Kapitel 139

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„So, ich denke, wir haben dann eigentlich alles wegen der neuen Organisation ab morgen besprochen. Ihr könnt dann auch Feierabend machen. Oder hat noch jemand Fragen?" Ein kollektives Kopfschütteln setzte ein. Phils Blick wanderte zu Rosa, die ihn nachdenklich anschaute, aber auch den Kopf schüttelte. „Na dann raus mit euch aus meinem Büro!" Phil stand von seinem Platz hinter dem Schreibtisch auf und die anderen folgten seiner Aufforderung. Nur Sebastian blieb eisern sitzen. Phil schaute ihn erstaunt an. Normalerweise wäre er der erste gewesen, der sich aufgemacht hätte, um sich ganz zufällig noch einmal von Rosa-Maria in der Küche zu verabschieden, in der Hoffnung, dass sie ihn einlud zum Abendessen zu bleiben oder ihm wenigstens ein Care-Paket mitgab. Ja, die beiden waren scheinbar eine Art Symbiose eingegangen. Rosa-Maria versorgte Sebastian mit Essen und er brachte ihr irgendwelche Kräuter und Gewürze mit, die er in einem Laden in seiner Wohngegend besorgte. „Chef, kann ich noch mit dir reden?" Phil zuckte mit den Schultern und nickte. „Ja klar. Was liegt dir denn auf dem Herzen?" Hoffentlich war es nichts, was seine Arbeit in der Praxis betraf, denn ohne Sebastian wäre er echt aufgeschmissen. Also, keine Frage, dass er ihm eigentlich wünschen würde, dass er doch noch sein Veterinärstudium aufnehmen würde. Aber das wäre dann ein echter Schlag für ihn und seine Patienten, denn so eine fähige Kraft würde er nie wieder finden. Also hoffte Phil, dass das nicht das Thema war, genauso wenig wie ein Umzug wegen seines kleinen Sohnes. Obwohl Phil auch dafür Verständnis hätte, denn seit er Pippa hatte und das war gerade einmal seit knapp zwei Wochen, konnte er sich nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu leben, als bei ihr. Ja, seine kleine Tochter hatte sich zum zentralen Mittelpunkt seines Lebens entwickelt.
Sebastian fuhr sich mit seiner Hand durch den Nacken. Oh,oh! Das bedeutete selten etwas Gutes. Phil machte sich auf eine Hiobsbotschaft gefasst. „Ja, also Chef, ich weiß jetzt gar nicht richtig, wie ich das ansprechen soll." Jetzt kratzte er sich auch noch am Hinterkopf. Das war eindeutig ein Zeichen dafür, dass ihm etwas ziemlich schwer fiel. Verflucht! Phil konnte jetzt wirklich keine schlechte Nachricht gebrauchen. „Aber irgendwie muss es gesagt werden, Chef. Auch wenn es mir eigentlich nicht zusteht. Also bitte nicht böse sein." „Los jetzt hau raus, was dir auf dem Herzen liegt." Noch längeres Herumgeeier würde Phil noch verrückt machen. „Ja, also Chef, meinst du wirklich, dass es Sinn macht, wenn du dem neuen Tierarzt Rosa zuteilst, anstatt mich?" Ja, sein Kommilitone hatte zugesagt und würde sogar noch vor Weihnachten anfangen. Das war eine große Erleichterung für Phil, weil ihn das gut entlasten würde, damit er mehr Zeit für seine Tochter hatte und trotzdem seinen Patienten gerecht werden konnte. „Wir beide sind ein eingespieltes Team." Das war eine ziemlich abgedroschene Antwort, denn natürlich war das nicht der Grund für diese Einteilung. In den letzten knapp zwei Wochen war es für Phil immer schwerer geworden, Rosa aus dem Weg zu gehen. Er hoffte so wenigstens, es in der Praxis zu schaffen. Klar, war das feige und eigentlich müsste er endlich ein Gespräch mit ihr führen, damit sie nicht weiter irgendwie in der Luft hing und endlich wusste, was Sache war. Aber auch was das Gespräch anging, war er feige. Er wollte es einfach nicht führen und hoffte, dass Rosa irgendwann von ganz alleine darauf kam und ihre Entscheidung traf das Ganze zu beenden. Das Ganze! Was steckte schon hinter diesem Wort? Im Grunde nicht viel seit Pippa bei ihm in Dortmund war. Klar, war Rosa irgendwie auch immer dabei, aber Pippa bot ihm ein hervorragendes Schutzschild, hinter dem er sich verstecken konnte. Ja, Rosa war die Letzte, die etwas sagte, wenn er sich um seine gerade erst gefundene Tochter kümmerte. „Ja, aber du bist auch ein ziemlich gutes Team mit unserer Rosa. Und eigentlich wäre es doch besser, wenn ich mit dem neuen Kollegen zusammen arbeite. Ich kenne mich ja doch noch etwas besser hier aus, als die Kleine, auch wenn sie eine ganz schön harte Konkurrenz ist." Sebastian zwinkerte Phil zu, der ein Brummen von sich gab. Natürlich hatte sein Mitarbeiter recht. Aber..... „Chef, was ist eigentlich wirklich los?" Sebastian fuhr sich wieder mit seiner Hand durch den Nacken. „Ich will mich ja nicht einmischen, aber...." Sebastian schnaufte einmal geräuschvoll Luft aus. „...aber seit du aus Mallorca zurück bist, ist es fast so, als würdest du dich vor Rosa verstecken oder ihr aus dem Weg gehen. Und ich frage mich warum. Sogar ein Blinder hat doch gesehen, dass ihr beide total ineinander verschossen seid." War das wirklich beides so offensichtlich? Scheinbar ja. „Mensch Sebastian, du bist doch selbst Vater. Du weißt doch, dass das Kind über allem steht." Sein Mitarbeiter nickte. „Joa, aber was hat das damit zutun, dass du dich vor unserer Praxisrose versteckst?" Scheinbar hatte Sebastian seine Zurückhaltung aufgegeben und in den Freundemodus geschaltet. „Na ja, das mit uns beiden kann nichts werden. Ich habe jetzt Pippa." „Joa, und Pippa braucht eine Mutter. Glücklicherweise bietet sich da gerade auch noch die perfekte Frau für dich an. Wo ist also das Problem?" War das nicht offensichtlich? „Sie ist viel zu jung dafür und hat ihr ganzes Leben noch vor sich." Das sollte ja wohl als Erklärung genügen. „Joa, das haben wir ja alle irgendwie. Du bist ja jetzt auch nicht ein alter Tattergreis. Also was spricht dagegen, dass ihr das gemeinsam angeht. Also, wenn ich noch einmal die Möglichkeit hätte und mein Sohn bei mir wäre, würde ich mich nicht verstecken. Weißt du, Chef, so eine Beziehung gibt einem nämlich eine ganze Menge und macht das Leben viel leichter, wenn man sich gegenseitig über die Hindernisse helfen kann. Außerdem heißt es ja nicht, dass die Kleine zu kurz kommt. Weißt du, Liebe ist nämlich nicht in begrenzten Mengen in uns, sondern ist unendlich vorhanden. Also wirst du beiden gerecht werden. Und außerdem sage ich dir noch etwas. Die Kleinen werden ziemlich schnell groß und ehe du dich versiehst, ist deine Kleine flügge und du stehst dann alleine da. Also wäre es ziemlich dumm, die Rose nicht zu pflücken." Sebastian zwinkerte ihm wieder zu. „Ich werde dann auch mal schauen gehen, was die rosige Maria in der Küche gerade so zaubert." Sebastian war aufgestanden und drehte sich noch einmal zu Phil um. „Chef, denk einfach mal darüber nach, was ich dir gesagt habe." Phil nickte. Ja, das würde er tun, auch wenn er nicht glaubte, dass das etwas an seiner Entscheidung änderte. Aber wenn Sebastian zum Philosophen wurde, hatte er es wenigstens verdient, dass er es nicht einfach abtat.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt