Rosa schob die Räder ihres Rollstuhls an und manövrierte schon ziemlich geschickt um den Esstisch herum. „Wo willst du hin, Princesa?" Alfonso schaute sie überrascht an. „Es gibt doch gleich noch Nachtisch." „Hebt mir bitte welchen auf. Ich will schon einmal in mein Zimmer und mich für die Rehaübungen vorbereiten und umziehen. Vicky muss gleich da sein." Sie hatte wirklich Glück, dass ihre Tante die Reha übernommen hatte und zeitlich ziemlich flexibel war, so dass es ihr nichts ausmachte auch erst abends vorbeizuschauen. Ja, tagsüber hatte Rosa ja keine Zeit dafür, denn sie half Phil schon seit vier Tagen in der Praxis. Mittlerweile wusste sie genau, wo alle Medikamente lagen und was sie Phil zureichen musste. Sie hatten beide einen eingespielten Ablauf entwickelt und es lief richtig gut. Das wäre aber nicht mehr lange der Fall, denn Sebastian würde voraussichtlich nur eine Woche ausfallen. Das hieß, die Hälfte der Zeit war um. Wie lange Verena an der Anmeldung ausfiel war noch nicht klar, aber da zu sitzen und nur den PC zu bedienen machte bei weitem nicht solchen Spaß wie mit den Patienten, also den Tieren, zu tun zu haben. Rosa musste an den kleinen süßen Goldie Welpen denken, der heute zum Impfen da gewesen war und ihr die Hand abgeschlappt hatte. Wie konnte so etwas nicht mehr Freude bringen als eine blöde Tastatur. Rosa liebte es auch die kleinen Patienten nach ihrer Behandlung mit Leckerlies zu belohnen. Sie grinste. Ja, die Aufgabe hatte sie Phil mit Begeisterung abgenommen. Übermorgen war Samstag. Also vermutlich ihr letzter Tag in der Praxis, denn Sonntag war die Praxis geschlossen, außer es war Notdienst. Das wusste sie aber nicht. Okay, im besten Fall hatte sie also noch drei Tage bis Sebastian wieder am Start war. Sie verzog ihr Gesicht. „Was ist denn mit dir los? Ist der Grinch wieder zurück?" Vicky war in ihr Zimmer marschiert gekommen. „Weiß nicht, ob der Sonntag wiederkommt", Rosa zuckte mit den Schultern. „Wieso was ist Sonntag?" Vicky musterte sie und streichelte Nado, der sie zur Begrüßung stupste. Ja, er war irgendwie immer um Rosa herum, wenn sie nicht in der Praxis war. Es kam ihr fast vor als wollte er sie darauf hinweisen, dass er der Hund in ihrem Leben war und es überhaupt nicht in Ordnung fand, dass sie so wenig Zeit mit ihm verbrachte und ständig nach anderen Tieren roch. Er wusste genau wie er so manches Schlechtes-Gewissen-Leckerlie und eine Entschädigungs-Streicheleinheit aus ihr herausholte. „Na ja Sonntag ist der Tag vor Montag." Vicky fing an zu lachen. „Wow, du hast echt eine bahnbrechende Entdeckung gemacht. Das war mir vorher gar nicht so klar." „Haha", brummte Rosa. „Montag macht die Praxis wieder auf und Sebastians Windpocken sind dann eine Woche alt und mit Sicherheit verschorft, dass ich nicht mehr gebraucht werde." Vicky hörte auf Nado zu streicheln und ging vor Rosa in die Knie, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Sie legte ihre Hände auf Rosas und drückte sie leicht. „Hör auf so einen Blödsinn zu erzählen. Du wirst immer und überall gebraucht. Erstens ist noch überhaupt nicht klar, dass Sebastian schon wieder grünes Licht bekommt und arbeiten darf. Und zweitens, was viel wichtiger ist, ich bin mir sicher, dass Phil auch dann jede helfende Hand in der Praxis gebrauchen kann." Rosa schüttelte ihren Kopf. „Quatsch, er und Sebastian sind ein total eingespieltes Team. Da stehe ich ihnen mit meinem Rollstuhl nur im Weg." Vicky zog ihre Augenbrauen hoch. „Wieso solltest du? Jetzt stehst du doch auch nicht im Weg. Phil hat mir erst gestern vorgeschwärmt, was für eine große Hilfe du für ihn bist." „Wo hast du denn gestern Phil getroffen?" Er war doch gleich nach Praxisschluss in den Reitstall gefahren, um seinen Salomon mal wieder zu bewegen. Ja, das wusste Rosa genau, denn sie hatte ihm hinterher geschaut, wie er davon gefahren war und Vicky war erst fünf Minuten später zur Reha gekommen. Da konnte sie ihm auf keinen Fall begegnet sein, denn er war erst ziemlich spät zurück gewesen. Da war Vicky schon lange wieder weg.„Ähm, als ich....ähm als ich ähm tanken war. Ja, genau! Ich habe ihn an der Tankstelle getroffen." Komisch, warum druckste Vicky denn so herum? Und hatte Phil nicht erst vorgestern über die hohen Benzinpreise geflucht? Wieso war er dann gestern schon wieder tanken? Vielleicht hatte er sich dort ja nur etwas zu trinken geholt. Ach, war ja auch egal. Es gab wichtigeres. Zum Beispiel ihre Übungen. „Können wir jetzt endlich mit dem Reha Programm anfangen? Ich will ja auch mal vorwärts kommen." Vicky grinste sie breit an und klatschte in ihre Hände. „Das ist genau das, was ich hören will. Na dann mal los! Wenn du weiter so gute Fortschritte mit der Armmuskulatur machst, dann können wir bald mit den ersten Übungen für das Laufen an Gehhilfen anfangen. Das ist zwar noch ein langer Weg und da müssen wir auch noch eine Menge mit den Beinen trainieren, aber du wirst sehen, wenn du dich richtig reinhängst, geht das ratzfatz." Okay, das konnte sich Rosa zwar noch nicht vorstellen, aber wenn Vicky das sagte. Sie würde sie bestimmt nicht anlügen. Momentan war aber erst einmal ihr nächst großes Ziel, noch besser mit dem Rollstuhl klar zu kommen und sich ohne Hilfe selbst versorgen zu können. „Gestern bin ich schon ganz alleine und ohne Hilfe ins Bett gekommen", erzählte sie ihrer Tante deshalb auch mit vollem Stolz. Obwohl, ein bisschen war das gelogen, denn Nado hatte ihr schon etwas assistiert, aber das war ja mehr Beschäftigungstherapie für den Hund, wenn er ihr die Schuhe und Socken von den Füßen ziehen durfte und dafür eine Belohnung bekam. „Na siehst du, es geht vorwärts. Das ist oft auch nur eine Sache der Einstellung und des Willens." Rosa nickte. Ja die hatte ihr wohl eine Zeit lang gefehlt. „Meinst du, wir könnten mit dem Rollstuhl auch mal draußen im Gelände üben? Ich würde schon ganz gerne auch mal mit Nado dort Gassi gehen und das nicht immer nur den anderen überlassen." Vicky grinste sie breit an und zwinkerte Rosa zu. „Na dann machen wir heute ein paar Überstunden. So, jetzt aber los." Sie reichte ihr die Gewichte für die Armkräftigungsübungen.
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Teen FictionRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...