Kapitel 71

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„So, Herr Benrath, dann sehen wir uns hoffentlich erst in einem Jahr zur nächsten Impfung von Enie wieder. Die Rechnung bekommen Sie wie immer vorne bei Rosa an der Anmeldung." Der Mann im mittleren Alter grinste ihn breit an. „Na da geht man doch gerne noch einmal vorbei. Das Mädel ist ein Augenschmaus und nicht so eine alte Kneifzange wie Verena. Sie ist ein kleiner freundlicher Sonnenschein. Die sollten Sie echt behalten. Bis nächstes Jahr, Doc." Phil schaute ihm erstaunt hinterher. Die Aussage überraschte ihn. Also nicht, dass Rosa ein Augenschmaus war. Das war ja offensichtlich, aber die Tatsache, dass sie scheinbar freundlich zu den Patienten war. Das war der einzige Punkt, bei dem Phil Probleme gesehen hatte, als er Rosa aus ihrem selbstgewählten Kerker entführt hatte. Er hatte befürchtet, dass sie die Patienten genauso wortkarg und unfreundlich behandelte, wie ihn und die anderen, die sie besuchten. Na umso besser! Er griff nach der Sprühflasche mit dem Desinfektionsmittel und sprühte den Behandlungstisch ein. „Phil!" Das war Alfonsos aufgeregte Stimme. „Hier!", gab er ihm einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort. Der Spanier kam völlig aufgelöst in das Behandlungszimmer gestürzt. Scheinbar war der Einkaufstrip mit Rosa-Maria wohl ziemlich aufreibend gewesen. „Rosa ist weg. Wir müssen sie sofort suchen. Sie war heute morgen so komisch als wir weg sind." Alfonso fuhr sich mit seinen Händen durch die Haare. „Ich hätte bei ihr bleiben müssen. Was, wenn sie sich etwas antut. Madre mia. Wir müssen sofort alle anrufen und einen Suchtrupp zusammenstellen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Du musst...." „Stop!" Es war gar nicht so leicht einen aufgeregten Spanier zu unterbrechen. „Rosa sitzt vorne in der Anmeldung. Weil Verena und Sebastian ausgefallen sind, hilft sie mir dort." „Was?" Alfonso war die Erleichterung anzusehen als er ihn erstaunt anschaute. „Aber sie wollte doch nicht einmal..." „Nichts aber, ich habe ihr einfach keine Wahl gelassen. Und so wie es aussieht, macht sie sich dort sogar ziemlich gut. Meine Patienten schwärmen von ihr und ihrer Freundlichkeit." Alfonso grinste ihn breit an. „Das hast du gut gemacht, mein Junge. Vielleicht war das der Anstoß, der ihr gefehlt hat, wieder anzufangen zu leben. Trotzdem werde ich mal schauen gehen, wie es ihr geht und ob sie eine Erfrischung braucht." Phil schaute ihm hinterher und wischte den Behandlungstisch weiter ab. Na hoffentlich nutzte Rosa Alfonso jetzt nicht als Fluchtmöglichkeit und drückte dem Spanier ihre Arbeit auf.
Phil machte sich auf den Weg ins Wartezimmer, um seinen nächsten Patienten abzuholen. So wie es aussah, lag er mit seiner Befürchtung richtig, denn Rosa war gerade dabei Alfonso das Computerprogramm zu erklären. Na super! Dann war das also nur ein sehr kurzer Erfolg gewesen und sie würde sich gleich wieder in ihrem Zimmer verstecken. Das war doch Mist! Phil spürte Enttäuschung in sich aufsteigen. Egal, jetzt hatte er keine Zeit es auf eine Diskussion mit ihr anzulegen. Dazu war das Wartezimmer einfach zu voll. Aber heute Abend würde er sie nicht einfach so wegkommen lassen.

„Also, hast du es verstanden? Es ist eigentlich total einfach." Rosa schaute Alfonso fragend an. „Princesa, ich habe eine große Firma geleitet in der es ein aufwendiges Logistikprogramm gab, da werde ich ja wohl mit so einem einfachen Patientenverwaltungsprogramm klarkommen. Und wenn es Probleme gibt, habe ich ja den Chat. Also hau ab. Ich komme hier schon klar." Wie zur Bestätigung wandte er sich der Frau im mittleren Alter zu, die gerade die Anmeldung mit einem Chihuahua auf dem Arm betreten hatte. „Einen wunderschönen guten Tag, Señora, würden Sie mir wohl ihren Namen und den dieses hübschen kleinen Kerls sagen." Alfonso ließ seinen Charme nur so sprühen. Und so wie die Dame lächelte, kam das wohl gut an. Okay, dann musste sich Rosa wohl keine Sorgen um die Anmeldung machen. Die war bei Alfonso in guten Händen. Jetzt kam es also mehr auf sie selbst an, ob es so funktionierte, wie sie sich das vorstellte. So viel wie heute los war, konnte Phil mit Sicherheit jede helfende Hand gebrauchen. Sie setzte ihren Rollstuhl in Bewegung. Und blieb gleich an der Kante des Schreibtischs hängen. Verflucht, warum hatte sie nicht den Umgang mit dem Teil schon besser geübt. Egal! Sie würde sich nicht davon aufhalten lassen, dass sie hier und da ab und zu hängen blieb. Das würde schon noch besser werden, und zwar hoffentlich schnell. Wie gesagt, Millionen von Menschen meisterten ihren Alltag so, dann würde sie das ja wohl auch hinbekommen. Entschlossen schob sie die Räder an und rollte in Richtung Behandlungsräume. Die eine Tür war geschlossen. Okay, dann war Phil dort gerade in einer Behandlung. Rosa rollte in den anderen Raum. Hier lagen noch benutzte Spritzen herum. Sie sah sich um. Da war ein Behälter, wo die wohl drin entsorgt wurden. Sie griff sich die Spritzen und schmiss sie dort hinein. Was war jetzt noch zu erledigen, damit hier alles wieder so war, dass das Behandlungszimmer wieder einsatzfähig war? Ihr Blick fiel auf die Sprühflasche mit Desinfektionsmittel. Das konnte ja auf keinen Fall falsch sein. Rosa griff sich die Flasche und eine Rolle Papiertücher. Mist, sie kam auf keinen Fall bis zur Mitte des Tischs. Egal wie sehr sie sich bemühte. „Was machst du denn hier?" Phils Stimme ließ sie zusammenzucken. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt. „Ich habe Alfonso das Praxisprogramm erklärt. Er übernimmt jetzt den Empfang." Rosa biss sich auf ihre Unterlippe. „Ich dachte, ich kann dir vielleicht hier ein bisschen zur Hand gehen. Außer ich stehe dir mit dem blöden Rollstuhl mehr im Weg herum, dann tausche ich mit Alfonso." Phils Sommersprossen fingen an zu tanzen. Dieses Grinsen hatte sie schon so lange nicht mehr bei ihm gesehen. „Das ist super. Aber du musst dich nicht so abquälen, schau mal, hier ist ein Knopf, mit dem kannst du den Behandlungstisch runterlassen, dann ist es leichter für dich." Rosa hörte ein Surren und dann senkte sich der Tisch vor ihr. Ja, so kam sie definitiv besser ran. Sie beugte sich etwas vor und wischte den Rest sauber. „So, das Behandlungszimmer ist dann glaube ich wieder bereit. Soll ich schon den nächsten Patienten holen?" Auf das Nicken von Phil setzte sie ihren Rollstuhl in Bewegung. Diesmal eckte sie auch nicht gleich irgendwo an.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt