Kapitel 15: Neuland (5)

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Inga



Es war fast acht, als mein Handy vibrierte und eine Nachricht von Daniel anzeigte.

„Er will nicht mir dir reden, Ink. Ich habe vorgefühlt- keine Chance. Lass es gut sein. Euch beiden zuliebe."

„Was macht ihr?", schickte ich sofort zurück, bevor mir seine Worte wirklich ins Bewusstsein gedrungen waren.

„Wir gehen Essen. Das Gespräch ist gut gelaufen und wir fahren morgen Abend zusammen zurück. Lass ihn in Ruhe, okay?"

Diese drei Worte von Daniel waren wie ein Peitschenhieb. Lass ihn in Ruhe. Natürlich würde ich ihn in Ruhe lassen. Ich rief ihn nicht an. Ich schrieb ihm nicht und ich versuchte zu akzeptieren, dass ich eine Brücke gesprengt hatte- so wie ich es auch beabsichtigt hatte. Bevor Lukas in Berlin aufgetaucht war, hatte ich nicht in Frage gestellt, was ich mit Mark hatte. Ob es reichte. Ob es anders war- oder weniger. Mark war fantastisch und mit ihm machte ich jene Haken an Lebensziele, die ich schon- oder vielleicht eher noch- zu Schulzeiten gehabt hatte. Leben in Berlin- Check. An beruflichen Zielen arbeiten- Check. Große Wohnung- Check. Keine Geldsorgen- Check. Schöner Ring am Finger-Check. Urlaub in der Sonne-Check. Und ganz nebenbei liebte ich ihn. Neben den tausend Haken auf meiner Liste, liebte ich ihn. Und war ihm dankbar. Und fühlte mich schuldig, weil ich eben nur liebte und nicht verliebt war. Weil ich seit diesem Sommerabend, an dem Lukas in unserer Wohnung gesessen hatte, ein überwältigendes Schuldgefühl spürte, wenn ich mir immer öfter beim Einschlafen wünschte, der Arm, der sich um eine Hüfte schlang, wäre der von Lukas. Weil ich nachts und tagsüber gleichermaßen an die tausend ersten Male dachte, die ich mit Lukas geteilt hatte. Das Leben hatte damals geprickelt. Nicht nur Berührungen, auch Erlebnisse. Urlaube, Picknick mit Freunden, Festivals, ein furchtbarer Tanzkurz- es hatte sich lebendig angefühlt. Jetzt lag ein Schleier über allem. Über dem Schönen und dem Anderen. Und so sehr ich Angst davor gehabt hatte, neben Lukas zu ersticken, so schlecht bekam ich Luft, seit er vollständig aus meinem Leben verschwunden war. Als ob ich ihn als Teil von mir gebraucht und ihn trotzdem weggesprengt hätte. Als ob ich einem Teil von mir wehgetan hätte, statt wegzuschneiden, was mir geschadet hatte. Es war grauenhaft. Ich wollte diesen Teil reparieren. Ich wollte Lukas reparieren. Ich wollte wissen, dass er okay war. Ich wollte ihn umarmen und spüren, das alles noch da war. Die Sturheit, der Ehrgeiz, die Verwundbarkeit und diese unfassbare Wärme, die von ihm ausging.

„Pass auf ihn auf, ja?" Das war die einzige Antwort, die ich auf Daniels Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen, schreiben konnte. Auf eine Reaktion von Daniel wartete ich danach vergeblich. Entweder, weil die drei den Abend zu sehr genossen, als das er an mich gedacht hätte. Oder- und das war sehr viel wahrscheinlicher- weil er fand, dass ich kein Recht hatte, darum zu bitten. 





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