Kapitel 32

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Phil umklammerte das Lenkrad seines Autos und starrte auf das Fahrzeug vor ihm. Verflucht! Konnte diese Schlafmütze nicht mal etwas schneller fahren. Sein Blick wanderte zum Himmel. Der Helikopter war nirgends mehr zu sehen. Das war ja auch kein Wunder, schließlich hatte er ja erst zum Stall zurückreiten und dann in sein Auto springen müssen. Glücklicherweise kümmerte sich Peter auch um seinen Salomon. Ja, er wollte so schnell wie möglich zu Rosa ins Krankenhaus. Die Kleine sollte da nicht alleine sein. Das war doch garantiert alles total verängstigend für sie. Er musste an ihre verzweifelten Kornblumen denken als man sie auf die Vakuumliege verfrachtet und in den Hubschrauber geladen hatte. Sie hatte verzweifelt geschaut und trotzdem versucht tapfer zu sein. Nicht eine Träne war gerollt. Phil musste Schlucken und seine Erinnerung produzierte wieder diese lauten Rotorgeräusche des Hubschraubers als er abgeflogen war. Die Verletzung war echt Scheiße. Dazu reichte auch sein Veterinärwissen. Seine Hand wanderte zum Display und scrollte durch sein Telefonregister. „Hola, mi hermano!", meldete sich schon nach dem zweiten Freiton Max fröhlich. „Cómo estás?" „Scheiße!", platzte es aus Phil heraus, ohne auf ihr übliches Spanischgeplänkel einzugehen. Das war so eine Art Ritual, wenn dort einer von ihnen in Urlaub war. „Was ist?" Max hatte auch sofort umgestellt. „Warum geht es dir scheiße?" Phil hörte sofort die Besorgnis in der Stimme seines Zwillingsbruders und das tat gerade ziemlich gut, zu wissen, dass es da noch einen gab, mit dem er sich die Antennen teilte. „Du musst sofort nach Dortmund kommen. Ich brauche dich hier." „Was ist passiert?" Max klang nicht mehr nur besorgt, sondern alarmiert. „Rosa ist vom Pferd gestürzt und wird gerade in die Uniklinik geflogen." „Scheiße! Was für eine Verletzung?" Max als Mediziner kam gleich zum Wesentlichen. Klar, wusste er, dass man sie wegen eines eingerissenen Fingernagels nicht mit dem Rettungshubschrauber dorthin flog. „Sie hat irgendeine Verletzung an der Wirbelsäule. Du musst sofort kommen", presste Phil heraus. „Ich rufe sofort meine Kollegen in der Klinik an und dann melde ich mich noch einmal bei dir.  Okay?" „Okay." Was sollte Phil auch anderes sagen. Sein Bruder konnte sich ja nicht her teleportieren. Wichtig war, dass er dafür sorgte, dass Rosa gut versorgt wurde und er Phil auf dem Laufenden hielt. Trotzdem wäre es ihm lieber, wenn Max sich selbst um Rosa kümmern würde. Ihm vertraute er. Und bei Max wusste er auch, dass er einer der besten war. „Hast du schon Erik und Kathie angerufen?", scholl ihm Max ruhige Stimme entgegen, als er gerade das Gespräch beenden wollte. Mist! Daran hatte er noch gar nicht gedacht. „Mache ich jetzt!" „Alles klar. Ich melde mich." Na hoffentlich rief sein Bruder bald zurück. Phil scrollte wieder durch sein Telefonverzeichnis. Sollte er lieber Erik oder Kathie anrufen? Also in seiner Familie wäre seine Mutter mit Sicherheit die, die nicht gleich aus dem Anzug hüpfen und in Tränen ausbrechen würde. Dafür hätte er nämlich gerade überhaupt keine Nerven. Sein Vater wäre, der emotionalere. Wie war das aber bei Rosas Eltern? Auch wenn Kathie eine enge Freundin seiner Mutter war und Erik ein früherer Mitspieler seines Vaters und er sie seit seiner frühesten Jugend kannte, wusste er nicht, wie sie in so einer Situation reagieren würden. Seinem Bauchgefühl folgend, wählte er Eriks Nummer. „Hallo Phil, Rosa hat mir schon gesagt, dass du bei der Überführung von Dalia hilfst. Ich wollte dich nachher sowieso noch anrufen und das mit dir besprechen." Eriks fröhliche Stimme schlug Phil entgegen. Wie sollte er ihm jetzt am besten die schlechte Nachricht überbringen und seine gute Urlaubslaune zerstören? Am besten mit dem Anfang und dann die Reaktion abwarten.. „Ich rufe an, weil Rosa vom Pferd gefallen ist." „Hat sie sich verletzt?" Noch ehe Phil zu Wort kam, redete Erik schon weiter. „Natürlich hat sie sich verletzt. Was für eine blöde Frage. Du rufst mich doch nicht einfach nur so an. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sie vom Pferd gefallen ist. Wie schlimm ist es?" Phil atmete einmal tief durch. „Sie hat eine Verletzung an der Wirbelsäule und wird gerade mit dem Rettungshubschrauber in die Uniklinik geflogen. Ich bin gerade auch auf dem Weg dorthin." „Verflucht! Irgendwann musste so etwas ja mal passieren mit diesem dämlichen Gaul." Phil hörte wie am anderen Ende der Leitung etwas klirrte. „Erik, was trittst du denn gegen diesen harmlosen Tisch?" Das war die Stimme von Kathie. „Rosa ist vom Pferd gefallen und hat sich an der Wirbelsäule verletzt. Sie wird gerade in die Uniklinik geflogen" Setzte Erik seine Frau ins Bild. Phil hörte ein Aufschluchzen. „Ähm Phil, Danke für den Anruf", ertönte wieder Eriks Stimme. „Ich sehe zu, dass wir sofort einen Flug bekommen. Ich melde mich dann wieder. Bestell Rosa liebe Grüße und bitte gib uns Bescheid, wenn du etwas Neues weißt." „Mache ich. Ich habe auch schon Max angerufen." „Das ist gut! Ich melde mich gleich, wenn ich weiß, wann wir landen." Damit war das Gespräch beendet. Phil konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken wieder zu Rosa wanderten. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie verzweifelt und verängstigt die Kleine da im Krankenhaus gerade war und die ganzen Untersuchungen über sich ergehen lassen musste. Er trat ein wenig mehr auf sein Gaspedal. Das war schließlich ein Notfall. Noch zweimal abbiegen, dann war er da. Er fuhr in das Parkhaus und hatte Glück sofort einen Parkplatz zu finden. Gerade als er aus dem Auto sprang, klingelte Rosas Handy, das er immer noch in der Tasche hatte. Sascha, leuchtete es ihm in großen Buchstaben vom Display entgegen. Was sollte er jetzt machen? Am besten das Gespräch annehmen, ehe sein Kumpel noch durchdrehte, weil er Rosa nicht erreichte. „Na wie geht es euch Flitterwöchnern?" Er versuchte seiner Stimme einen besonders fröhlichen und ausgelassenen Klang zu geben. „Die Karibik ist wunderbar und Del und ich genießen hier jeden Tag. Aber was machst du am Telefon meiner Schwester?" Saschas Stimme hatte einen misstrauischen Klang angenommen. „Wir waren zusammen reiten und jetzt...." Sascha lachte am anderen Ende. „Und jetzt rennt sie irgendwo im Stall herum und du bist rangegangen, damit ich hier nicht verzweifele." „So in etwa." Das war ja nicht gelogen. „Sag ihm einfach, dass es ihr gut geht und sie heute noch von dir zum Essen eingeladen wird", ertönte die Stimme von Marshmallow. Scheinbar hatte Sascha wohl auf Lautsprecher gestellt. „Ich möchte nämlich  ein bisschen mit meinem Mann schnorcheln gehen bevor es hier Mittag gibt." Mittag? Ach ja, da war ja die Zeitverschiebung. So ausgelassen wie Marshmallow und Sascha klangen, konnte Phil ihnen unmöglich die Wahrheit sagen und die Flitterwochen versauen. „Ja, sie bekommt noch etwas zu essen." Das würde ja wohl im Krankenhaus der Fall sein. Und auf den Rest musste er ja nicht eingehen. Er wollte seinen Kumpel wirklich nicht anlügen. „Dann melden wir uns morgen wieder. Und habt noch einen schönen Abend." „Euch auch noch viel Spaß und grüßt Nemo von mir." Phil ließ das Telefon wieder in seine Hosentasche gleiten. Irgendwie hatte er ein blödes Gefühl, Sascha nichts gesagt zu haben. Er selbst würde ja auch wissen wollen, wenn etwas mit einem seiner Geschwister wäre. Aber noch wusste er ja gar nicht, was die genaue Diagnose war, beruhigte er sich. Wenn er mehr wusste, würde er Sascha informieren. Flitterwochen hin oder her!

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt