Kapitel 100

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„Los, rein da mit dir!" Rosa war Phil mit ihrem Rollstuhl fast in die Hacken gefahren, als er vor der Tür des Zimmers stehen geblieben war. Also nicht, dass er grundsätzlich ein ängstlicher Mensch war. Eher im Gegenteil. In seiner Familie hielten ihn alle für einen Draufgänger, der keinem Streit und keiner Unannehmlichkeit aus dem Weg ging. Trotzdem war sein Bedürfnis gerade ziemlich gering, dort in das Zimmer zu seinem ehemaligen Kumpel zu gehen. Er wusste doch genau, wie sauer Sascha auf ihn war. Und er konnte sich nicht vorstellen, dass er so am Kopf verletzt worden war, dass er seine Meinung spontan geändert hatte. Also was sollte das bringen? Hier im Krankenhaus konnten sie sich ja noch nicht einmal richtig alles an den Kopf werfen, was es zu sagen gab, aus Rücksicht auf die anderen Patienten. Aber vielleicht war das ja auch gerade der Sinn des Ganzen. Die Tür vor ihm wurde aufgerissen und Marshmallow strahlte ihn breit an. „Prima! Da bist du ja." Eher er sich versah, hatte sie ihn ins Zimmer gezerrt. „Wir beide gehen dann mal in der Cafeteria etwas zu futtern besorgen. Ich könnte immer noch einen ganzen Elefanten verspeisen." Sie griff sich Rosas Rollstuhl und verschwand. Die Tür fiel ins Schloss und Phil wendete sich kopfschüttelnd dem Zimmer zu. Im Bett saß Sascha aufrecht und hatte ihn mit seinem Blick fixiert. Na bravo! Das sah nicht so aus, als würde die Idee von ihm ausgehen. Was sollte es. Jetzt war er schon einmal hier und würde mit Sicherheit nicht mit eingeklemmtem Schwanz wieder verschwinden. Nee, das war nicht seine Art. Er trat zu Saschas Bett. „Also keine Angst, Max hat gesagt, dass alles gut gelaufen ist. Ich bin jetzt nicht hier um noch zu Lebzeiten von dir Abschied zu nehmen." Ja, mit etwas Humor ließ sich doch alles leichter nehmen. „Aber du siehst echt aus als wärst du in eine Kneipenkeilerei geraten", setzte er noch nach, da Sascha schwieg. Phil konnte vieles ertragen, aber kein unangenehmes Schweigen. Endlich stahl sich wenigstens ein Schmunzeln in Saschas Gesicht. „Das ist nicht vom Unfall, Rosa und Fini haben mich nur überzeugt mit dir zu reden." So wie er es sagte, musste Phil lachen. Okay, vielleicht war das hier ja doch keine so blöde Idee. Er wusste zwar nicht unter welchen Medikamenten Sascha noch stand, aber scheinbar waren sie auflockernd. „Alles klar, dann sollten wir das wohl schnell klären, damit wir nicht beide eine Tracht Prügel beziehen." Phil setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Am besten er machte gleich einen Vorstoß. „Ich habe Dalia an Benny vermittelt, damit Rosa selbst entscheiden kann, ob sie sie behält oder ob sie sie verkauft. Wenn Dalia an jemand anderen gegangen wäre, dann wäre sie für sie verloren gewesen und das wäre das allerschlimmste überhaupt. Reiter und ihr Pferd sind wie eine Einheit. Das wirst du vielleicht nicht verstehen. Sie haben ein ganz besonderes Verhältnis. Und wenn hätte die Entscheidung von Rosa kommen müssen und nicht von dir diktiert werden dürfen. Rosa ist mit ganzem Herzen Reiterin und wenn du ihr ihr Pferd wegnimmst, ist das als ob du ihr ihr Herz herausreißt. Ich wollte nicht, dass sie dir das niemals verzeiht und euer Verhältnis darunter leidet." „Bist du jetzt fertig mit deinem Monolog?" Sascha hatte eine kurze Atempause genutzt, um Phil zu unterbrechen. Monolog hörte sich irgendwie negativ an. War er mit seinen Worten nicht zu Sascha durchgedrungen? „Dalia ist wirklich ein zuverlässiges Pferd mit einem sicheren Wesen und es wäre eine Schande, wenn...." „Wenn du mich jetzt nicht mal zu Wort kommen lässt." Saschas dunkelbraune Augen hatten ihn ins Visier genommen und machten den Eindruck eines kampfbereiten Bären. „Verfluchtnocheins! Ich wollte dir nur helfen, damit deine Schwester dich nicht zum Mond schießt und du die Möglichkeit hast noch einmal deinen Hohlraum da oben auszufegen und zu dem Ergebnis zu kommen, dass deine Idee mit dem Verkauf echt scheiße war." Angriff war nun einmal die beste Verteidigung. „Du hast ja nach dem Unfall total überreagiert und nicht mehr rational gedacht. Das muss mal gesagt werden. Als Freund hat man die Pflicht dem anderen auch die Wahrheit zu sagen, egal, wie unangenehm sie ist. Man versucht alles, um den anderen vor einem Fehler zu bewahren. Und wenn du damit nicht umgehen kannst, dann ist das dein Problem und nicht meins." Phil hob trotzig seinen Kopf. Wenn Sascha das nicht begriff, dann sollte er ihm eben die Freundschaft kündigen. Obwohl, das hatte er ja sowieso schon. „Bist du jetzt fertig?", kam es ganz ruhig von seinem Gegenüber. Wie sollte er das werten? Egal! Phil nickte nur. Eigentlich gab es nichts mehr zu sagen. „Prima! Dann kann ich ja jetzt auch etwas sagen. Du hast recht, mit allem was du gesagt hast. Rosa hat mir vorhin den Kopf zurecht gerückt. Es war ein blöder Unfall, genau wie bei mir. Trotzdem hättest du mit mir..." „Mit dir war ja nicht zu reden", unterbrach ihn Phil sofort. „Ehrlich sein sollen, wollte ich auch sagen. Ich war einfach enttäuscht, sauer und wütend, dass du mich hintergangen und dann nicht einmal mit mir darüber gesprochen hast, als du mit Max und Vicky den Rehaplan geschmiedet hast. Meinst du wirklich, ich hätte da kein Vertrauen gehabt, wenn die beiden da auch mitmachen?" „Hättest du?" Phil zog seine Augenbrauen hoch und schaute Sascha prüfend an. Der zuckte mit den Schultern. „Du hast recht. Zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht. Trotzdem...." „Trotzdem hätte ich noch mehr die Diskussion mit dir suchen und dich überzeugen müssen, anstatt den einfachen Weg hinter deinem Rücken zu gehen. Das ist mir auch klar." Sascha nickte. „Und ich hätte dir zuhören und dich nicht weg blocken müssen." „Na prima! Dann seid ihr euch ja einig." Wo kamen denn plötzlich Marshmallow und Rosa her? Phil hatte gar nicht mitbekommen, dass die Tür geöffnet worden war. „Hat jemand Appetit auf Pizza?" Der verführerische Duft zog wie auf Befehl in Phils Nase. „Absolut!" Rosa reichte ihm einen Pizzakarton. „Mmm, Diavolo", grunzte er zufrieden als er in ein Stück hineinbiss. „Boah, noch so ein Verwirrter. Das ist total ekelig. Auf eine Pizza gehört Schinken und Ananas." Delphie schüttelte sich, während Saschas Blick zwischen Phil und seiner Schwester hin und her wanderte. Oh no! Diesen Blick kannte er von den Weibern aus seiner Familie. Der sollte hier nicht gleich wieder auf die nächsten blöden Gedanken kommen. Das fehlte Phil ja gerade noch! Ein Bruder als Kuppelschwester, nein danke. Er kannte Sascha lange genug, um zu wissen, dass diese Kleeblattfreundschaft mit Tessa, Maja und Leokardia ihn in mancherlei Hinsicht geschadet und die Östrogene in ihm zum Schwingen gebracht hatte. Deshalb wechselte er schnell das Thema und stellte die Frage, zu der er die ganze Zeit noch nicht gekommen war. „Wie geht es dir? Hast du noch große Schmerzen?" Sascha schüttelte mit verzogenem Gesicht seinen Kopf. „Dein Bruder hat mir genug Schmerzmittel verabreicht, dass ich auch dich ertrage." „Eh, der Lustige in unserer Bromance bin ich und nicht du", platzte es erleichtert aus Phil heraus. Ja, sie waren wieder auf freundschaftlichem Terrain und das war auch gut so.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt