Kapitel 102

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„Das haben die sich ja echt schön ausgesucht. Wir beide dackeln hier zum Kofferband und die werden gemütlich gefahren", grummelte Delphie, die zwei Koffer neben sich herschob. Phil kämpfte hingegen mit vier. Blöderweise war keiner von den Gepäckwagen aufzufinden gewesen. Ja, sie beide waren für die Koffer zuständig, weil Sascha und Rosa den Service für Personen mit Einschränkungen nutzten. Und damit die armen Kinder nicht alleine in dem komfortablen elektrisch angetriebenen Gefährt vom Flugzeug aus durch den Flughafen befördert wurden, hatten Rosa-Maria und Alfonso sich ihnen altersbedingt angeschlossen. Das war doch echt uneigennützig von den beiden. Obwohl, tauschen hätte Phil auch nicht wollen. Denn es war mit Sicherheit leichter mit vier Koffern zu hantieren als in den Krallen der Köchin zu sein, die aufpasste, dass ihren beiden Lieblingen auch nichts zustieß. „Na ein Glück, dass wir nicht auch noch den Flohbeutel mitnehmen mussten." Delphie verzog ihr Gesicht. Okay, sie war immer noch ein kompletter Katzenmensch, auch wenn das Hunde besonders anzuziehen schien. „Tja, das ist halt die Schuld, die Stella und Luna zu tragen haben, weil sie mir die Wohnung so billig abgegaunert haben." Ja, Phil hatte seine beiden Schwestern vergattert, die paar Tage Nado in Pflege zu nehmen. Leider war der Kleine ja schon zu groß, um in der Kabine mitzufliegen. Und den Flug im Frachtraum hätte er einfach nicht befürworten können. „Du meinst wohl Luna", lachte Marshmallow. „Stella wird ihm im Höchstfall etwas zu fressen machen. Aber auch nur, wenn es nicht vor dem Ausschlafen ist." Okay, damit könnte sie recht haben. Aber auf Luna war Verlass. Das wusste Phil. „So, dann lass uns mal die anderen suchen. Nicht, dass sie schon in der Finca sind und wir auch noch ein Taxi organisieren können." Soviel Phil wusste, hatte Alfonso seinen Fahrer bestellt. Delphie nickte und schob mit den Koffern los. Plötzlich stoppte sie wieder ab und blieb direkt vor Phil stehen. Er hatte alle Mühe die Koffer schlagartig abzustoppen. „Heh, ist das dein Versuch auf dem Rückflug auch mir dem Behindertentransport zu fahren und mich mit allen Koffern stehen zu lassen? Vergiss es!" Er hob drohend seinen Zeigefinger. „Quatsch", winkte Marshmallow kichernd ab und kratzte sich kurz am Kopf. „Obwohl so dumm ist die Idee gar nicht." Sie zuckte mit den Schultern. „Aber eigentlich wollte ich noch einmal kurz die Zeit unter vier Augen nutzen und zwei Sachen klären." Zwei Sachen? Was sollte das sein? „Also erstens wollte ich mich bei dir bedanken, dass du es Sascha ziemlich leicht gemacht hast, dass ihr euch wieder vertragt." „Ich habe doch nur mit ihm vernünftig gesprochen und er hat mir endlich zugehört. So klären Männer das untereinander." Marshmallow winkte ab. „Ja, ja, ich weiß. Ihr seid ja so unglaublich zivilisiert, während wir Frauen uns anschreien und um uns schlagen. Trotzdem hättest du ja auch genauso auf stur schalten können, wie Sascha das erst gemacht hat und eure Freundschaft einfach abhaken können." „Das wäre mir nie in den Sinn gekommen." Ja, das wäre es wirklich nicht. Eine Freundschaft bedeutet für ihn mehr als nur ab und zu etwas zu unternehmen. „Du kennst doch den Spruch, in guten wie in schlechten Zeiten." Delphie grinste ihn breit an. „Der trifft aber eigentlich mehr auf eine Partnerschaft oder Ehe zu." Phil zuckte mit den Schultern. „Na ja, irgendwie ist eine Freundschaft ja so ähnlich, nur in aller Regel haltbarer, weil da ein paar krisenschaffende Aspekte wegfallen." „Du meinst Sex und Eifersucht?" Sie schaute ihn nachdenklich an. „Wie ist es eigentlich um deine Freundschaft mit Rosa bestellt? Ich finde euch beide schon ziemlich süß im Umgang miteinander." Phil schloss kurz seine Augen. Dann hatte ihn letztens Saschas Blick doch nicht getäuscht und er schickte seine Frau vor, um das Terrain abzuchecken. Verflucht, warum musste er denn kaum, dass sie das eine geklärt hatten, völlig unnötig die nächste Konfliktdose öffnen? Es war ja völlig klar, dass Sascha so ziemlich stinkig war, wenn Phil ihm erklärte, dass er keinerlei Interesse an Rosa hatte. Jedenfalls nicht das Interesse, das Sascha von ihm erwarten würde. Nee, für eine Beziehung war er einfach nicht gemacht. Und für das, was er gemacht war, war Rosa nicht gemacht und viel zu schade. Da war er durchaus einer Meinung mit seinem Kumpel und ihrem großen Bruder. Warum wurde also dieses Thema überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt? „Du kannst deinem Mann ausrichten, dass ich sie wie eine Schwester behandele und dass das auch so bleiben wird. Alle anderen Hirngespinste sind nur Ergebnisse seines erhöhten Schmerzmittelkonsums nach dem Unfall. Wir läuft eigentlich dein Studium?" Phil war nicht der Meinung, dass man das vorherige Thema noch ausweiten müsste. Für ihn war alles gesagt. „Es läuft so gut, dass ich schon die Kompetenzen erlangt habe, zu bemerken, dass du gerade einen Themenwechsel versuchst, um dich keinen weiteren Fragen oder Gedankenansätzen mehr stellen zu müssen. Was wiederum dafür spricht, dass es sich durchaus um einen interessanten Ansatz handelt, der eine emotionale Blockade nach sich zieht. Du verweigerst den offenen Umgang mit diesem Thema. Das passiert nur, wenn es uns Angst macht." Phil verdrehte die Augen. „Das einzige, was mir gerade Angst macht, ist dein Psycho-Geschwafel. Bringen die euch da echt solchen Müll an der Uni bei? Wieso konntest du nicht einfach einen vernünftigen Studiengang wählen?" „Du meinst Veterinärmedizin?" Marshmallow grinste ihn breit an. „Weil nicht jeder mit diesen Flohsäcken umgehen kann und weil nicht jeder sich lieber hinter ihnen versteckt, weil sie nicht über unangenehme Themen reden wollen." Er schüttelte seinen Kopf. „So ein Blödsinn! Ich verstecke mich überhaupt nicht." Rosa war seine Auszubildende und eine gute Freundin. Das war alles. „Warum seid ihr eigentlich immer alle, sowie ihr in einer Beziehung und frisch verliebt seid, der Meinung, das wäre ein für alle erstrebenswertes Ziel?" Marshmallow schaute ihn nachdenklich an. „Das ist eine gute Frage. Da habe ich noch nie drüber nachgedacht." Phil grinste sie breit an. „Dann solltest du das jetzt unbedingt tun." Dann hatte er wenigstens seine Ruhe, denn auch wenn Frauen durchaus multitaskingfähig waren, gelang es ihnen trotzdem nicht gleichzeitig zu reden und zu denken.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt