Kapitel 21: Erkenntnisse (6)

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Felix war nicht mit der Sprache rausgerückt, bis er nicht die Hälfte meines Brotvorrates getoastet, mit Butter bestrichen und aufgegessen hatte. Erst dann hatte er den Teller beiseitegeschoben, die Füße auf die Stuhlkante gestellt, seine Arme um seine Knie geschlungen und mich angesehen. Was er dann erzählt hatte, hatte ich mit Felix sehr wenig übereinbringen können. Er erzählte davon, dass er aufhören wolle zu reiten. Dass es ihm keinen Spaß mehr machte und dass er mehr Zeit für seine Leichtathletikgruppe haben wollte. Er bügelte alle meine Einwände, dass das verdammt plötzlich käme, einfach ab. Er hätte halt schon länger darüber nachgedacht, aber er könne es Julian und Sina nicht sagen. Ich glaubte ihm kein Wort. In den letzten Monaten hatte ich so viele Bilder von ihm mit Niro bekommen und auf den Bildern, auf denen er nicht konzentriert die Luft angehalten hatte, hatte er über das ganze Gesicht gestrahlt. Er liebte das Pony und es hatte für mich und sicher auch alle anderen in den letzten Monaten so ausgesehen, als würde er nachts vom Preis der Besten träumen.

„Ich bin da halt rausgewachsen.", sagte er, als ich ihm nicht glauben wollte und schickte noch bissig hinterher: „Niemand kann von mir erwarten, dass ich den Rest meines Lebens Ponys im Kreis reiten will, oder?"

„Ponys im Kreis reiten?", wiederholte ich leise und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

„Was ist das denn sonst?" Er schluckte sichtbar, bevor er mit den Schultern zuckte. „Dieser ganze Scheiß von wegen mit dem Pferd tanzen ist doch lächerlich."

„Wenn du das meinst."

Felix presste die Lippen aufeinander und für einen Augenblick war ich mir fast sicher, dass seine Augen unnatürlich glänzten. „Ich kann das nicht mehr machen, Lukas.

„Mit dem Pferd tanzen?", fragte ich sarkastisch, weil ich das Felix noch nie zuvor hatte sagen hören. Bei uns zuhause im Stall wurde dieses Bild so selten bemüht, dass ich erst nicht darauf kam, warum es Felix stören sollte. Der verzog schon angewidert das Gesicht, bevor das letzte Wort meine Lippen verlassen hatte.

„Sage das nicht.", murrte er- und ich registrierte die unausgesprochene Drohung in seiner Stimme.

„Du hast damit angefangen."

„Weil ich mir das ständig anhören muss.", presste Felix zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und kniff die Augen zusammen.

„Seit wann erzählt Julian, dass...."

„Papa erzählt gar nichts.", unterbrach Felix mich ungehalten. „Aber..."

„Aber...?", hakte ich nach, als sein Satz unvollendet in der Luft hängen blieb. „Erzählt Annalena, dass Dressurreiten nicht cool genug ist?" Wieso ich die Frage stellte- und wieso ich sie in einem provokanten Ton zwischen uns in den Raum stellte, ging mir selbst erst auf, als ich in Felix Gesicht sah.

Seine Unterlippe bebte- und ich war mir nicht sicher, ob ich mit meiner Provokation einen Schritt zu weit gegangen war. Die Stille zwischen Felix und mir hielt sich hartnäckig und als ich sah, dass seine Finger, die er unter seinen Unterarmen vergraben hatte, zitterten, wollte ich ihn umarmen. Ich wollte ihm sagen, dass alles gut war- oder werden würde. Aber er kam mir zuvor.

„Weißt du, wie sie mich nennen?", fragte er mit brüchiger Stimme.

„Nein.", antwortete ich und wusste nicht, ob ich die Antwort hören wollte.

„Primaballerina." Er schluckte und schloss die Augen. „Primaballerina.", wiederholte er dann mit gepresster Stimme. „Sie nennen mich Primaballerina, weil ich Dressur reite, Lukas. Weißt du, wie sie mich nennen werden, wenn sie mitkriegen, dass..." Er brach ab, schlang die Arme fester um seine Knie und fing sichtbar an zu zittern.

„Das sind Idioten."
„Das sind meine Freunde, Lukas."

Danach erzählte er von seinen Freunden, die nie ein Problem mit den Pferden gehabt hatten, bis einer von denen sich zuletzt übers Dressurreiten informiert hatte. Und dann hatten sie herzlich gelacht: über den Tanz mit dem Pferd, über weiße Reithosen und über Zöpfe in der Mähne. Sie hatten Felix damit aufgezogen, dass er in diesem Mädchensport so gut war. Seitdem war er Dancing Queen oder Primaballerina. Felix versicherte mir, während das Zittern ihn fast schüttelte, dass das nicht böse gemeint sei. Es seien seine Freunde, nach wie vor. Dennoch hielte er das nicht aus. „Ich kann doch kein laufendes Vorurteil sein.", sagte er irgendwann und es war die Stelle, an der er in Tränen ausbrach und ich von meinem Stuhl herunterrutschte und vor ihm in die Knie ging.

„Felix..." Als ich meine Hand nach ihm ausstreckte, schlug er sie so fest weg, dass es wehtat- und ich hielt die Luft an.

Wieso muss ich so sein? Das war die Frage, die Felix in den nächsten Minuten immer wieder stellte. Dann erzählte er, wie sehr er versucht hatte, anders zu sein. Wie seine Freunde oder wie ich. Er erzählte von Annalena und davon, dass sie das großartigste Mädchen sei, dass er kenne. Und dass er einfach wusste, dass er sich in sie verlieben würde, wenn er nur könnte- aber er konnte nicht.

„Felix...", versuchte ich es nochmal, als er, das Gesicht auf seinen Knien abgelegt, verstummte. „Du musst dich nicht ändern. Du bist, wer du bist. Das ist in Ordnung. Ob du dich jetzt in Mädchen verliebst oder..."

„Sprich es nicht aus."



Es wurde schon langsam wieder hell, als Felix sich endlich auf meinem Sofa einrollte und sich die Decke über den Kopf zog. Er hatte nicht mehr viel gesagt und mich noch weniger sagen lassen. Fakt war, dass auf dem Esstisch zuhause ein Brief lag, in dem er Julian mitteilte, dass er nicht mehr Reiten wollte. Und er war hergekommen, damit er selbst nicht zuhause war, wenn Julian und Sina nach Hause kämen und den Brief fanden. Er hatte sich den Plan zurechtgelegt, dass sie so wütend darüber sein würden, dass er einfach abgehauen war, dass darüber der Brief untergehen würde. An der Stelle hatte ich ihn offen gefragt, wo mein schlauer kleiner Bruder sei und was er mit ihm angestellt habe. Als ob dieser Plan aufgehen würde. Trotzdem fühlte es sich nach Verrat an, als ich mich nach dem Duschen ins Treppenhaus schlich und Sina auf die Mailbox sprach. Mir fielen dabei fast die Augen zu und ich war mir nicht sicher, was sie mit meiner wirren Nachricht anfangen würde, aber ich hatte nicht anders gekonnt. Ich mochte mir nicht vorstellen, wie sie oder Julian Sonntagabend in der Küche heimkamen und Felix verschwunden war. Danach schaltete ich mein Handy auf stumm und schlich zurück in mein Zimmer. Ich war an Felix vorbei, die Treppe zur Empore hochgeklettert und wollte gerade meinen Kopf aufs Kissen sinken lassen, als ich von unten eine Frage hörte, auf die ich nicht vorbereitet war:

„Woher wusstest du, dass du Inga liebst?"


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Fragen, die die Welt bewegen. Heute mal mit Felix. 

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