Rosa lag in ihrem Bett und starrte zu der Tür aus der vor zwei Stunden Rosa-Maria, Alfonso und Phil zusammen mit Nado verschwunden waren. Nado hatte sie die ganze Zeit am Bein gestupst. Der Kleine war so ein Süßer. Rosa schniefte. Es war so schwer gewesen, ihn einfach zu ignorieren. Aber es hatte doch keinen Sinn, wenn sie ihn streichelte, baute er noch eine Beziehung zu ihr auf....und das war so zwecklos und vor allem völlig falsch. Er gehörte zu jemandem, der sich um ihn kümmern konnte und der sich mit ihm beschäftigte. Jemand, der mit ihm ausgedehnte Spaziergänge machte und mit ihm spielte. Ja, so ein Junghund brauchte nicht nur Erziehung, sondern auch Spaß. Der Kleine hatte so ein Glück gehabt, dass sie ihn nach dem Unfall gleich gefunden hatten und dass Phil ihn sofort gut versorgt hatte. Er war wieder ganz gesund. Was sollte er also mit einem Krüppel wie ihr als Frauchen. Rosa schaute auf ihre Beine, die sich unter dem dünnen Betttuch abzeichneten. Selbst mit größter Willenskraft und Anstrengung bewegte sich da nichts. Ja, sie war ein gelähmter Krüppel, der den Rest seines Lebens in einem Rollstuhl dahinvegetieren würde und den anderen nur Arbeit und Sorgen machte. Rosa musste an den schockierten Ausruf von Rosa-Maria denken, als sie sie erblickt hatte. Und auch Alfonso hatte nicht weniger schockiert geschaut. Er hatte nur darauf verzichtet die heilige Mutter Gottes anzurufen. Klar hatten die beiden sich dann Mühe gegeben, sich nichts mehr anmerken zu lassen, und ihr von Mallorca und ihrem Flug hierher erzählt. Trotzdem wusste Rosa ganz genau, wie sehr sie sich garantiert zusammenreißen mussten. Selbst Phil, der immer ein Feuerwerk der guten Laune war, wirkte eher angestrengt. Da half auch sein blödes Zwinkern nicht. Dadurch würde sie auch nicht wieder laufen können. Sie hatte ihm auch klipp und klar gesagt, dass er ein anderes neues Herrchen für Nado finden sollte. Immerhin hatte sie noch genug Verantwortungsgefühl dem kleinen Kerlchen gegenüber, ihn nicht quälend an sie zu binden. Nein, das machte alles keinen Sinn. Auch wenn ihr Herz fast geblutet hatte, als sie Phil ihre Entscheidung mitgeteilt hatte. Sie hatte sich so sehr auf ihr kleines Findelkind gefreut. Genau wie auf ihr neues Leben in Berlin mit dem Studium und Dalia. Sie hatte so große Pläne gehabt. Und dann war alles mit einem Schlag oder besser gesagt Sturz anders. Wieso hatte sie an dem Tag nicht auf Phil gewartet? Zusammen wären sie erst später unterwegs gewesen. Wahrscheinlich hätten sie den aggressiven Hund dann gar nicht getroffen. Aber was nützte ihr das Was-wäre-wenn-gewesen? Sie konnte nur mit dem Was-war-jetzt arbeiten. Und das bedeutete, dass ihr Leben, so wie sie es kannte, zu Ende war. Das würde sich auch nicht mehr ändern, da war sie sich sicher. Egal, was Max und die anderen Ärzte erzählten. Rosa spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen strömten. Klar kamen ihre Eltern sie besuchen, genauso wie Sascha und Delphie oder heute Rosa-Maria, Alfonso und Phil. Aber alle sahen auch so schnell wie möglich wieder zu, dass sie hier weg kamen. Rosa hasste es hier ständig alleine zu sein. Das würde aber wohl für den Rest ihres Lebens so bleiben. Wer wollte schon einen nutzlosen Krüppel in seiner Nähe, um den er sich auch noch kümmern musste, weil er sich nicht selbst versorgen konnte. Rosa schniefte. Ja, sie kam sich schlimmer als ein Kleinkind vor. Es war so entwürdigend, wenn man nicht einmal alleine auf Toilette gehen oder sich duschen konnte. Alle Sachen, die sie früher für selbstverständlich gehalten hatte, waren auf einmal nicht möglich. Rosa hieb wütend mit ihrer Hand auf die Matratze. Sie würde nie wieder reiten können. Ein lauter Schluchzer entsprang ihrer Kehle. Auch wenn sie anfänglich noch Hoffnung gehabt hatte, war die spätestens ab dem Moment gestorben, als Sascha darauf bestanden hatte Dalia zu verkaufen. Das war ja wohl viel aussagekräftiger als jedes Wort der Ärzte. Würde es für sie noch Hoffnung geben, hätte Sascha das niemals veranlasst. Er wusste doch, wie sehr sie an ihrem Pferd hing. Wieder schluchzte sie auf. Ob Dalia sie wohl genauso vermisste? Sie verstand doch überhaupt nicht, warum Rosa nicht mehr da war und sich um sie kümmerte. Hoffentlich hatte sie einen guten neuen Besitzer gefunden, der sie genügend bewegte und sie auch ab und zu mit Möhren und Äpfeln verwöhnte. Rosas Herz zog sich bei dem Gedanken, dass sie Dalia nie wieder sehen würde, schmerzhaft zusammen. Aber nicht nur Dalia würde sie nie wieder sehen. Auch ihr Zimmer im Haus ihrer Eltern war für sie unerreichbar. Sie würde nie wieder die Treppe dorthin hochhüpfen können. Ja, sie sollte sich schon einmal daran gewöhnen, dass das ihr neues Zuhause für den Rest ihres Lebens würde. Ein karges Zimmer in einem Pflegeheim, wo irgendwelche Pfleger ihr beim Nötigsten halfen. Das war doch kein Leben mehr. Ja, sie war nur noch überflüssig und verbrauchte Sauerstoff. Wieder sprudelten die Tränen aus ihren Augen. Wieso war sie nicht einfach richtig gegen den Baum geknallt? Dann hätte sie sich dieses ganze Drama sparen können. Klar, wäre ihre Familie traurig gewesen, wenn sie nicht mehr da gewesen wäre, aber sie hätten dann wenigstens weiterleben können, ohne Rosa als Klotz am Bein zu haben. Rosas Zimmertür öffnete sich und ihre behandelnde Ärztin trat ein. „Und wie geht es uns heute?" Rosa wischte sich schnell mit der Hand über das Gesicht. „Bestens. Ich tanze gleich durch den Raum", knurrte sie. Was sollte diese dämliche Frage überhaupt. „Na ja, vielleicht nicht gleich, aber bald. Ich habe heute den Termin für Ihre zweite OP mitgeteilt bekommen. Danach werden Sie ganz schnell wieder auf den Beinen sein. Da bin ich mir sicher." Ja, genau! Dachte die, Rosa glaubte noch an den Weihnachtsmann? Oder warum erzählte sie ihr solche Märchen? An ihrem Zustand würden auch noch tausend OPs nichts ändern. Sie war und blieb ein Krüppel. Warum konnten die anderen es nicht einfach genauso akzeptieren, wie sie es selbst tat?
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Teen FictionRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...