Rosa lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Ihre Hand lag auf Nados Kopf, den sie gleichmäßig kraulte. Der Kleine hatte sich an sie geschmiegt und atmete tief und entspannt. Scheinbar war er schon im Hundetraumland. Vom Traumland war Rosa selbst weit entfernt. Rosa schloss trotzdem ihre Augen und versuchte Nados Beispiel zu folgen. Es war aber auch ein blöder Zufall, dass Sascha und Delphie ausgerechnet an dem Tag auf die Idee kamen auch in der Pizzeria essen zu gehen und dann auch noch im unpassendsten Moment mit ihnen zusammentrafen. Sie öffnete ihre Augen wieder. Ihr gingen einfach zu viele Sachen durch den Kopf. Der Zoff mit Sascha! So etwas hatte es bei ihnen noch nie gegeben. Die Frage war nur warum? Lag es daran, dass sie einfach immer geschwiegen und alles hingenommen hatte, was ihr Bruder für sie für richtig erachtete? Oder lag es daran, dass es bisher noch nie etwas gab, zu dem sie so eminent unterschiedliche Ansichten hatten? Ihr war durchaus bewusst, dass Sascha noch nie ein sonderlicher Pferdefan war. Wie oft er in den letzten Jahren den Reitstall betreten hatte, konnte sie an ihren beiden Händen abzählen. Scheinbar hatte er wirklich einen riesigen Respekt vor Pferden. Aber das war ganz alleine sein Problem und nicht ihres. Er musste akzeptieren, dass sie ihre eigenen Entscheidungen traf. Und er musste sich bei Phil entschuldigen. Das, was er ihm an den Kopf geworfen hatte, ging ja mal überhaupt gar nicht. Ja, das war ihre Auflage an ihn, bevor sie auch nur ein Wort wieder mit ihm wechselte. Das hatte sie so auch ihrer Schwägerin klar gemacht. Delphie würde versuchen den Vermittler zu spielen. Rosa hatte das Gefühl, dass sie eher auf ihrer als auf Saschas Seite war. Das war eigentlich auch irgendwie Mist, denn egal, wie blöd sich ihr Bruder gerade benahm, wollte sie nicht, dass er deshalb auch noch Stress mit seiner Frau hatte. Aber irgendwie lag es ja auch an ihm, wie sich das Ganze entwickelte. Schließlich hatte nicht sie sich daneben benommen, sondern er. Und wenn er schnell wieder vernünftig wurde, dann würde das Problem auch ganz schnell aus der Welt geschafft sein. Sascha hatte es selbst in der Hand. Nur ein paar angemessene Worte zu Phil und alles war wieder in Ordnung. Nein, war es nicht komplett, denn dann würden sie sich nur erst einmal mit ihren unterschiedlichen Auffassungen auseinandersetzen. Obwohl, warum eigentlich? Sascha musste akzeptieren, dass sie erwachsen war und ihre eigenen Entscheidungen traf. Ja, es war an der Zeit, dass sie sich von ihrem großen Bruder abnabelte und ihm klar machte, dass er trotzdem ihr Held blieb. Nur eben einer ohne das Recht sich in ihr Leben einzumischen. Ja, sie musste ihr Leben endlich komplett in ihre eigenen Hände nehmen und nicht immer nur darauf hören, was ihr Bruder oder ihre Eltern für richtig empfanden.Das hieß eigene Wege gehen! Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Unterhaltung mit Phil, die sie geführt hatten, bevor ihr Bruder dazwischen geplatzt war. Er hatte davon gesprochen, dass er dringend Personal für die Praxis suchte. Als er das erwähnt hatte, war in ihrem Kopf sofort eine Idee aufgeploppt. Die Arbeit hatte ihr in der letzten Woche unheimlichen Spaß gemacht und sie freute sich darauf morgen dort wieder mitzuhelfen. Aber helfen alleine war ihr irgendwie zu wenig. Zum einen wollte sie da nicht wieder rausgekegelt werden, wenn Phil dann Leute fand, die er anstellte. Und zum anderen wollte sie auch etwas lernen und dort vollwertig beschäftigt sein. Mit allen Rechten und Pflichten. So lange sie Phil nur aushalf würde er sie nie wegen eines Fehlers zurechtweisen, weil er das aus Dankbarkeit vermeiden würde. Das sollte so aber nicht sein. Sie wollte ein klares Arbeitsverhältnis mit ihm. Das bedeutete, sie musste sich wie alle anderen auch bei ihm bewerben. Rosa zog sich in ihrem Bett hoch und setzte sich auf. Ihre Arme waren dank Vicky wirklich schon um ein Vielfaches kräftiger geworden. Sie griff nach ihrem Laptop und klappte ihn auf. Tatsache! Phil suchte ganz offiziell Praktikanten und einen Auszubildenden. Die Bewerbungen waren per Mail an die Praxis zu senden. Rosa öffnete das Schreibprogramm und begann zu tippen. Super, das Deckblatt mit einem Foto von ihr, Name und Anschrift war schon einmal fertig. Sie machte sich an ihren Lebenslauf. Manno, der gab nicht wirklich viel her. Wie sollte er auch? Sie hatte ja nichts weiter als ihr Abi und einen Führerschein. Und den Reiterpass. Der war in ihrem momentanen Zustand aber genauso irrelevant wie der Führerschein. Egal, ein Lebenslauf gehörte zu einer Bewerbung dazu. Rosa speicherte ihre magere tabellarische Aufstellung ab. Dann kam noch das Bewerbungsschreiben. Und was sollte sie da als Motivationsgrund angeben? Ich habe gerade sowieso nichts besseres zu tun und brauche eine Beschäftigungstherapie, wäre wohl nicht die richtige Wortwahl. Außerdem entsprach es auch nicht wirklich der Realität. Das wurde ihr gerade klar. Wenn sie sich wirklich bemühte, könnte sie sogar ihr Studium ohne Verzögerung aufnehmen. Im Rollstuhl in die Vorlesung wäre garantiert kein Problem. Aber ihr Bauch sagte ihr, dass das der momentan falsche Weg für sie wäre. Sie wollte hier in Dortmund ihre Reha fortsetzen und versuchen wieder so komplett wie möglich zu genesen. Und sie wollte weiter in Phils Praxis arbeiten, auch das war klar. Die Frage war nur, als was. Rosa horchte in sich hinein. Ihr Bauchgefühl schien auch hier schon die Antwort parat zu haben. Entschlossen begann Rosa zu tippen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und schaute sich noch einmal ihre Bewerbungsunterlagen an. Machte sie wirklich das Richtige? Sie horchte noch einmal in sich hinein und drückte entschlossen den Button senden. Vielleicht hätte sie schon viel öfter mal ihren eigenen Weg gehen und auf ihr Bauchgefühl hören sollen.
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Teen FictionRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...