Lukas
„Dann ist ja doch noch bei dir angekommen, was da auf dich zukommt.", sagte Julian, als ich die Schilderung des Nachmittags abschloss. „Wenn auch mit roher Gewalt."
Ich schloss meine Augen und wollte meinen Kopf schütteln, hielt aber inne, als mir ein atemraubender stechender Schmerz durch den Nacken fuhr. Je mehr Zeit verstrich, umso mehr fühlte ich mich, als wäre ich nicht gegen eine Wand gestolpert, sondern von einem LKW überrollt worden. Auf jeden Fall dämmerte mir, dass Mark mich nicht mit Samthandschuhen angefasst hatte, sondern es ziemlich ernst gemeint haben musste. „Ich fühle mich wie ein Idiot."
„Ach, Lukas." Julian seufzte tief. „Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll."
„Das ich wirklich ein Idiot bin?", schlug ich trocken vor.
„Das ist nicht mehr nötig, oder?" Zum ersten Mal, seit er von Ingas Schwangerschaft gehört hatte, schwang Versöhnlichkeit in seiner Stimme mit.
„Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen.", murmelte ich und kniff die Augen fester zusammen. „Ich kann nicht. Und..."
„...und spätestens jetzt willst du es auch nicht mehr, hm?"
„Was hätte ich machen sollen? Einen halben Kilometer Abstand zu Inga halten sollen, bis das Kind da ist?" Wahrscheinlich wäre das klug gewesen. Stattdessen spürte ich jetzt noch immer das sanfte Kribbeln unter meinen Fingern und ein Gefühl zwischen den Rippen, dass ich lieber nicht benennen wollte. Das Atmen war mir jedenfalls bislang selten so schwer gefallen wie jetzt- und daran trug Mark keine Schuld.
„Das kann einem in Lichtgeschwindigkeit den Boden unter den Füßen wegziehen, was?" Julian lachte schallend und ich wusste, dass er auch ganz ohne Beschreibung verstand, was ich gerade versuchte, mit mir auszumachen.
„Das ist nicht lustig.", erwiderte ich matt.
„Doch. Weil du vorher ernsthaft meintest, dass du alles im Griff hast und so gar nicht hören wolltest, dass du keine Ahnung hast, was da auf dich zukommt- und damit meine ich nicht den unvermeidlichen Stress mit Ingas Freund. Das ist nur ein weiterer Bonus, den du dir selbst angetan hast." Julian holte tief Luft und wurde ernst. „Lukas, du wirst das hinkriegen. Aber so wie es aussieht, hast du dir die größtmögliche Verantwortung ans Bein gebunden, die ich mir vorstellen könnte und beschlossen, sie in der kompliziertesten und unangenehmsten Personenkonstellation zu teilen, die ich mir vorstellen kann. Ich habe keine Lust, dir das schönzureden."
Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Vielleicht hatte ich auch deswegen erst jetzt angerufen, weil ich vorher noch nicht bereit gewesen war für die Worte und Fragen, die er noch für mich übrig hatte. Ich schloss die Augen, als er auf Pia zu sprechen kam. Mich wunderte nicht, dass er ihr, wenn sie seine Tochter gewesen wäre, dazu geraten hätte, mich abzuhaken, aber ich hatte ihn trotzdem auf meiner Seite erwartet. Er war eben er. Er war eben immer auf meiner Seite gewesen- und über die Jahre hatte ich gelernt, darauf zu vertrauen. Das er jetzt die Frage stellte, ob ich gut für Pia sei, ob meine Situation gut für Pia sei, traf mich. Als ob ich mir diese Fragen nicht immer wieder selbst gestellt hätte, bis ich beschlossen hatte darauf zu vertrauen, dass Pia ihre eigenen Entscheidungen treffen konnte. Es war mir schwer genug gefallen. Als ich das zu Julian sagte, hörte ich ihn frustriert seufzen.
„Ich denke doch nicht, dass du dir keine Gedanken machst und ich glaube doch auch nicht, dass du ihr absichtlich wehtust. Ich kenne dich, Lukas. Aber du hast selbst heute erkannt, dass du die Situation unterschätzt hast." Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Es wird nicht einfacher von jetzt an. Nicht, wenn es wirklich deine Tochter ist und du dich auch so um sie kümmern möchtest."
Wir sprachen noch lange, obwohl wir beide uns mehr als einmal zusammen nehmen und sammeln mussten, bevor wir weitersprechen konnten. Julian stellte die unangenehmen Fragen. Wahrscheinlich waren es die wichtigen. Einige davon dümpelten sowieso schon seit dem Besuch im Krankenhaus an der Oberfläche meines Bewusstseins herum. Die schlimmste Frage stellte er zuletzt.
„Liebst du sie?"
Ich konnte ihm nicht antworten und das lag nicht daran, dass ich keine Antwort auf die Frage hatte.
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Ihr Lieben, mir ist in den letzten Monaten mal alles zu viel geworden. Selbst Schreiben, was mir sonst ja einfach Spaß hat, war nur noch stressig. Deswegen habe ich dann auch eine lange selbstverordnete Pause ohne definiertes Ende gemacht und gebraucht. Jetzt habe ich aber wieder Lust weiterzumachen und würde mich freuen, wenn noch Leute dabei sind :)
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Lieblingstag
Teen FictionInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...