Pia
Die Woche schien nicht zu Ende gehen zu wollen. Das Warten auf den Freitag, das Warten auf Lukas und darauf, mit ihm gemeinsam in der Kletterhalle das Wochenende einzuläuten, zog sich wie Kaugummi.
Den Montag bekam ich, übernächtigt und zufrieden, noch ganz gut rum. Am Dienstag konnte ich mich wenigstens bei der Arbeit einigermaßen ablenken. Lin mir mein Handy zurück und bot mir gleich dazu noch an, am nächsten Abend nochmal mit ihrer Freundin in den Stall zu fahren. Nur für den Fall, dass ich immer noch die großen Vierbeiner mit den dunklen Augen vermissen sollte. Ich zögerte, weil ich mich unter keinen Umständen aufdrängen wollte, aber am Ende der Schicht sagte ich schließlich doch zu. Ich hatte noch keine Pläne für den Abend und wollte nicht zu viel Zeit übrig haben, um Lukas zu schreiben und auf seine Antworten zu warten. Außerdem machte ich meinen Vorsatz wahr, Lin mehr als eine Freundin zu betrachten und erzählte ihr von Lukas. Zugegebenermaßen wäre ich auch kaum in der Lage gewesen, es stundenlang für mich zu behalten. Lin grinste breit, gab sich betont unbeeindruckt und bestand darauf, kein bisschen überrascht zu sein.
„Also ist das jetzt fix mit euch? Ist er deiner? Oder noch nicht so ganz?"
Meine Wangen fingen bei dieser Frage intensiv an zu glühen. „Meiner.", murmelte ich verlegen und mein Herz sprang mir dabei vor Enthusiasmus fast aus der Brust.
Der Enthusiasmus hielt an, als ich am Mittwochabend mit Helena in den Stall fuhr. Obwohl wir uns nur einmal gesehen hatten und mit Lin unser Bindeglied zwischen uns fehlte, bekamen wir die Autofahrt gut um. Ich realisierte dieses Mal erst, wie lange es eigentlich mit dem Auto bis zu dem Stall brauchten, in dem Helenas Pferd stand- und als ich sie fragte, ob sie denn keinen Stall gefunden habe, zudem sie keine halbe Weltreise machen musste, reagierte sie mit einem verzweifelten Lachen.
„Viel näher ist kaum was. Und sicher nichts, wo ich mein Pferd hinstellen möchte." Sie erzählte mir von ihrer Stallsuche und ihr Bericht bestätigte mich in dem, was ich mir vor einigen Monaten schon selbst gedacht hatte: dass Niro und ich uns beide glücklich schätzen konnten, dass er nicht mit mir umgezogen war. Ich fasste mir schließlich ein Herz und erzählte Helena von Niro- und sie starrte mich mit riesigen Augen an, als ich ihr erzählte, wo mein Pony untergekommen war.
„Bei wem steht der?", hakte sie mit ungläubigem Gesichtsausdruck nach.
„Niro ist das Lehrpony für Felix Feldmann.", bestätigte ich- und musste unwillkürlich lachen, als Helena schnaubend ausatmete.
„Sag' doch, dass du die direkte Durchwahl zur Reitsportprominenz hast."
„So prominent sind Feldmanns nun auch nicht. Da gibt es andere Kaliber." Schmunzelnd lehnte ich mich zurück.
„Na ja." Helena wiegte den Kopf wenig überzeugt hin und her. „Ihn sieht man schon immer mal wieder bei den großen Turnieren reiten. Der reitet vielleicht nicht mehr ganz vorne mit wie vor ein paar Jahren noch. Hat der eigentlich kein Pferd mehr oder woran liegt das?"
„Julian?" Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich ehrlich nicht. Die verkaufen auch einfach viele Pferde. Das Turnierreiten bezahlt ja auch nicht die Rechnungen, sagt Kim zumindest. Ob er deswegen gerade nicht das richtige Pferd hat oder..."
„Kim?", unterbrach Helena mich neugierig.
„Die Tochter."
„Und mit der hast du auch zu tun?"
„Ist eine Freundin von mir." Die beste. Wenn sie das mit Lukas und mir verpackte. Und das mit Paul. Wenn der denn endlich mal seinen Mund aufbekäme... Mir wurde mit einem Mal unangenehm warm, als ich daran dachte, dass Kim immer noch ahnungslos in Renesse saß und sich Vorwürfe wegen ihrer Eifersucht machte. Ich wollte zu ihr fahren, sie umarmen und so schnell nicht mehr loslassen.
„Hoppla." Helena lachte ungläubig und unterbrach damit meinen Gedanken. „Wie tief drin bist du da?"
Ich spürte, wie ich rot anlief- und ich überlegte fieberhaft, ob ich Lukas erwähnen sollte oder lieber nicht. „Niro stand früher schon bei den Feldmanns und ich hatte da Unterricht, weil ich eben schon ewig mit Kim befreundet bin. Also..." Ich zuckte mit den Schultern und beschloss, nicht weiter auszuholen. „Ich glaube, die würden mich auf der Straße erkennen und umgekehrt, wenn das die Frage ist." Übertrieben hatte ich damit sicher nicht.
„Wow." Helena machte eine beeindruckte Pause, bevor sie weiterfragte. „Und du bist zufrieden da? Also, dass dein Pony da ist? Mit dem Stall und dem Training und allem?"
„Felix kann vermutlich besser reiten als ich.", räumte ich ein und seufzte. „Er ist ein netter Kerl und er mag Niro. Außerdem hat Niro hat so seine Spezialeffekte und Felix kann damit umgehen." Ich hatte die Erinnerung daran, wie Niro Kim im letzten Sommer überlistet und abgebockt hatte lebhaft vor Augen. „Die passen gut zusammen und ich muss mir um niemanden Sorgen machen."
Helena nickte langsam. „Ich bin mittlerweile einfach oft hin- und hergerissen, wenn ich den Profis beim Reiten zusehe. Ich frage mich, was hinter verschlossenen Türen passiert. Dieses Vertrauen darin, dass schon alles fair zugeht, hat hart gelitten in den letzten Jahren." Sie seufzte tief. „Ich mochte den Julian Feldmann immer gern reiten sehen. Aber dieses Jahr in Balve in der Kür habe ich mich das erste Mal gefragt, wie der wohl reitet, wenn keiner zusieht. Das war..." Sie warf mir einen vorsichtigen Blick zu, ganz als wollte sie sich vergewissern, dass sie mir nicht auf die Füße trat. „Das war schon fieses vorne Ziehen und hinten Stechen. Hätte ich so nicht erwartet."
Ich wusste, was sie meinte. Kim und ich hatten gleichermaßen erschrocken dabei zugesehen, wie die Kür in Balve vom Einreiten bis zur zweiten Grußaufstellung ein untypisches Debakel gewesen war. Untypisch auf jeden Fall und vielleicht auch wirklich nicht fair. Seit ich wusste, dass Paul sich in der Nacht von Julian beim Knutschen mit Jenny hatte erwischen lassen, sah ich diese Prüfung allerdings in einem etwas anderen Licht. Außerdem wusste ich noch von früher, dass Niros Ponyflausen niedlich waren gegen das Programm, dass Raindrop auspacken konnte. „Da war im Hintergrund einiges los.", murmelte ich deshalb und verzog unglücklich das Gesicht. „Ich kann echt nicht behaupten, dass ich den zuhause regelmäßig so habe reiten sehen."
„'Einiges los im Hintergrund'?" Helena lachte auf. „Du bist echt eingeweiht. Raus mit dem Gossip!"
„Nächstes Mal.", wehrte ich ab und atmete dankbar durch, als Helena auf den Parkplatz des Stalls abbog. Ich hatte nicht vor auszuplaudern, was zwischen Paul und Kim abging und wie dieses Drama Julian unter Strom gesetzt hatte. „Erzähle mir lieber, was ihr so für Dramen am Stall habt."
Das tat sie dann auch, während wir uns an die Arbeit machten. Sie kümmerte sich um die Box, während ich Calvin putzte. Der Schimmel war nicht besonders groß, aber kräftig und Helena erzählte, dass sie eigentlich ein Pferd fürs Springen gekauft habe.
„Und dann kam der erste Sehnenschaden und danach der zweite. Und jetzt gibt es Cavalettis, wenn wir mal so richtig wild sind." Sie lachte, aber ich konnte den Frust hören und fühlen. „Und Spaß gemacht hat der damals im Parcours wie verrückt. Der will einfach immer rüber."
Als ich fragte, ob sie sich mit dem Dressurreiten nicht anfreunden könne, schmunzelte sie nur. „So wenig, dass ich bis heute keinen Dressursattel gekauft habe. Aber du kannst dich gerne mal daran versuchen."
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Reconnected Pia da etwa mit ihrem alten Hobby? ;)
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Lieblingstag
Novela JuvenilInga hatte schon gezeichnet, als ich sie kennengelernt hatte. Sie war kein Picasso, aber was sie auf Papier brachte, das lebte. Asymmetrisch unperfekt, niemals seelenlos. Ihre Bilder waren, wie sie die Welt sah und ich hatte mich in diesen Skizzen v...