Kapitel 26

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„Viel Spaß und kommt gesund wieder." Rosa umarmte erst ihren Bruder und dann ihre neue Schwägerin. Für die beiden ging es auf Hochzeitsreise. Die Hochzeit am gestrigen Tag war wie geplant und ohne irgendwelche Komplikationen einwandfrei verlaufen. Das ließ Rosa immer noch aufatmen, denn sie hatte wieder mit einer mittleren Katastrophe wie bei dem Junggesellenabschied gerechnet. Glücklicherweise hatten diesmal aber Rosa-Maria und Alfonso das Ruder übernommen. Sie hatten alle mit jeder Menge spanischer Leckereien auf dem Schiff versorgt. Es hatte Paella, unendliche Varianten von Tapas, Fisch, Meeresfrüchte, Lamm, Iberico Schwein und natürlich die unglaublichen Süßspeisen und Gebäck gegeben. Es waren wirklich keine Wünsche offengeblieben und Rosa hatte sich überwinden müssen, heute bei dem gemeinsamen Abschiedsfrühstück überhaupt etwas in sich hineinzubekommen, weil sie gestern so viel gefuttert hatte. „Ja, viel Vergnügen und übertreibt es nicht so, dass ihr völlig ausgelaugt wieder kommt", lachte Phil und wackelte mit seinen Augenbrauen, während er auch die Frischverheirateten umarmte. „Man, man, man warum muss sich bei dir eigentlich immer alles so versaut anhören?" Leokardia war als einzige noch mit vor das Hotel gekommen. Die anderen hatten sich schon im Frühstücksraum verabschiedet. „Weil er es ist", kicherte Delphie ausgelassen und zog an Saschas Arm. „Komm, das Taxi wartet schon. Sonst sind wir nicht pünktlich am Flughafen und verpassen unseren Flieger nach Aruba." Ja, die beiden wollten ihre Flitterwochen in der Karibik verbringen. „Ihr seid doch früh genug dran. Komm noch mal her." Leokardia zog ihre Schwester zu sich und nahm sie in ihre Arme. Rosa sah, wie sie ihr etwas ins Ohr flüsterte und Delphie kicherte. „Bekomme ich auch noch ein Schwesterumarmung?" Sascha stand mit ausgebreiteten Armen vor ihr. Was für eine Frage. Rosa ließ sich in seine Umarmung fallen und wurde fest an seinen Körper gedrückt. „Du passt gut auf dich auf, ja?" Rosa nickte nur, damit seine Sorgenfalten auf der Stirn verschwanden. War das nicht logisch, dass man auf sich aufpasste? Die wenigsten Menschen gingen ja aus dem Haus und nahmen sich vor etwas Blödes zu tun und sich in Gefahr zu begeben. „Du aber auch. Und auf Delphie genauso." Diesmal nickte Sascha und grinste sie breit an. „Das werde ich. Und du genießt hier noch die paar Tage auf Mallorca." Wieder nickte Rosa nur. Ja, sie hatte noch vier Tage hier, ehe es für sie, genau wie für Phil zurückging. Der Großteil der Hochzeitsgäste würde ja nach Ibiza weiterreisen, um dort die restlichen Ferien zu verbringen. Normalerweise wäre sie genau wie ihre Eltern auch noch länger bei Alfonso geblieben, aber da der Umzug nach Berlin anstand, gab es noch genug für sie in Dortmund zu erledigen. „Wenn wir aus der Karibik zurück sind, besuchen wir dich sofort in Berlin, noch bevor ich ins Trainingslager muss." „Wenn du nichts Wichtigeres zu tun hast" schmunzele Rosa. Ihr war schon klar, dass Sascha am liebsten jeden einzelnen Umzugskarton in ihre Wohnung getragen hätte. Ja, wahrscheinlich hätte er ebendiese Kartons sogar am liebsten eigenhändig gepackt, damit es ihr auch an nichts fehlte. „Was sollte es Wichtigeres geben als mich davon zu überzeugen, dass es dir dort gut gehen wird?" „Na zum Beispiel mich", kicherte Delphie ausgelassen. Sie hatte sich zu ihnen gesellt und stupste ihren frischgebackenen Ehemann mit der Schulter an. „Wenn du jetzt nicht kommst, muss ich wohl alleine in die Flitterwochen fliegen." Das war wohl das Stichwort für Sascha. Er drückte Rosa noch einen Kuss auf die Wange und lief zum Taxi. „Ich halte ihn schon im Zaum bis du dich richtig eingelebt hast. Und mach nichts, was ich nicht auch machen würde", zwinkerte sie ihr zu, ehe sie auch zum Taxi lief. Leokardia, Phil und Rosa winkten dem Taxi hinterher als es langsam davon rollte.
„So, die wären wir erst einmal los." Phil hatte schon befürchtete, dass sein Kumpel wirklich noch den Flug verpasste, weil er seine Schwester mit guten Ratschlägen überschüttete. Er selbst war ja auch großer Bruder, aber so sehr übertrieb er dann doch nicht. Irgendwann musste man einsehen, dass auch jüngere Schwestern durchaus einen eigenen Willen und einen gesunden Überlebensinstinkt hatten. Man konnte ihnen nicht alle Widrigkeiten aus dem Weg schaffen. Erstens wollten sie das meist nicht einmal und zweitens war es auch unmöglich. Wenn man das erst einmal eingesehen hatte, dann lebte man auch viel ruhiger. Besonders bei sechs Schwestern unterschiedlichen Alters. Phils Blick fiel zu Rosa, die immer noch dem schon längst verschwundenen Taxi hinterherschaute. Bei ihr musste sich Sascha doch sowieso keine Sorgen machen. Sie war viel zu zuverlässig, um in irgendwelche Schwierigkeiten zu geraten. „Also ich fange jetzt meine Familie ein und dann geht es ab nach Ibiza." Leokardia drehte sich um und verschwand im Hoteleingang. „Hast du heute auch schon etwas vor?" Rosas Engelsgesicht hatte wieder einen rötlichen Schimmer auf den Wangen. Was war an dieser Frage bitte so peinlich? „Ja, und zwar mit dir zu deinem Hund zu fahren." Phil zog die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und ließ sie an seinem ausgestreckten Zeigefinger hin und her schwingen. Er hatte gestern extra Alfonso um das Auto gebeten, damit sie ihrem Findelkind einen Besuch abstatten konnten. José hatte ihn zwar gestern informiert, dass der Kleine sich gut erholte, aber das wollte er auch schon noch mit eigenen Augen sehen.
Die Antwort von Phil auf Rosas Frage ließ sie erleichtert aufatmen und ihre Wangen noch mehr glühen. Sie hatte schon Angst gehabt, dass er verplant war und es vielleicht vorzog sich lieber an den Strand zu legen als mit ihr in die Tierklinik zu fahren. Und dann hätte sie ein riesiges Problem gehabt. Sie hatte in der ganzen Aufregung völlig vergessen sich die Adresse der Tierklinik zu speichern, geschweige denn eine Telefonnummer, um dort nachzufragen. Sie war echt so lebensuntauglich manchmal. Das musste sich in Berlin ganz schnell ändern, wenn sie das erste Mal wirklich auf eigenen Füßen stehen wollte. Überaus peinlich waren ihr auch ihre Befürchtungen. Wie hatte sie überhaupt auf diesen Gedanken kommen können? Es war doch klar, dass Phil, so ein guter Tierarzt wie er war, seinen Patienten besuchen wollte. Da hätte sie sich die ganze Nervosität auch sparen können. Sie hatte schon während des Frühstücks gegrübelt, wie sie ihn wohl dazu bewegen konnte, ohne ihre Blödheit preiszugeben. Phil hätte sie doch garantiert für verantwortungslos und dumm gehalten und sich noch einmal überlegt, ihr den kleinen Kerl überhaupt anzuvertrauen. Das hätte sie ihm nicht einmal verübeln können. Und jetzt war das so einfach. Egal! Wichtig war nur, dass sie so bald wie möglich zu ihrem kleinen Adoptivhund kam. Bestimmt gab es da noch einiges zu klären.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt