Kapitel 16: Haie (9)

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„Kein Stress." Lukas lächelte ein schiefes, müdes Lächeln, bevor er den Rest Punsch mit einem großen Schluck herunterkippte und dann kurz und tonlos auflachte. „So sensibel bin ich da nicht mehr."

„Warst du es mal?" Die Frage stolperte über meine Lippen, bevor ich mich zurückhalten konnte- und ich verdrehte über mich selbst die Augen. „Sorry, Lukas. Falls es angebracht ist. Und mein Mund zu schnell war. Sorry."

Dieses Mal lachte er wirklich, lehnte sich mit einem tiefen Atemzug gegen die Sofalehne und betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf. Vermutlich dachte er darüber nach, wie indiskret ich noch werden wollte. „Ja, war ich mal.", sagte er dann ruhig und sehr zu meinem Erstaunen. „Ich habe da mal unterschieden und ich habe da eine Zeit lang ziemlich ätzend drauf reagiert, wenn jemand Kim und Felix zu meinen Geschwistern machen wollte."

„Aber jetzt ist es Geschwisterliebe?"

„Sicher. Ich schneide Kim die Haare. Das mache ich nicht für jeden. Für dich würde ich das zum Beispiel nicht machen." Er verkniff sich ein noch breiteres Lächeln und räumte mit der Antwort meine Sorge, durch dünnes Eis zu brechen, aus dem Weg.

„Ich würde dich auch niemals fragen.", entgegnete ich und unterdrückte den albernen Impuls, ihn mit dem Sofakissen abzuwerfen. Ich hatte eindeutig zu viel Punsch intus, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen oder unfallfreie Unterhaltungen zu führen. „Also schneidest du deiner Schwester die Haare und besorgst deinem Bruder Ponys, wenn du deine Liebe zum Ausdruck bringen willst?"

„Ich habe Felix kein Pony besorgt.", wehrte er ab.

„Du hast das mit Niro eingefädelt. Hat Kim erzählt."

„Ich hatte die Idee. Den Rest haben die anderen erledigt."

„Trotzdem danke.", sagte ich, hob die Schultern und tat es Lukas dann gleich und trank meinen eigenen Becher aus. Der Punsch war längst kalt geworden.

„War nicht leicht für dich, oder?", fragte er. „Und um deine Worte zu gebrauchen: sorry, wenn das unsensibel ist."

„Ich bin da vielleicht noch empfindlich.", spielte ich auf seine Antwort an und mied seinen Blick. „Ist halt mein Pony. Und klar ist der fett und frech geworden, aber das war immer meiner. Seit ich das erste Mal draufgesessen habe, habe ich den nicht mehr so lange am Stück nicht gesehen. Und jetzt muss der auch noch schuften und hat niemanden, der seine rehegefährdeten Hufe hält und ihn mit Sauerstoff versorgt." Ich versuchte, darüber zu lachen und mit dem letzten Satz zu entkräften, wie sehr ich Niro vermisste, aber Lukas lachte nicht mit.

„Er gehört dir doch immer noch. Und Kim hat ihn doch sicher für dich im Blick. Der ist wahrscheinlich das bestbetreute Pferd im Stall derzeit."

„Ist er. Aber er kann mir hundertmal gehören: ich kann ihn nicht zurückholen. Und wenn ich es hundertmal wollte." Damit hatte ich wirklich mehr gesagt, als ich ihm hatte erzählen wollen und ich stand auf, um die Becher in die Küche zu räumen- und seinem Blick auszuweichen.

„Willst du das denn?"

„Nein." Und ja. Nein, weil mir schon bei dem Gedanken, die erforderliche Zeit und das erforderliche Geld aufzubringen, der Angstschweiß auf die Stirn trat. Und ja, weil ich gerade in den letzten zwei Wochen vermisst hatte, mich einfach bei ihm im Stall zu verschanzen und den Rest der Welt außen vor zu lassen. Niklas, zum Beispiel. Ganz sicher insbesondere Niklas. „Manchmal.", räumte ich ein, als Lukas mein Schweigen nicht weniger wortkarg erwiderte. „Nicht wirklich. Nicht, wenn ich mal alle Tassen im Schrank habe und rational denke. Soll ja nicht so oft vorkommen."

„Nicht?"

„Frage meine Kommilitonen. Oder besser nicht." Ich ging zum Tisch herüber, um auch Lukas leeren Becher einzusammeln.

„Wie unsensibel ist es, wenn ich nachfrage?", fragte er, während er mir den Becher reichte. Er hielt ihn fest, als ich danach griff und meine Augen füllten sich unpassenderweise mit Tränen. Fuck.

„'Ne glatte Zehn."

„Und wenn ich trotzdem unsensibel bin und einfach frage?" Er hielt immer noch den Becher fest und seinen Blick auf mein Gesicht geheftet, auch, als meine freie Hand eine Spur zu langsam die Träne auf meiner Wange wegwischte. Ich vermisste Niro. Aus tausendundeins Gründen. Und der Typ vor mir, den ich kaum kannte, war vermutlich der erste, der sich überhaupt traute danach zu fragen. Und er war sicher der erste, der überhaupt in die Nähe meiner letzten zwei Wochen kam. Arglos, weil ahnungslos- und deswegen ziemlich furchtlos. „Du willst nicht hören, was ich gemacht habe.", sagte ich leise und schüttelte den Kopf, während ich versuchte herunterzuschlucken, was sich gerade seinen Weg an die Oberfläche gebahnt habe.

„Willst du es denn erzählen?"




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Und? Will sie es erzählen?

Und sorry, dass es gerade eher in kleinen Schritten vorangeht hier, aber ich habe gerade  unheimlich viel zu tun. 

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