Wie sollte Rosa am besten beginnen? Vorwürfe waren mit Sicherheit kein guter Einstieg. Verflucht! Warum fiel es ihr so schwer einfach mit ihrem Bruder zu reden? Das war doch nie ein Problem. Vielleicht sollte sie einfach das nächstbeste heraushauen, was ihr in den Kopf kam, um überhaupt ein Gespräch zu beginnen. Momentan starrten sie sich ja beide eher wie hypnotisierte Kaninchen an. „Du hast mir gefehlt." Rosa musste lachen. Hatten sie das beide gerade wirklich gleichzeitig gesagt. Saschas Gesicht verzog sich auch zu einem Lächeln. Aber einem schmerzverzerrtem. Sie betrachtete sein Gesicht genauer und entdeckte ein paar Blutergüsse. „Verflucht, weißt du eigentlich, was ich für eine Angst um dich hatte", platzte es aus ihr heraus und sie griff nach seiner Hand. „Dann weißt du ja, wie es mir bei deinem Unfall ging." Er räusperte sich. „Ich habe einfach Angst um dich, Krümel." Okay, das war etwas, was sie gut nachvollziehen konnte. „Das verstehe ich ja. Ich habe ja auch Angst um dich, aber...." „Aber ich sitze nicht auf einem anderen Lebewesen, das unberechenbar ist." „Dalia ist nicht unberechenbar. Sie war damals nur panisch. Das war einfach ein Unfall. Unfälle kann man einfach nicht verhindern. Das müsstest du doch jetzt auch wissen. Was ist heute überhaupt passiert?" Die Polizei hatte Delphie ja keine Auskunft darüber gegeben und ihr nur mitgeteilt in welches Krankenhaus Sascha eingeliefert worden war. Sascha fuhr sich mit seiner Hand durch den Nacken. „Na ja, ich bin wie immer nach dem Training einfach nach Hause gefahren. Und an der Kreuzung, wo ich immer abbiegen muss, musste ich auf den Gegenverkehr warten. Das hat aber ein anderer der von der B236 kam wohl nicht mitbekommen und weil er die Ampel wohl noch schaffen wollte ist er mit vollem Tempo von hinten in mich rein und hat mich in den Gegenverkehr geschoben. Na ja, und dann hat es noch einmal geklingelt." Es war da ein ziemliches Trümmerfeld auf der Kreuzung. Blöderweise hat es mein eines Bein ziemlich heftig erwischt." Er schüttelte leicht seinen Kopf. „Weißt du, was mir da alles in dem Moment durch den Kopf gegangen ist als ich das gesehen habe? Und nachher im Krankenwagen?" Er schluckte. „Stell dir vor, es hätte mich total erwischt. Wir hätten uns niemals aussprechen können. Das wäre....das wäre...." Er schluckte wieder und sein Adamsapfel hüpfte dabei. „Das wäre eine absolute Katastrophe gewesen, die ich dir nie hätte verzeihen können, wenn du dich einfach so ....." Rosa brach ab. Sie wollte und konnte diese Worte einfach nicht über die Lippen bringen. Nein, sie wollte diesen Gedanken nicht einmal mehr zu Ende denken. Ihr schossen die Tränen in die Augen. Sie hätte es sich niemals verzeihen können, wenn Sascha und sie niemals mehr die Chance gehabt hätten, sich auszusprechen. „Krü....Krümel, ich...ich hatte ....solche Angst, dich....dich nie wie...wieder zu sehen", schluchzte Sascha und griff nach ihrer Hand, die er fest drückte. Rosa beugte sich vor und drückte ihre Lippen auf seinen Handrücken. „Glücklicherweise ist es ja anders gekommen." Ihre Stimme hörte sich in ihren Ohren total piepsig an. „Das hätte es aber nicht müssen und dann..." Saschas Stimme klang total belegt. Mit seinem Daumen streifte er über ihre Wange, um die Feuchtigkeit zu beseitigen, die ihre Tränen hinterlassen hatten. „Dann hätten wir trotzdem gewusst, dass wir uns lieb haben, wie es sich für Geschwister gehört. Wichtig ist doch nur, dass wir jetzt unsere Fehler einsehen und korrigieren. Mir tut es leid, dass ich so stur war und wir das nicht schon viel früher geklärt haben." „Mir tut es auch leid, aber..." „Aber du hast immer noch Angst um mich, wenn ich auf Dalia sitze", beendete Rosa den Satz für ihren Bruder. Sie kannte ihn ja gut genug, um zu wissen, was kommen würde. Er nickte. „Ja, und ich habe ab jetzt Angst um dich, wenn du in einem Auto sitzt. Gibst du das Autofahren jetzt auch auf für mich? Dann denke ich noch einmal über Dalia nach." Sie ging zwar ein hohes Risiko damit ein, aber sie war sich sicher, dass das nicht wirklich zur Debatte stand. Sascha schüttelte seinen Kopf. „Das ist doch etwas ganz anderes. Ich brauche das Auto, um überall hinzukommen. Außerdem war das ein Unfall, für den ich überhaupt nichts konnte." „Das war es bei Dalia und mir auch. Wir konnten beide nichts für den Hund, der sie gejagt hat. Und ich brauche Dalia, um glücklich zu sein." Sascha hob resignierend seine Arme. „Okay, okay, ich verstehe, was du meinst. Aber..." Rosa schüttelte entschieden den Kopf. „Nichts aber! Unfälle können passieren und man hat da keinen Einfluss drauf. Oder du musst nur im Bett liegen bleiben, dann ist die Gefahr minimiert, weil dir höchstens das Dach auf den Kopf fallen kann, aber dein Leben ist auch verschenkt." „Ich hasse es, wenn du so erwachsen und logisch klingst." Sascha verzog sein Gesicht, wie er es immer tat, wenn ihm etwas nicht gefiel, er aber wusste, dass es der Wahrheit entsprach. „Du wirst also irgendwann wieder reiten?" Rosa nickte. „So wie du bald wieder Auto fährst. Außerdem reite ich schon wieder und mache deshalb in der Reha wieder ziemlich große Fortschritte." Sie schlug sich kichernd die Hand vor den Mund. „Dann hat Vicky ja jetzt noch mehr zu tun. Wir können ja eine Wette abschließen, wer von uns zu erst wieder ohne Krücken laufen kann." Sascha gab auch ein Lacher von sich, der in ein Husten mündete.
Er streckte seinen Arm zu dem Galgen über seinem Bett und versuchte sich etwas aufzurichten. Sein Gesicht verzog sich dabei vor Schmerzen. Er hatte wohl auch so einige Prellungen am Körper abbekommen. „Soll ich dein Bett etwas hochstellen?" Rosa hatte sich an dem Bettgestell hochgezogen und versuchte die Fernbedienung für das Bett zu erreichen, die über dem Kopfende hing. Sie hatte ja in letzter Zeit genug Erfahrung mit der Funktion von Krankenbetten gesammelt. Da konnte man sie ja auch nutzen.
DU LIEST GERADE
Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Novela JuvenilRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...