schlägereien die Hand halten muss."

„Das war keine Schlägerei.", protestierte ich lahm und ineffektiv.

„Du hast eine genähte Lippe.", entgegnete Enno, als sei damit alles gesagt und ich nickte stumm. „Wie geht es Inga? Ist alles gut gegangen?"




Während ich erzählte, mit einem von Ennos Körperkissen auf meinem mittlerweile brettharten und steifen Nacken, kümmerte Enno sich um die Blätterteigtaschen, die Pia und ich hatten essen wollen. Als er das Essen in den Ofen schob und die Klappe vom Backofen zuschlug, warf er mir danach einen ernsten Blick zu.

„Ihr müsst das dringend in den Griff kriegen. Du, Inga und der Typ. Sonst gibt es nur Verlierer."

„Das weiß ich." Ich wusste, dass ich mit Mark sprechen musste- und das am besten ohne Inga. Es gab zu viele ungeklärte Dinge zwischen uns. Ich machte mir keine Illusionen- für Mark war ich der Quell allen Übels, und ich zog in Betracht, dass er damit nicht ganz falsch lag. Wie er und ich an einem Strang ziehen sollten war mir ein Rätsel. Meine Interessen zu wahren würde kaum eine seiner Herzensangelegenheiten werden und sein einziger Wunsch schien zu sein, mich so gründlich aus seinem und Ingas Leben zu entfernen wie möglich. Meine Lippe ziepte schmerzhaft, als ich daran dachte. Mir dämmerte seit dem Besuch im Krankenhaus, dass ich unterschätzt hatte, was da wirklich auf mich zukam. Marks Feindseligkeit war auf einem ganz anderen Level, als ich vorhergesehen und Inga mir verkauft hatte. Und – und als ich daran dachte spürte ich einen dicken Kloß im Hals- möglicherweise hatte ich keine Ahnung davon, was es wirklich bedeuten würde, ein Kind zu haben. Es ging nicht ums Geld und nicht um die Zeit, die draufgehen würden, sondern um mich. Was es mit mir machen würde. Angst in der Intensität, wie ich sie nach dem Anruf gespürt hatte, hatte ich selten gefühlt. Und als meine Hand auf Ingas Bauch gelegen hatte, als ein Fuß oder eine Hand sich unter meinen Fingern bewegt hatten, war da eine ganze Menge mehr gewesen, über dass ich nicht nachdenken konnte, ohne dass es mir Tränen in die Augen trieb. Ich hatte keine verdammte Ahnung. Vielleicht fiel es mir deswegen so schwer, nach dem Essen Pia anzurufen. Sie ging nicht ran, auch beim zweiten Versuch nicht, und schließlich schrieb ich ihr eine lange Nachricht, in der ich erklärte, was passiert war. Ziemlich sicher war sie wütend. Ich wartete eine halbe Stunde auf ihren Rückruf- der nicht kam- bevor ich ins Bett ging.

Es regnete immer noch stark und die dicken Tropfen klatschten laut auf das Fenster über meinem Kopf, während ich unschlüssig mein Handy in der Hand hielt. Es gab noch jemanden, den ich anrufen sollte. Ich war mir nur nicht sicher, ob der Zeitpunkt günstig war. Vermutlich nicht. Trotzdem überwand ich mich schließlich und wählte.

„Feldmann.", meldete sich Felix gewohnt genervt am Telefon.

„Hey, Felix. Ich bin's. Wobei habe ich dich gestört?"

„Du hast mich nicht gestört.", log er- und ich hätte schwören können, dass er auf dem Sofa vorm Fernseher lag.

„Meinst du, du kannst du mir Papa geben? Ist der da?"

Felix lachte glucksend, bevor er die Stimme senkte. „Der hat sich im Arbeitszimmer eingeschlossen und überlegt, wie er Paul ohne Mamas Unterschrift feuern kann. Bist du sicher, dass ich ihn stören soll?"



----

Schon wieder eine zeitnahe Fortsetzung. Ich könnte mich daran gewöhnen 😀

LieblingstagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt