Kapitel 41

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In Phils alter Wohnung wimmelte es nur so von Menschen. Ja, seine ganze Familie war hier eingetrudelt, um ihm bei seinem Umzug zu helfen. „Was meinst du, ob die Wand dort in einem schönen Bordeauxton cool aussehen würde?" Stella stand vor der Wand im Wohnzimmer und kaute auf ihrem Fingernagel herum. „Vielleicht solltest du erst einmal Phil fragen, ob er dir die Wohnung überhaupt überlässt", wandte ihr anderes Drittel Luna ein. Ja, die beiden waren Drillinge. Zur Vollständigkeit fehlte nur noch Benny. „Hast du mal ein Pflaster?", ertönte wie auf Befehl seine Stimme neben Phil und er hielt ihm seinen Finger vor die Nase, aus dem etwas Blut quoll. „Diese dämlichen Kanten von den Umzugskartons sind echt total scharf." Sein jüngerer Bruder zuckte mit den Schultern und verzog sein Gesicht. Also was Verletzungen anging, war der Kleine echt ein Magnet. Erstaunlicherweise schien der Fußballplatz der einzige Ort, an dem er sich nicht verletzte. Vielleicht war es ganz gut, dass er jetzt nach dem Abitur eine Karriere als Fußballprofi anstrebte. Das würde die Krankenversicherung mit Sicherheit erleichtert aufatmen lassen, genau wie den Rest der Familie. „Kleinen Moment!" Phil lief in Richtung Bad, um festzustellen, dass dort ja alles bereits ausgeräumt war. „Mist!" „Suchst du was?" Phils Mutter war neben ihm aufgetaucht. „Benny braucht ein Pflaster." „Wann braucht er das mal nicht? Ich habe immer welche in meiner Handtasche. Eigentlich bräuchte ich eine Handtasche mit Kühlfach, damit ich auch immer ein paar Coolpacks parat habe." Seine Mutter zwinkerte ihm zu und lief zurück in den Flur, wo sie ihre Tasche abgelegt hatte. „Größere oder kleine Verletzung?" Sie zauberte eine kleine Metallkiste hervor, in der Pflaster unterschiedlicher Größen aufbewahrt wurden. „Kleinere." Ihr Blick wanderte in Phils Gesicht. „Okay, was ist los?" „Was soll los sein? Ich habe doch gesagt, dass Benny blutet." Sie zog ihre Augenbraue hoch. „Und ich will wissen, was mit dir los ist. Du bist die ganze Zeit maulfaul. Und das passt überhaupt nicht zu dir. Also noch einmal. Was ist los?" Phil stieß Luft aus und fuhr sich mit seiner Hand durch den Nacken. Seine Mutter kannte ihn einfach zu gut. „Sascha war gestern in meiner Praxis und ...." „...und er war ziemlich sauer, nehme ich an." Phil nickte. „So sauer habe ich ihn noch nie gesehen. Er hat mir die Freundschaft aufgekündigt." Ja, das hatte ihn ziemlich getroffen, denn wenn er ehrlich war, war Sascha sein einziger wirklicher Freund, dem er vertraute und mit dem er über alles redete. Okay, da war noch Max, seine andere Hälfte. Aber manche Sachen wollte man nicht mit seinem Zwillingsbruder besprechen, sondern mit seinem besten Freund. „Na ja, es muss ein ziemlicher Schock gewesen sein, als er das von Rosa erfahren hat. Wie würdest du dich da fühlen, wenn so etwas einer deiner Schwestern passiert wäre?" „Beschissen." „Und wenn du dann nicht einmal da gewesen wärst, um ihr zur Seite zu stehen?" „Noch beschissener. Aber Rosa war doch in den besten Händen und es war ihr Wunsch, dass wir Sascha nichts sagen, weil er sonst die Flitterwochen abbricht." Seine Mutter nickte. „Ich verstehe euren Gedanken sehr gut. Aber ich kann auch verstehen, wie Sascha das empfindet. Er fühlt sich übergangen und bevormundet." „Aber es war doch nur zu seinem und Marshmallows Besten." Wieder nickte seine Mutter. „Das ist mir auch klar, aber ihr habt ihm nicht einmal die Wahl gelassen, das selbst zu entscheiden. Manchmal ist gut gemeint trotzdem nicht gut gemacht." „Manno, ich weiß ja, dass das Mist war, aber hätte ich Rosa den Wunsch abschlagen sollen? Sie leidet doch gerade genug. Da muss sie sich nicht auch noch mit dem Gedanken herumschlagen, dass sie ihrem Bruder die Flitterwochen versaut hat." „Ach Mensch, da hast du echt in der Zwickmühle gesteckt." Franzi strich ihm sanft über den Arm. „Trotzdem lass mal nicht so den Kopf hängen. Sascha ist ein ziemlich vernünftiger Kerl. Und wenn er erst einmal aus dem Notfall- und Schockmodus raus ist, wird er auch noch einmal überlegen. Und dann könnt ihr ganz in Ruhe über das alles sprechen. Weißt du, eine Freundschaft muss so etwas aushalten. Und ich bin mir ganz sicher, dass eure Freundschaft das auch aushält. Du wirst sehen, das dauert gar nicht lange, dann ist alles wieder beim Alten." Na, das wäre ja zu schön. Phil konnte das aber nicht ganz so glauben, denn so wütend und aggressiv wie Sascha gestern drauf war, hatte er ihn noch nie erlebt. „Er wollte, dass ich Dalia einschläfere." „Bist du bescheuert! Das kannst du auf keinen Fall machen." Luna war neben ihnen aufgetaucht und funkelte ihn an. „Das würde Rosa umbringen." „Das weiß ich. Außerdem bin ich dazu da, um Tiere zu heilen und nicht zu töten. Er besteht aber darauf, sie zu verkaufen, damit Rosa nie wieder auf dieses Pferd und wenn möglich auch kein anderes steigen kann." „Was ein Idiot!", knurrte Stella, die ihrer Schwester scheinbar gefolgt war. „Wahrscheinlich ist es ihm dann lieber, dass sie im Rollstuhl bleibt, damit das auch gar nicht passiert." „Stella!" Franzi schaute sie kopfschüttelnd an. „Na ist doch wahr. Dann muss er sich keine Sorgen mehr machen, egal wie es Rosa dabei geht." Stella kniff ihre Augen zusammen. „Brüder sind manchmal echt scheiße!" „Was ist, wenn ich das Pferd kaufe?" „Du?" Alle Blicke waren auf Benny gerichtet. „Du schaffst es ja nicht einmal einen Umzugskarton zu tragen, ohne dich zu verletzen. Wie soll das dann auf einem Pferd ausgehen?" Stella schüttelte ihren Kopf. „Ich will es ja nur kaufen. Durch meinen Vertrag habe ich genug Geld und die Wohnung hat Sascha mir ja auch verkauft." „Du hast die Wohnung da oben?" Stella deutet mit ihrem Finger zur Decke. Benny nickte mit einem gewissen Stolz. „Ja, da werden Paul und ich eine WG gründen." „Das kann überhaupt nicht gut gehen. Phil, du musst mir die Wohnung hier überlassen, damit ich auf ihn aufpasse. Wo ist überhaupt das Pflaster?" Stella zog es ihrer Mutter aus der Hand und klebte es ihrem Bruder auf den Finger. „Siehst du, ohne mich ist der Junge total verloren." Das war typisch für seine Schwester sofort ihren eigenen Nutzen aus einer Sache zu ziehen. Wie gut, dass er sowieso schon den Entschluss gefasst hatte, ihr die Wohnung zu überlassen. Das ersparte ihm die Suche nach einem Mieter oder Käufer. Dafür hatte er im Moment überhaupt keine Ressourcen. „Und du würdest das Pferd kaufen, wenn ich mich darum kümmere?" Benny nickte. Phil könnte es auch selbst kaufen. Geldlich wäre das kein Problem, aber er bezweifelte, dass Sascha dem Kauf durch ihn zustimmen würde. „Wie schaffen wir es aber, dass er nicht misstrauisch wird?" „Wir sagen einfach, ich will es meiner Freundin schenken." Stella schnaubte. „Du hast doch aber gar keine Freundin." „Das weiß er ja nicht. Außerdem ist Rosa ja auch meine Freundin. Und der würde ich es gerne zur Genesung schenken." „Mein Sohn ist ein echt helles Köpfchen." Phils Mutter klopfte ihrem jüngeren Sohn anerkennend auf die Schulter. „Okay, dann machen wir das so und ich kümmere mich weiter um Dalia." Hoffentlich war das kein Fehler, Sascha wieder so zu hintergehen. Aber wenn Rosa wieder ganz fit war, würde er bestimmt einsehen, dass er überreagiert hatte. Und wenn nicht, musste Phil damit leben.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt