Kapitel 125

203 38 10
                                    


„Na los! Wir machen das schon! Was kann schon passieren!" Phils Vater hatte seinen Arm um seine Schulter gelegt und schob ihn Richtung Eingang der Anwaltskanzlei. Ja, was konnte schon passieren? Dass seine ganze Lebens- und seine ganze Zukunftsplanung auf den Kopf gestellt wurde, das konnte passieren. „Willst du noch einmal tief durchatmen, ehe wir reingehen, Großer?" Phil nickte seinem Vater zu und blieb stehen. Er schloss die Augen und zog Luft tief in seine Lunge. Ja, jetzt würde es sich entscheiden, wie sein Leben weiterging und ob sich alles änderte. Sofort bekam er wieder dieses beklemmende Gefühl in der Brust. Für eine Flucht war es aber definitiv zu spät und eigentlich war er auch nicht der Typ dafür. Er nickte seinem Vater zu. „Lass uns reingehen."
Zehn Minuten später verfluchte er die Entscheidung. „Wie sie sehen, ist das Ergebnis eindeutig." Der Anwalt deutete mit seinem Stift in Richtung der Blätter, die vor Phil und seinem Vater lagen. Sie nickten beide. „Und wie läuft das jetzt weiter?" Phils Stimme klang für seine eigenen Ohren ziemlich fremd. Ihr fehlte es an Kraft und Selbstvertrauen. Er klang eher wie ein eingeschüchtertes Kind, das etwas ausgefressen hatte. Und genauso fühlte er sich auch. „Ich habe die Behörden sofort von dem Ergebnis informiert und die Übergabe in die Wege geleitet." Der Anwalt lächelte ihn an. „Sie müssten mir dann noch hier ein paar Unterlagen unterschreiben, damit ich für Sie noch die nötige Bürokratie abwickeln kann." Der Anwalt reichte ihm einen weiteren Wust an Papieren, den Phils Vater sofort an die Dolmetscherin und ihren Mann weiterreichte. Ja, sein Vater hatte ihn mit hierher bestellt, um eine zweite neutrale Kontrolle zu haben. Die Dolmetscherin übersetzte, ehe sie das Papier ihrem Mann reichte, der es sich auch durchlas und nickte. „Das ist ein ganz normales Anerkennungsschreiben." „Okay, dann kannst du es unterschreiben." Phils Vater reichte ihm wieder die Blätter und Phil griff nach dem Stift, der auf dem Schreibtisch vor ihm lag. Er schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Mit zitternder Hand setzte er seine Unterschrift unter die Vordrucke. Damit war sein zukünftiges Leben besiegelt. Nichts würde mehr so sein, wie es mal war. Ein festes Band schnürte sich um seine Brust. „Danke." Der Anwalt nahm ihm die Unterlagen ab. „Ich werde dann alles weitere in die Wege leiten. Ein Mitarbeiter der zuständigen Behörde müsste in den nächsten Minuten eintreffen und alles weitere mit Ihnen regeln. Natürlich stelle ich Ihnen gerne einen meiner Besprechungsräume für die Übergabe zur Verfügung. Sie können sich dafür so viel Zeit nehmen, wie Sie benötigen. Das ist ja mit Sicherheit ein sehr emotionaler Moment, der für keinen der Beteiligten einfach ist." Emotional und nicht einfach? Besonders die letzten Worten trafen Phils Gefühlszustand ziemlich genau. Nichts würde mehr einfach sein. Alle erhoben sich. „Einen Moment noch, Herr Reus!" Phil war bereits an der Tür, als der Anwalt nach ihm rief. „Den hier hätte ich ja fast vergessen, Ihnen zu geben." Der Anwalt umrundete seinen Schreibtisch und kam zu Phil gelaufen. Er reichte ihm einen rosa Umschlag auf dem sein Name stand. Die Schrift darauf kannte er sehr gut. Er musste schlucken. „Danke." „Gerne. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft." Der Anwalt reichte ihm die Hand. Phil bedankte sich und schaute noch einmal auf den Umschlag in seiner Hand. „Los jetzt, wir wollen ja nicht die letzten bei der Übergabe sein." Phils Vater zog an seinem Arm. Irgendwie war sein Vater, seit dem das Ergebnis bekannt war, total hibbelig. „Sie werden ohne uns wohl nicht anfangen." Phil war eher das genaue Gegenteil von seinem Vater. Er könnte sich jede Zeit der Welt lassen, um in den Besprechungsraum zu kommen. Ja, es war so, als wolle er diesen kurzen Rest der Freiheit noch genießen. Den Umschlag ließ er in seiner Jackentasche verschwinden. Er würde jetzt sowieso keine Zeit haben ihn zu lesen. Seine Neugier hielt sich sowieso in Grenzen. Wer wusste schon, welche weitere Katastrophe ihm dort noch offenbart wurde?
„Guten Tag, mein Name ist Sanchez." Eine Dame mittleren Alters erwartete Phil und seinen Vater bereits in dem Besprechungsraum. „Ich bin die zuständige Sachbearbeiterin, die Ihren Fall betreut. Meine Kollegin müsste auch gleich kommen." Phil ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Hier fehlte definitiv noch der wichtigste Teil der Übergabe. Erleichterte ihn das? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Er konnte seine Gefühle gerade selbst nicht einschätzen. Am liebsten würde er das wie bei einem Pflaster handhaben. Runter und fertig!
„Ich möchte Ihnen auch noch mein herzliches Beileid zum Tod von Frau Martinez Ramos aussprechen. Es ist immer sehr traurig, wenn jemand so jung uns schon verlässt. Ich kann mir vorstellen, was das für ein Schock für Sie gewesen sein muss." Das konnte sie mit Sicherheit nicht einmal im Ansatz. Da war sich Phil sicher. „Es ist aber schön, dass Sie sich so schnell hierher bemüht haben, um das Ganze zu klären. Mancher Vater hätte das nicht getan und sich erst einmal vor seiner Verantwortung gedrückt." Die Dame lächelte ihn freundlich an. „Also Ihre Tochter ist wirklich eine ganz Süße. Aber natürlich hat der Tod ihrer Mutter auch Auswirkungen auf ihr Verhalten. Sie war jetzt eine Woche seit dem Bekanntwerden des Todes ihrer Mutter in staatlicher Obhut. Auch wenn wir unser Bestes gegeben haben, hat sie sich doch sehr zurückgezogen. Sie müssen also sehr behutsam mit ihr sein. Sie ist ja auch noch sehr klein und kann das alles nicht einordnen. Ich bin mir aber sicher, dass sie bei Ihnen schnell wieder auflebt." Wie konnte sich die Tante da so sicher sein? Phil war bestimmt vieles.... ein guter Tierarzt, ein guter Onkel, aber mit Sicherheit kein guter Vater. Dafür taugte er einfach nicht!

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt