Kapitel 68

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Phil schaute zur Tür, aus der gerade seine letzte Patientin, eine Perserkatze samt Halterin verschwand. Warum züchtete man die armen Tiere mit immer kürzeren Nasen? Was fanden die Leute daran? Es war doch klar, dass das alles andere als gesund für die Atmung des Tieres war. Das war auch bei den Hunderassen mit kurzgezüchteter Nase nicht anders. Es gab kaum einen Mops, der keine Probleme mit der Atmung hatte. Wenn diese Tiere dann unglücklicherweise auch noch zum Modetier avancierten, dann kannte der Züchterwahnsinn keine Grenzen mehr. Alles musste noch extremer werden. Das endete dann in irgendwelchen Qualzuchten von Tassenhunden. Wie irre war das bitte, einen Hund zu züchten, der in eine Tasse passte? Das wäre ja genauso, wenn man Menschen so züchtete, dass sie für immer klein blieben und in eine Reisetasche passten. Komischerweise galten diese Sachen beim Menschen aber als körperliche Einschränkung und Behinderung. Warum waren die Leute also nicht in der Lage dies auch bei den Tieren so zu sehen und ihnen das nicht anzutun? Warum mussten überhaupt irgendwelche Zuchtstandards eingehalten werden? Warum reichte es nicht als einzigen Standard ein gesundes Tier zu haben? Das war aber wohl ein Gesellschaftsproblem. Alles musste immer schöner, größer oder besser sein. Schade, dass man dabei übersah, dass manche Entwicklung nach hinten losging. „Chef, im Känguruh wartet Olga" Phil nickte. Olga war eine seiner liebsten und vor allem ersten Patientinnen hier in der Praxis gewesen. Bei ihr handelte es sich um einen deutschen Schäferhund, der schon die durchschnittliche Lebenserwartung überschritten hatte. „Na dann werde ich mal schauen, wie es der Olga geht." Phil lief an Sebastian vorbei. Der Stress schien ihm heute ziemlich zuzusetzen, denn irgendwie sah er ziemlich geschafft aus. Seine Haare standen wild vom Kopf ab, als wäre er sich nicht erst einmal mit der Hand hindurchgefahren, und sein Gesicht wirkte gerötet. Normalerweise sah man ihn so erst abends nach Feierabend an einem langen Praxistag. Phils Blick zur Uhr sagte ihm aber, dass es gerade einmal elf Uhr war und der größte Teil des Tages noch vor ihnen lag. „Alles okay bei dir?" Sebastian nickte sofort. „Joa klar, Chef. Was soll denn nicht okay sein? Mir ist heute nur ein bisschen warm. Aber das ist ja bei dem Wetter und der Rennerei auch kein Wunder. Und jetzt ab mit dir ins Känguruh, Olga wartet und die hat nicht mehr so viel Zeit. Ich bereite hier schon mal alles für den nächsten Patienten vor und assistiere dir dann." „Wie sieht es denn im Wartezimmer aus?" Bis jetzt hatte sich ein Patient an den nächsten gereiht. „Sagen wir mal so, du musst dir keine Gedanken um genügend Praxiseinnahmen machen, Chef." Okay, dann sollte sich Phil wohl nicht länger hier aufhalten, sondern sich lieber um eine 14 jährige Schäferhündin kümmern. Olga begrüßte ihn mit einem freudigen Wuff. „Wie geht es meiner Lieblingspatientin denn?" „Na ja, sie ist etwas sauer, dass sie überhaupt nicht mehr frei laufen darf, aber sie kann halt nicht mehr so gut sehen und das Hören lässt auch zu wünschen übrig. Da ist es anders einfach zu gefährlich. Sie hört ja nicht mehr den Rückruf." Olgas Herrchen kraulte sie liebevoll. Ja, so mochte er seine Patienten beziehungsweise ihre Besitzer. Ihm graute schon vor dem Tag, an dem sich Olgas Besitzer von ihr verabschieden musste. Das würde mit Sicherheit schwer. „Und was liegt heute an?" „Impfen, Chef." Sebastian schien ja geflogen zu sein.
Laute Stimmen waren aus dem Wartezimmer zu hören und es wurde wild an die Tür geklopft. „Ich geh schauen, Chef." Phil widmete sich wieder Olga, die die Spritze gelassen über sich ergehen ließ. „Chef, ein Notfall! Schwerverletzte Katze." Sebastian hatte nur kurz seinen Kopf durch die Tür geschoben und war schon wieder verschwunden. Wahrscheinlich bereitete er schon alles vor. „Ich muss dann mal. Wir sind heute ein bisschen knapp besetzt. Die Rechnung bezahlte ihr einfach beim nächsten Mal." Phil beeilte sich zu seinem Notfallpatienten zu kommen. „Doktor, du musst meine Kitty retten." Ein kleines Mädchen begrüßte Phil mit Tränen in den Augen im Behandlungszimmer. „Unsere Katze hat auf dem Fensterbrett gesessen und das Fenster ist durch den Zug zugeknallt und hat sie rausbefördert", erläuterte die Mutter das Unfallgeschehen. Solche Sachen passierten leider öfter. Phil fragte sich, wann Katzenbesitzer endlich lernten, dass man Fenster auch vor dem Zuknallen sichern konnte. „Aus welcher Höhe?" „Vierte Etage." Na bravo. Katzen überstanden in aller Regel zwar Stürze aus größeren Höhen auf Grund ihres Körperbaus gut, aber auch dieser hatte seine Grenzen. Phil tastete die Katze vorsichtig ab. Zumindest hatte sie erst einmal keine offensichtlichen äußeren Verletzungen. Das sagte aber noch nichts über die Organe und Knochen aus. Das laute Schnurren verhieß nichts Gutes, denn es deutete auf Schmerzen hin und die Katze versuchte sich damit selbst zu beruhigen. „Erst einmal Röntgen, Chef?" Phil nickte Sebastian zu und der griff sich die Katze vorsichtig und trug sie aus dem Raum. „Mama, wo geht der mit meiner Kitty hin?" Das kleine Mädel schaute Sebastian total verängstigt hinterher. Phil ging vor ihr in die Hocke. Eigentlich hatte er gerade überhaupt keine Zeit dazu, der Kleinen alles zu erklären. Aber was sollte es. Im Wartezimmer brannte so oder so die Luft. „Sebastian macht jetzt ein Röntgenbild von ihr, damit wir sehen können, ob sie im Körper verletzt ist." Die Kleine nickte. „Wie von meinem Arm, als der gebrochen war?" „Genau so eins." Das schien die Kleine zu beruhigen. „So da sind wir wieder, Chef." Phil blinzelte mit den Augen. Was hatte Sebastian denn da im Gesicht?

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt