Kapitel 61

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„Der nächste Patient wartet im Känguruh-Raum, Chef!" Ja, Phil hatte die Behandlungsräume nicht durchnummeriert, sondern nach Tieren benannt, die im Allgemeinen nicht in seiner Praxis als Patienten auftauchten. Ihm hatte diese Idee irgendwie besser gefallen. Wer wollte schon nur eine Nummer sein. „Hey, mein Lieblingstierarzt." Phil schaute seine neue Patientin erstaunt an. „Was machst du denn hier, Marshmallow? Ich wäre doch zu Duchesse rübergekommen. Geht es ihr nicht gut?" Delphine schüttelte den Kopf. „Mit meiner Prinzessin ist alles in Ordnung. Sie muss nur geimpft werden. Ich wollte dir nur nicht noch mehr Arbeit aufbürden. Ich glaube, du hast gerade mehr als genug zu tun." Ja, damit lag sie nicht falsch. „Trotzdem hätte es mich nicht gestört heute Abend nach Feierabend noch einen Abstecher zu meinen Nachbarn zu machen." Marshmallow riss theatralisch ihre Augen auf und legte sich ihre Hand auf ihr Herz, ehe sie einen Schmollmund zog. „Wir sind also nur deine Nachbarn und nicht mehr das wichtigste auf dieser Welt für dich. Das wird Duchesse schwer treffen. Hör da gar nicht hin, meine Süße. Er meint das nicht so." Phil musste lachen, weil Marshmallow der Katze die Ohren leicht zu hielt und ein empörtes Mauzen ertönte. „Wann sprayst du jetzt eigentlich mein Wartezimmer?", wechselte er das Thema. Sie hatten ja ausgemacht, dass Marshmallow das in nächster Zeit übernehmen würde. „Ich hätte da nämlich noch einen weiteren Auftrag." Ja, ihm war gerade eben die Idee gekommen, dass man ja auch die eine freie Wand in jedem Behandlungszimmer, sowie die Tür mit Graffitis der Tiere, die dem Raum ihren Namen gaben, besprayen konnte. Das würde alles irgendwie noch runder und vor allem farbenfroher machen. „Was denn?" Okay, Marshmallows Neugier war geweckt. Nach seiner Erklärung nickte sie begeistert. „Da habe ich sofort ein paar Ideen im Kopf. Ich fertige, wenn ich zu Hause bin, sofort ein paar Skizzen an." Schlagartig verschwand ihre Begeisterung. „Ich weiß aber nicht, wann ich das umsetzen werde. Du weißt ja, dass ich Rosa da mit einbeziehen will. Aber...." „Aber, du kommst nicht an sie ran", beendet Phil den Satz für sie und erntete ein Nicken. „Ich weiß nicht, was mit ihr los ist, aber seit letzter Woche macht sie total dicht." Marshmallow schaute ihn ratlos an. „Ich weiß, was du meinst." Ja, seit dem Abend, an dem er mit Sebastian Pizza essen war, war irgendetwas mit Rosa vorgegangen. Als er mit einer Pizza Diavolo für sie nach Hause gekommen war, hatte er sie auf der Terrasse in ihrem Rollstuhl sitzend vorgefunden.
Sie hatte die Pizza abgelehnt. Okay, erst hatte er gedacht, dass sie einfach keinen Appetit auf die Pizza hatte....naja, bei Rosa-Marias reichhaltigem Essen war das ja kein wirkliches Wunder. Also hatte er ihr vorgeschlagen am nächsten Abend mit ihr bei dem Italiener eine frische Pizza essen zu gehen. Aber auch das hatte ihm einen Korb eingebracht.....und was viel schlimmer wog, er hatte das Gefühl, dass Rosa ihm seit diesem Tag mehr oder weniger aus dem Weg ging. Ihm war aber nicht klar, warum. So wie es aussah, war er nicht der einzige, den sie in die Verbannung geschickt hatte. Selbst wenn sie sich mal nicht in ihrem Zimmer verkroch, gab sie sich ziemlich wortkarg bis man freiwillig aufgab und sich lieber einen anderen Gesprächspartner suchte. Ja, ihre Antworten bestanden in aller Regel aus einem kurzen Kopfschütteln oder -nicken verbunden mit einem entsprechendem Brummton. Ja definitiv, den letzten kompletten Satz hatte er mit Rosa an dem Abend mit der Pizza gewechselt. Auch wenn er jetzt wusste, dass er nicht als einziger mit diesem Phänomen zu kämpfen hatte, schien es aber doch mit ihm in Verbindung zu stehen und er schien das Ganze ausgelöst zu haben. Aber womit? Er war sich da keiner Schuld bewusst. Eine Pizza konnte ja wohl kaum der Auslöser sein. „Vielleicht sollten wir uns trotzdem von ihr nicht abschrecken lassen. Ich werde sie nachher mit meinen neuen Skizzen einfach überfallen und ihr keinen Ausweg lassen." Marshmallow grinste ihn entschlossen an. Phil war sich sicher, dass, wenn es überhaupt jemand schaffte, Rosa aus ihrem Schneckenhaus zu holen, das Marshmallow war. Sie war entschlossen und ließ sich garantiert nicht so leicht abschütteln. Sie war da wie so ein Wadenbeißer. Das wusste Phil. Sie hatte es ja erst vor kurzem bewiesen als sie für seine Aussprache und Versöhnung mit Sascha gesorgt hatte. Im Grunde fragte er sich eher, ob er mit Rosa Mitleid haben sollte. Den Gedanken verdrängte er aber sofort wieder. Nein, es wurde Zeit, dass sich bei Rosa wieder etwas in die richtige Richtung bewegte. Vielleicht brauchte sie nur wieder eine Aufgabe, die sie wirklich forderte. Ja klar, brauchte sie die. Was machte sie denn schon seit dem Unfall? Sie saß in ihrem Rollstuhl und wurde von allen wie eine kränkliche Prinzessin bedient. Ständig waren irgendwelche Leute um sie herum, die ihr alles abnahmen, angefangen bei Rosa-Maria, die ihr wahrscheinlich am liebsten auch noch auf Toilette folgen würde, um ihr den Hintern zu putzen. Ansonsten war ständig jemand anderes zu Besuch, der an ihrem Ohr herumkaute. Im Grunde musste Rosa nur ein Wort sagen und alles erfüllte sich wie durch Zauberhand. Vielleicht nervte es sie einfach, dass sie nicht einmal Zeit für sich und ihre Gedanken hatte. Das konnte Phil gut nachvollziehen. Manchmal musste man auch einfach nur für sich sein.....und man musste eine Aufgabe haben, um die man sich ganz alleine kümmern musste. Ja, man musste auch gefordert sein, sonst kam man sich total überflüssig und unnütz vor. Vielleicht war das genau der Zustand, in dem sich Rosa gerade befand. Phil kam spontan ein Gedanke, wie er das abändern konnte.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt