„So, jetzt haben wir uns aber wirklich einen Strandbesuch verdient, so fleißig wie wir waren." Phil schnappte sich die Strandtasche, die er für Pippa und sich zusammengepackt hatte. Phils Blick fiel zu der Kleinen, die den Kopf schüttelte. „Du warst gar nicht fleißig. Bei José sind immer viel mehr Leute da." Ja, das hoffte er für seinen Kollegen, denn der Tag in der Praxis war ruhig verlaufen. Wenn er immer so wenig Patienten hätte, wäre das mit Sicherheit am Existenzminimum. Scheinbar wussten aber alle Bescheid, dass José nicht da war, und es hatten sich nur ein paar Notfälle eingefunden. Trotzdem war der Tag anstrengender als einer an dem man nicht wusste, wo vorne und hinten war, wenn man noch so einen kleinen Teufel mit beschäftigen musste. Wie gut, dass er durch den Vermehrungstrieb seiner Eltern gut auf kleine Nervensägen vorbereitet war. Als ältester Bruder von insgesamt elf Kindern, hatte man da schon so einige Erfahrung. Die jüngsten Drillinge waren ja im gleichen Alter wie Pippa. „Wir kommen auch mit. Ich habe Rosa-Maria zum Markt begleitet. Glaubt mir, ich habe mir etwas Strand mehr als nur ein bisschen verdient." Marshmallow ließ ihre Strandtasche auf den Boden plumpsen. „Na dann, worauf warten wir noch?" Phil griff sich die Taschen, die er aber gleich wieder zurück auf die Erde gleiten ließ als er Rosa erblickte. „Du....du..." Sascha der sich auch zu ihnen gesellt hatte, war wohl ähnlich überrascht, so wie er herumstotterte. „Ich dachte, ich versuche es heute auch mal mit den Gehhilfen und liefere mir einen Wettlauf mit dir", grinste Rosa ihren Bruder an. „Boah, das ist ja voll doof. Dann kann ich gar nicht auf deinem Schoß sitzen und wir können keine Rallye fahren", schmollte Pippa, die scheinbar mehr an sich dachte. Okay, wie sollte die Kleine auch wissen, was das für die anderen und insbesondere für Rosa für ein bedeutender Schritt war. „Also, können wir?" Rosa bewegte sich zwar noch langsam auf ihren Gehhilfen, dafür aber umso stolzer. Sicherheitshalber würde Phil aber dicht an ihr dran bleiben, falls ihre Kräfte sie doch verließen.
„Hier ist das echt noch schön. Unglaublich, dass man hier Ende Oktober echt noch ins Wasser gehen kann und zu Hause in Dortmund holen sie schon die Winterjacken heraus." Delphie ließ sich auf ihr Handtuch plumpsen und schüttelte ihre nassen Locken aus. „Iiihh!", quietschte Rosa auf. So wie sich das gerade anfühlte, war Delphie wohl Eisschwimmerin. Ihr Blick fiel zum Meer, wo Phil und Pippa herumtobten und sich eine Wasserschlacht lieferten. Eigentlich konnte es ja dann wohl doch nicht so kühl sein. Sie verzog ihr Gesicht. Das wäre echt schön, da mal ins Wasser zu gehen. Aber.....aber warum eigentlich nicht? Sagt man nicht immer, Wasser gab Auftrieb? Also eigentlich sollte sie sich dort gut bewegen können. Sie musste ja nicht einmal ihre Beine wirklich bewegen. Salzwasser gab ja noch mehr Auftrieb als normales. Ja, in Physik war sie gar nicht so schlecht gewesen. Und ihre Arme waren auch kräftig genug, um sie über Wasser zu halten. Die Frage war nur, wie sie ins Wasser kam. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Wieviele Meter waren das wohl bis zum Wasser?
„Nimm das!" Phil spritzte eine Handvoll Wasser in Pippas Richtung. Die Kleine quietschte auf und drehte sich weg. „Rosa! Rosa kommt auch ins Wasser." Sie deutete zum Strand und Phil traute seinen Augen nicht. Dort bewegte sich Rosa mit vorsichtigen Schritten Richtung Wasser. „Komm!", warf er der Kleinen zu und bewegte sich so schnell er konnte durch das Wasser. Wer wusste schon, wie lange Rosa das schaffte. Vielleicht überschätzte sie sich und brauchte gleich seine Hilfe.
Das Gefühl von dem warmen feinen Sand unter ihren Füßen setzte ein ungeheures Gefühl der Freiheit in Rosa frei. Wie oft war sie schon einfach durch den Sand hier auf Mallorca gelaufen, wenn sie mit ihren Eltern Urlaub gemacht hatte? Bestimmt schon tausendmal. Aber noch nie war es für sie so unglaublich und besonders gewesen. Ja, es fühlte sich so.....so weltbewegend an. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, noch vor ein paar Wochen hätte sie es nicht für möglich gehalten überhaupt wieder zu laufen. Nach ihrem Unfall hatte sie gedacht ihr Leben wäre beendet und sie würde nur noch dahin vegetieren. Und jetzt.....jetzt spürte sie jeden einzelnen Sandkorn unter ihrer Fußsohle. Und jeder einzelne Sandkorn stand für sie für ein Ereignis, das sie in ihrem Leben noch erleben würde, ohne auf jemandes Hilfe angewiesen zu sein. Ja, sie würde alles wieder alleine bewältigen können. Das Hochgefühl und der Stolz in ihr überschwemmten sie förmlich, auch wenn sie sich langsam wie eine Schildkröte oder Schnecke bewegte. „Rosa, wo willst du hin?" Wo kam Phil denn so schnell her? Er war doch eben noch mit Pippa im Wasser. Manno, das konnte doch jetzt wohl nicht wahr sein, dass die beiden gerade jetzt rausgehen wollten. „Ich dachte, ich liefere mir eine Wasserschlacht mit euch." „Au ja, Wasserschlacht", quietschte die Kleine auf und feuerte eine Salve in Rosas Richtung ab. Das Wasser traf ihr Gesicht. Mist, damit hatte sie nicht gerechnet. Dieser Sekundenbruchteil der Ablenkung sorgte aber dafür, dass ihre volle Konzentration gestört war, die sie noch benötigte, um ihr Gleichgewicht zu halten und einen Schritt vor den anderen zu setzen. Ja, da war noch nichts wieder automatisiert. Jeder Schritt war eine reine Willensleistung. Manno, wie blöd und leichtsinnig war sie eigentlich? Gleich würde sie im Sand landen und dort wie eine bewegungsunfähige Robbe liegen bleiben. Warum hatte sie sich nicht vorher überlegt? Vicky würde ihr garantiert den Kopf abreißen, weil sie so unvorsichtig war und den ganzen Reha-Erfolg damit gefährdete. „Hab dich!" Rosa spürte Phils warmen Atem an ihrem Ohr und seine kräftigen Arme an ihrer Hüfte, die sie wieder stabilisierten. Ein Kribbeln der Erleichterung durchfuhr sie.
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Teen FictionRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...