Kapitel 79

192 39 10
                                    


„Und hast du Hunger?" Rosa saß Phil gegenüber bei seinem Lieblingsitaliener, der auch zu ihrem geworden war. Vor ihr flackerte eine Kerze in einer Korbweinflasche, die auf einer rotkarierten Tischdecke stand. Man, war das schön, wieder hier zu sein. „Und wie, vor allem mal auf Pizza", kicherte Rosa. „Ich liebe spanisches Essen, aber eben auch mal Pizza. Aber erzähl das bloß nicht Rosa-Maria." Ja, ihre Patentante kochte wirklich fantastisch, aber so eine Pizza Diavolo musste auch mal sein. Phil kniff seine Lippen zusammen und tat als würde er sie abschließen. „Ich bin ja nicht lebensmüde", grinste er dann. „Meine Lippen sind versiegelt. Aber wir müssen nachher noch sehen, dass wir uns auch um ihren Picknickkorb kümmern, der im Auto steht. Sie hatte Angst, du würdest sonst bei unserem Ausflug verhungern." Rosa hatte sich schon gewundert, warum Phil einen Korb im Auto hatte, der Essensduft verströmte. „Sie weiß, wo wir waren?" Das erstaunte sie, dass Rosa-Maria ihn nicht versucht hatte davon abzuhalten. „Wo denkst du hin. Sie denkt wir machen eine schöne Spazierfahrt mit kurzer Rast." Okay, das klang viel logischer. „Ihre Pizza, Signorina." Der Kellner stellte den Teller mit ihrer Diavolo vor Rosa ab. Der Duft nach der scharfen Salami stieg ihr sofort in die Nase und kitzelte ihren Gaumen. Ihr Magen knurrte in Vorfreude. Rosa griff sich das Besteck und schnitt ein großes Stück ab, das sie sich in den Mund schob. Genüßlich begann sie zu kauen. Mmmm, schmeckte das gut. Ja, das hatte sie definitiv vermisst. Und da war noch etwas, was sie echt vermisst hatte und was sie sofort wieder zum Laufen bringen musste. „Kann Sebastian jetzt eigentlich am Montag wieder arbeiten? Oder brauchst du noch meine Hilfe?" Ja, die Gespräche mit Phil, die sie hier immer geführt hatten, fehlten ihr nämlich auch. Das war ihr gerade richtig aufgestoßen, als sie den Pizzageschmack auf ihrer Zunge gespürt hatte. Pizza und Gespräche mit Phil gehörten irgendwie zusammen. Sie hatte das in der Zeit vor ihrem Unfall zu lieben gelernt. Das war irgendwie komisch, weil sie beide ja altersmäßig ziemlich weit auseinander lagen. Phil war ein gestandener Tierarzt und sie hatte gerade einmal ihr Abi in der Tasche und noch nicht mehr zu bieten. Sein Horizont war ja schon um ein Vielfaches größer als ihrer. Sascha und Delphies Hochzeit hatte sie aber als Trauzeugen zusammengebracht und ihnen während der Vorbereitungen gezeigt, dass sie doch trotz des Altersunterschieds eine ziemliche Schnittmenge hatten. Okay, die bestand hauptsächlich aus Pferdethemen. Aber das war ja nichts Schlechtes. Phil wackelte mit seinen Augenbrauen. „Würdest du mir denn noch weiter assistieren? Sebastian ist zwar schon ziemlich fit, aber mit seinen verschorften Wunschpunkten würde ich ihn lieber noch nicht auf die Halter meiner Patienten los lassen. Könnte schon sein, dass da einige von den Zweibeinern nicht so begeistert wären." Ja, das konnte sich Rosa auch vorstellen. Besonders einige dieser etwas reiferen Damen, die es ganz offensichtlich auf Phil abgesehen hatten, so oft wie sie mit irgendwelchen Lappalien in der Praxis auftauchten. Frisch geschieden und gut situiert. Und auf der Suche nach einem neuen Opfer oder etwas Vergnügen. Da war sich Rosa nicht so sicher. Auf alle Fälle würden diese Damen wahrscheinlich Angst haben, sich anzustecken und unansehnliche Narben davonzutragen. Aber wenn Sebastian noch ausfiel, sollte das Rosa nur recht sein, dann hatte sie wenigstens noch länger eine Beschäftigung. „Ich kann ja weiter aushelfen, wenn es dir etwas bringt." Phil zwinkerte ihr zu. „Da sage ich nicht nein." Sein Gesicht wurde schlagartig wieder ernst. „Es wird echt Zeit, dass ich mich wieder um einen Praktikanten und Azubi kümmere. Das kann so echt nicht weitergehen, dass eigentlich alles auf Sebastians Schultern lastet." „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch verstärken wollt." Das überraschte Rosa, dass sie davon überhaupt nichts mitbekommen hatte. Phil kratzte sich am Hinterkopf. „Na ja, ich habe mehr als gut zu tun. Die Praxis ist auf dem neuesten Stand und bietet sogar mehr Platz als für nur einen Tierarzt." „Du willst noch einen Kollegen dazu nehmen?", unterbrach Rosa ihn. Auch das war ihr neu. Phil nickte. „Ja, das war eigentlich der Plan. Ich will eine moderne Tierklinik schaffen, die mehr oder weniger rund um die Uhr 365 Tage im Jahr geöffnet ist und wo die Tierhalter jederzeit eine Anlaufstelle haben, wenn es ihren Lieblingen an etwas fehlt. Das Problem ist nur, dass ich das absolut nicht alleine schaffe. Es dürfte keine Schwierigkeit sein, einen Kollegen oder eine Kollegin zu finden, die darauf auch Lust hätten. Da bin ich schon mit einigen alten Kommilitonen in Kontakt. Aber das nützt alles nichts, wenn es am Praxispersonal fehlt." Ja, das klang logisch. „Wieso suchst du dann nicht im Internet. Da finden sich bestimmt genug Leute." Phil nickte „Ja, genug Leute finden sich, aber leider ist keiner von denen brauchbar. Ich habe es ja schon versucht. Du hast nicht durch Zufall Lust eine Ausbildung in der Praxis zu machen?" Phil grinste sie breit an und seine Sommersprossen tanzten auf der Nase. Er winkte ab. „Vergiss es. Du gehörst in die Kategorie Tierärzte, die ich nach ihrem Studium einstellen kann. Aber es wäre schön, wenn du mir erst einmal noch in der Praxis helfen könntest." „Das mache ich gerne." Und das meinte Rosa auch so. Wenn Phil so dringend Hilfe benötigte, bot ihr das ja vielleicht doch die Gelegenheit dort weiterzumachen, auch wenn Sebastian wieder fit war. Jedenfalls hörte es sich so an, als wäre Phil dem nicht wirklich abgeneigt. Das würde sie aber ein anderes Mal zur Sprache bringen. Jetzt lag ihr noch etwas ganz anderes auf dem Herzen. Sie griff über den Tisch nach Phils Hand. „Ich wollte mich auch noch einmal bei dir bedanken, dass du Dalia für mich gerettet hast und dass du das Reiten heute organisiert hast." Warum schüttelte Phil denn so mit seinem Kopf? War ihm ihr Dank peinlich? Das war ja Quatsch. Sie stand ganz tief in seiner Schuld. Das konnte er ruhig wissen. Und er konnte auch ruhig wissen, wie unglaublich das für sie war, was er ihr ermöglicht hatte. „Das hat sich so gut angefühlt wieder auf ihrem Rücken zu sitzen."

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt