Lukas
Der Samstag ging friedlich los. Felix blieb im Bett, während ich mit Sina dabei zusah, wie Raindrop auch im Grand Prix Spécial die Nerven behielt. Wenn er so ging, dann machte nicht nur das Zuschauen, sondern offensichtlich auch das Reiten eine Menge Spaß. Julian strahlte untypischerweise schon, bevor er auf die Schlusslinie abwendete und fiel dem Hengst nach dem Grüßen zufrieden um den Hals. Der marschierte danach ganz ohne Julians Zutun am langen Zügel mit gespitzten Ohren auf Sina und mich zu und schnappte seinem Pfleger Max, der mit uns den Ritt verfolgt hatte, die Leckerchen aus der Hand, bevor er mehrfach tief und zufrieden schnaubte und sich schüttelte. Wir wischten uns alle den Pferdesabber aus dem Gesicht und von den Klamotten, während wir auf die Bewertung warteten. Es gab gut 76%, erst ein Stirnrunzeln von Julian und dann ein Schulterzucken.
„Passt das?", fragte er vom Pferd aus Richtung Sina.
„Passt schon", bestätigte sie. „Vielleicht waren sie ein bisschen geizig mit den Punkten im Vergleich zu den anderen."
„Das wäre auch so mein Gefühl.", murmelte Julian, der den Kopf schüttelte, bevor er tief durchatmete, Raindrop den Hals tätschelte und danach Richtung Abreiteplatz ritt, um den Hengst austraben zu lassen. Max folgte im Laufschritt, während Sina und ich langsamer hinterhergingen.
„Das Pferd ist bei den Richtern einfach nicht beliebt.", erzählte sie mir leise. „Der kriegt einfach konstant über Prüfungen und Turniere hinweg ein bis zwei Prozent weniger, als er verdient hätte. Als ob er präventiv dafür abgestraft würde, dass er ja mal den Dienst verweigern könnte. Da werden Fehler schon mal teurer als bei anderen Pferden."
„Meinst du?"
Sie lächelte vage. „Natürlich meine ich das. Ich sage ja nicht, dass die beiden 80% hätten kriegen müssen. Aber 76% ist schon knapp, gemessen daran, wie die Punkte hier und heute verteilt wurden."
„Und was macht ihr deswegen?"
„Was sollen wir schon machen?" Sina schmunzelte. „Besser reiten soll mein Mann und wenn das nicht reicht, dann müssen wir die Augen nach neuen Pferden offenhalten. Also alles wie immer. Wir werden uns sicher nicht beschweren, wenn du das meinst."
Es gab am Ende für Julian einen vierten Platz, den er, wann immer ihn jemand beglückwünschte oder darauf ansprach, stets mit einem zunehmend stoischen „Ich bin stolz auf mein Pferd" kommentierte. Mehr war aus ihm nicht herauszukriegen und ich ahnte, dass er sich so vornehm zurückhielt, um gar nicht erst Gefahr zu laufen, den falschen Leuten auf die Füße zu treten.
Nikita lief unterdessen noch vor dem Mittagessen mit Paul eine Runde, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Sie stellte keinen Sprung in Frage, sie zog alles an und guckte nicht, aber sie ging auch ziemlich über Tempo. Damit schienen aber sowohl sie als auch Paul sich arrangieren zu können und der Flüchtigkeitsfehler am dritten Sprung blieb der einzige Stangenkontakt der ganzen Runde. Trotzdem war ich, gerade nach dem Auftritt mehr denn je davon überzeugt, dass es damals richtig gewesen war, sie nicht beim Bundeschampionat vorzustellen. Nikita kam, trotz milder frühlingshafter Temperaturen ziemlich verschwitzt aus dem Parcours, was sich nicht auf eine schlechte Grundkondition zurückführen ließ. Sie mochte für Paul todesmutig Häuser springen, aber sie blieb in der fremden Umgebung einfach angespannt. Als ich Sina darauf ansprach, bedachte sie mich mit einem fast spöttischen Lächeln.
„Was erwartest du denn, Lukas? Für ihr Alter hat sie quasi noch nichts gesehen. Und das liegt nicht an Paul oder an mir."
Der Vorwurf kam an und ich behielt danach meine Meinung für mich. Ich hatte die Verantwortung abgegeben, jetzt musste ich damit leben.
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Lieblingstag
Teen FictionInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...