Lukas
Es war ein seltsames Gefühl, Fabeck und Koch auf dem Klingelschild zu lesen. Es war eine Sache zu wissen, dass sie einen neuen Freund hatte und mit dem zusammenlebte. Damit war ich seltsam okay gewesen. Zumindest hatte ich den Gedanken gut beiseiteschieben können. Die gemeinsame Wohnung der beiden zu betreten war etwas anderes. Das machte es endgültig. Das zwang meinen Kopf dazu, anzuerkennen, dass die beiden jetzt das hatten, was sie und ich mal gehabt hatten. Ich atmete tief durch, bevor ich den Klingelknopf drückte und auf das Einsetzen des Türsummers wartete. Lächerlicherweise erschrak ich trotzdem, als er einsetzte und drückte fast hektisch die Haustür auf. Im Treppenhaus war es- ganz anders als draußen- angenehm kühl. Trotzdem spürte ich meinen Herzschlag im Hals, während ich die Treppen in den dritten Stock hochging, was genauso wenig an der Temperatur lag wie an den Stufen.
„Hey.", hörte ich, als ich eine geöffnete Wohnungstür sah, vor der eine schlichte, schwarze Fußmatte lag. Ink sah ich erst, als ich im Türrahmen stand und direkt in die helle, modern eingerichtete Wohnung sah. Sie trug einen grauen Jumpsuit, dessen Farbe sie wohl eher mit anthrazit bezeichnet hatte. Ihre Haare waren raspelkurz und ihre Nase und ihr Kinn waren spitzer geworden. Noch bevor mir eine Begrüßung über die Lippen kam, registrierte ich ihre sich deutlich abzeichnenden Schlüsselbeine. Sie war immer schlank gewesen, aber nie dünn. Jetzt erinnerte sie mich mehr an Ariana, die nach der Schule in den Niederlanden zeitgenössischen Tanz studiert hatte und ihr Geld mittlerweile als Tanzpädagogin verdiente. Bei unserem letzten, eher zufälligen Treffen in der Heimat hatte sie gleichzeitig verdammt trainiert und schmal ausgesehen.
„Hi." Mehr kam nicht über meine Lippen.
Inks Lippen deuteten ein Lächeln an, das in der Mitte des Gesichts hängen zu bleiben schien. Ihr Blick schob mich dabei fast rückwärts aus der Tür. „Du hast gutes Wetter mitgebracht."
„Ich habe mich bemüht. Soll ich..." Ich deutete auf meine Schuhe und wartete ihre Antwort nicht ab, bevor ich sie mir abstreifte. Der helle Parkettboden unterm einen Füßen war so sauber, dass ich mich kaum von der Fußmatte heruntergetraut hatte.
„Wie du willst." Sie zuckte mit den Schultern und beobachtete, wie ich meine Schuhe neben dem Schuhregal parkte, auf dem große und blitzblanke Anzugschuhe standen, die ihrem Freund gehören mussten. Ich sah seine Jacken und ein schwarzes Sakko an der Garderobe hängen und schluckte zwei Erkenntnisse gleichzeitig herunter: Ich hatte sein Zuhause betreten- was mir das Gefühl eines Eindringlings gab. Und es gab nicht einmal eine flüchtige Begrüßungsumarmung von Ink. Sie stand anderthalb Meter mit verschränkten Armen von mir entfernt, als litte ich an einer ansteckenden Krankheit.
„Wie geht es dir?" Ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick bei der Frage einen Sekundenbruchteil zu lang an ihrem Kurzhaarschnitt hängen blieb, weil ich einfach mir nicht vorstellen konnte, dass sie ihre Meinung darüber geändert hatte. Sie liebte ihre Locken. Zum Spaß hatte sie die sicher nicht abgeschnitten.
„Läuft." Sie lächelte ihr halbes Lächeln, bevor sie sich umdrehte. „Komm mit."
Ich folgte ihr in die helle, geräumige Küche, wo sie sich an die Arbeitsplatte lehnte, die Arme immer noch verschränkt. „Und bei dir? Du bist fertig?"
„Ja." Meine Zunge fühlte sich bleischwer an, weil dieser Smalltalk sich steif und falsch anfühlte. Hilflos ließ ich meinen Rucksack von meiner Schulter gleiten und zog die Weinflasche heraus. „Vinho Verde, wie bestellt." Ich hielt in ihr hin und sie kam mir gerade so weit entgegen wie nötig, um ihn mir abzunehmen.
„Hätte nicht erwartet, dass du daran denkst."
„Ich hätte nicht erwartet, dass ich den mitbringen soll.", erwiderte ich wahrheitsgemäß, während sie die Flasche in einem Kühlschrank verstaute, der ungefähr doppelt so groß war wie der, den wir damals besessen hatten. Überhaupt- alles in dieser Wohnung war mindestens eine Nummer größer und teurer. Vielleicht, weil sie einfach keine Studentin mehr war. Vielleicht, weil er noch weniger Student war. Ich wusste es nicht. Mit einem unguten Gefühl ließ ich mich auf einem der Stühle an dem runden Esszimmertisch sinken. Der Rucksack neben mir wirkte so deplatziert und klein in dieser Küche wie ich mich fühlte. Ich war mir meiner selbst und jeder meiner Bewegungen jedenfalls unangenehm bewusst. Als Inga sich wieder zu mir umwandte, sah ich in ihren Augen, dass sie bemerkte, wie ich mich fühlte.
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Lieblingstag
Teen FictionInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...