Kapitel 54

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„Danke mein Großer, dass du mir geholfen hast?" Phil schaute zu seinem jüngsten Neffen, der grinsend nickte und seinen Spielzeug Medizinkoffer in seiner Hand schwenkte. „Nicht nur Merlin. Ich auch!" Neben dem Kleinen war seine ältere Schwester Romy aufgetaucht. Auch sie hatte eine Medizintasche in der Hand und ein Stethoskop um den Hals baumeln. Phil musste schmunzeln. Wie es sich für ein richtiges Ärztekind gehörte, war es natürlich keins aus Plastik, sondern ein echtes, das ihr Vater ausrangiert hatte. „Na, mit so viel Unterstützung konnte ja gar nichts schief gehen. Zauberzwerg, gibst du das der Schneeflocke als Belohnung, weil sie so tapfer war." Phil reichte seinem Neffen einen von den selbstgebackenen Hundekeksen, die Rosa-Maria mittlerweile jeden Tag zur Begeisterung seiner hundischen Patienten backte. „Und du gibst ihr das hier auch noch. Das ist gut für ihre Zähne, damit sie keinen Zahnstein bekommt." Seiner Nichte reichte er einen Ochsenziemerabschnitt. „Ja, Schneeflocke kann sich ja nicht alleine die Zähne putzen." Romy nickte verständig. „Da ist das wichtig." „Wenn ich so etwas kaue, muss ich dann auch nicht mehr die Zähne putzen?" Merlin schaute interessiert auf den Ochsenziemer in der Hand seiner Schwester." Phil musste lachen. „Vergiss es, Zauberzwerg! Das hilft nur bei Hunden. Und jetzt gebt Schneeflocke die Belohnung." Der Familienhund seines Bruders verschlang den Hundekeks und rannte mit seiner anderen Beute durch die offene Terrassentür in den Garten. Phil schaute dem weißen fluffigen Wollknäuel hinterher. Schneeflocke war vor einigen Jahren das Weihnachtsgeschenk seines Bruders an seine Frau gewesen. Sie hatte damals eine sehr schwere Zeit mit einer Fehlgeburt und einem todkranken Vater. Phil hatte Max den jungen Welpen aus dem Tierschutz vermittelt, der Leo etwas aufmuntern und Trost spenden sollte. Das hatte wunderbar funktioniert. Ja, Tiere waren da viel empathischer und besser für geeignet als Menschen. Das war auch ein Grund, warum Phil so gerne mit Tieren arbeitete. Außerdem waren sie auch viel dankbarer und ehrlicher, wenn sie einem ihre Liebe schenkten. Ja, sie waren nicht so berechnend. Na ja, außer vielleicht, wenn es um Fressen ging, dann waren sie schon ziemlich käuflich. Jedenfalls fühlte er sich immer noch verantwortlich für Schneeflocke. Deshalb war er auch heute zu einem Hausbesuch bei seinem Bruder, um das Kerlchen zu impfen. Sein Bruder und seine Schwägerin hatten schon genug mit ihren drei Kindern zu tun. Da mussten sie sich nicht auch noch in seine Praxis auf den Weg machen. „Du sollst meinen Sohn nicht immer Zauberzwerg nennen." Max verzog unzufrieden sein Gesicht. „Dann hättest du ihm einen anderen Namen geben müssen", lachte Phil nur. „Merlin ist für mich einfach ein Zauberer. Da kannst du nichts dran ändern." Max fing an zu schmunzeln. „Okay, dann werde ich mich wohl damit abfinden müssen. Aber irgendwann kommt auch noch meine Zeit. Wenn du erst einmal ein Kind hast. Bestimmt fällt mir dann auch etwas ein, was dich ärgert." Phil winkte ab. „Vergiss es. Ich werde mit Sicherheit kein Kind in die Welt setzen. Das macht ihr schon alle ausreichend. Ich habe keine Lust auch noch an der Überbevölkerung der Erde teilzuhaben. Unsere Familie ist da schon genug beteiligt." Max schüttelte schmunzelnd seinen Kopf. „Du wirst deine Meinung auch noch ändern, da bin ich mir ganz sicher. Du hast nur noch nicht die Richtige getroffen und bist zu sehr damit beschäftigt die Welt zu retten und für alle anderen da zu sein, anstatt mal an dich selbst zu denken." „Du redest ein Blech. Erstens habe ich es schon versucht, du erinnerst dich vielleicht an Blanca? Und ich habe für mich festgestellt, dass das nichts für mich ist. Und zweitens muss es ja auf dieser Welt auch Superhelden ohne Umhang geben." Phil reckte seine Hand in die Luft als wäre er Superman. „Onkel Phil, kommst du mit in den Garten mit mir Superman spielen? Ich habe auch einen Umhang für dich, wenn du keinen hast. Emilio ist auch draußen im Garten." Der Zauberzwerg grinste ihn breit an. Er hatte wohl einen Teil des Gesprächs mitbekommen. „Na da kann ich ja auf keinen Fall nein sagen." Phil genoss es immer auch etwas Zeit mit seinen Neffen und seiner Nichte zu verbringen. Romy und Merlin waren ja die leiblichen Kinder seines Bruders und seiner Schwägerin Leokardia. Emilio war der kleine Halbbruder von Leo, den die beiden adoptiert hatten, als ihr gemeinsamer Vater gestorben war. Das war zu der gleichen Zeit, als Schneeflocke in die Familie gekommen war. Irgendwie bewunderte Phil seinen Bruder dafür, dass er so ein toller Familienvater war. Er konnte sich das bei sich selbst nicht vorstellen. Nein, das war absolut nicht sein Ding. Diese Verantwortung für einen anderen Menschen wollte er nicht übernehmen. Es reichte, wenn er für sich und seine Tiere verantwortlich war. „Onkel Phil kommt gleich nach. Ihr könnt schon einmal vorgehen. Ich muss noch kurz etwas mit ihm besprechen." Die Kinder nickten und verschwanden in Richtung Garten. „Was willst du noch mit mir besprechen?" „Na ja, Rosa zieht doch bei dir ein." Phil war beunruhigt, so wie Max schaute. Er kannte diesen Blick. So schaute sein Zwilling immer, wenn er nicht wusste, wie er ein schwieriges Thema ansprechen sollte„Gibt es irgendwelche Probleme mit der OP?" Max schüttelte den Kopf. „Nein, da erwarte ich überhaupt keine Probleme. Rosa wird danach hart arbeiten müssen, aber sie hat gute Aussichten komplett wiederhergestellt zu werden." „Also keine zurückbleibenden Einschränkungen?" Der Gedanke bescherte Phil ein Glücksgefühl. Die Kleine hatte es verdient ihr altes Leben wieder aufzunehmen. Max schüttelte seinen Kopf. „ Aus medizinischer Sicht voraussichtlich nicht. Aber ich mache mir Gedanken um dich." „Um mich?" Phil schaute ihn überrascht an. „Wieso das denn?" „Weil Rosa bei dir leben wird und das nächste halbe Jahr nicht einfach für sie wird. Sie wird psychische Auf und Abs durchleben. Enthusiasmus wird von Rückschlägen abgelöst werden. Bist du dir sicher, dass das nicht zu viel für dich wird? Du hast deine Praxis und sie ist nur die kleine Schwester von deinem besten Kumpel." Phil verzog sein Gesicht. Klar war ihm klar, dass es nicht leicht werden würde. „Ich kümmere mich ja nicht alleine um sie. Im Grunde stelle ich ihr nur Wohnraum zur Verfügung und die anderen machen die ganze Arbeit. Rosa-Maria, Alfonso, Delphie und Vicky tragen ja die Hauptlast." Boah, was für ein blödes Wort. Man sollte das nicht als Last ansehen, sondern als Möglichkeit etwas Gutes zu tun und zu helfen. „Du bist ihr zu nichts verpflichtet. Das weißt du, oder?" Phil nickte. Ja, rein objektiv betrachtet war das so. Aber irgendwie hatte er das dringende Bedürfnis ihr zu helfen. Woran das lag? Wahrscheinlich daran, dass er sich bis jetzt nicht nur einmal gefragt hatte, ob er den Unfall hätte verhindern können, wenn da nicht dieser Notfall gewesen und er pünktlich zu ihrer Verabredung gekommen wäre.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt