„Und ihr habt euch einen schönen Tag gemacht, während das Geburtstagskind nur wie Falschgeld rumgelaufen ist." Delphie kicherte. „So sagt Opa immer, wenn jemand den Kopf hängen lässt." Sie hatte wohl Rosas verständnislosen Blick wahrgenommen. „Dein Bruder hatte echt keinen Spaß." Delphie wurde ernst. „Willst du nicht doch einmal mit ihm reden?" Rosa wollte gerade ihren Mund öffnen, um ihr eine Absage zu erteilen. Das kam ja überhaupt nicht in Frage, als Delphie auch schon ihre Hand hob, um sie zu stoppen. „Versteh das bitte nicht falsch. Du bist meine Freundin und ich verstehe deine Einstellung vollkommen. Und auch wenn Sascha mein Mann ist, den ich bis zum Mond und zurück liebe, weiß ich, dass er sich gerade wie ein riesiger Esel benimmt und dass du alles Recht hast, stur zu sein. Ich weiß aber auch aus eigener Erfahrung wie blöd es ist, wenn man in der Familie Zoff hat und was man dadurch alles verpasst. Weißt du wie oft ich es bereue, dass mir so viel vom Leben meiner Geschwister entgangen ist. Zum Beispiel Leos Hochzeit oder Lu als Baby. Sie war da bestimmt schon ein kleiner Teufel." Rosas Schwägerin schmunzelte. „Ich möchte einfach nicht, dass es euch auch so geht. Ihr wart so eng und tut euch jetzt mit der Sturheit gegenseitig weh. Ihr leidet doch beide darunter. Weißt du, manchmal geht es nicht um Recht sondern um Gefühl. Horch doch einfach mal ganz tief in dich hinein. Was hörst du da?" „Meinen Magen knurren. Dieses Sprayen macht echt hungrig." Delphie schüttelte lachend den Kopf. „Das meinte ich zwar nicht, aber du hast recht. Ich könnte auch gerade einen halben Elefanten futtern." Sie deutete auf das Bild, das sie gerade an den Röntgenraum gesprayt hatte. Der Elefant sah echt hammermäßig aus. Delphie hatte Rosa vergattert, ihr dabei zu helfen, Phils Praxis mit zu verschönern. Normalerweise wären auch Paul und Benny mit von der Partie gewesen, aber die beiden hatten kurzfristig andere Pläne. Seit die beiden zusammen wohnten, waren sie fast unzertrennlich. Das war auch ganz gut so, denn Paul hatte ziemlichen Zoff wegen seiner Ausbildung mit seinen Eltern. Sie redeten wohl kein Wort mehr mit ihm, weil er nicht studierte. Aber Delphie und Benny fingen das ganz gut ab. Rosas Blick fiel wieder zu dem fertigen Dickhäuter an der Tür. Die Skizzen ihrer Schwägerin waren wirklich toll geworden und die Umsetzung toppte das noch. Rosas Aufgabe bestand dabei lediglich einen gleichmäßigen Untergrund zu sprayen oder Delphie die Dosen zuzureichen. Trotzdem machte es Rosa ungemein Spaß. Ja, Zeit mit ihrer Schwägerin und Freundin zu verbringen, war immer lustig. Seit dem Unfall war das ja leider etwas in den Hintergrund gerückt. Vorher hatten sie mehr zusammen unternommen. Okay, das war auch Rosas Loch geschuldet. Aber das würde sich jetzt ja wieder ändern. „Nur einen halben?", kicherte Rosa. „Also ich könnte einen ganzen verdrücken. Lass uns mal schauen, was Rosa-Maria so zu bieten hat." Sie rollte mit ihrem Rollstuhl Richtung Wohntrakt und Delphie folgte ihr. „Rosa-Maria?", rief Rosa nach ihrer Patentante. Komisch, normal war sie immer in der Küche zu finden. Es kam keine Antwort. „Alfonso?" „Die beiden sind zu irgendeinem Bauernmarkt, den Alfonso im Internet aufgetan hat." Phil hatte ihr Rufen wohl gehört und war in der Küche aufgetaucht. „Das heißt, wir sind auf Selbstversorgung angewiesen?" Delphines Augen blitzten unternehmungslustig auf, als sie zum Kühlschrank stürzte. „Definitiv!" Rosa war ihr mit dem Rollstuhl gefolgt und zog sich auf ihre Beine, um dort hineinzuschauen. „Wow, da ist Salami und Käse. Wenn wir das Brot toasten und das dann im Ofen überbacken. Das wird total lecker." Rosa schaute zu ihrer Schwägerin, die sich nicht zu ihrem Vorschlag äußerte und sie nur anstarrte. Warum das denn? Das war doch wirklich lecker. „Du stehst!" Delphie hatte ihre Augen aufgerissen und starrte sie breit grinsend an. „Ach so! Ja, das geht schon, wenn ich mich an etwas abstützen kann. Aber laufen funzt noch nicht richtig." Ja, sie machte in der Reha wirklich schnell Fortschritte. Das behauptete jedenfalls ihre Tante. Ehrlich gesagt ging es Rosa nicht schnell genug. Aber wenigstens machte sie überhaupt welche. Insgeheim hatte sie natürlich ein ganz bestimmtes Ziel. Sie hatte sich vorgenommen bei dem Wochenende auf Mallorca an den Strand zu gehen, aber ohne Rollstuhl. Ja, das war ihr geheimes Ziel. Sie wollte den Sand unter ihren Füßen spüren, so wie bei ihrem letzten Mallorca Aufenthalt. Das war ein ziemlich ehrgeiziges Ziel, so wie es bis jetzt aussah. Aber das würde sie nicht abhalten. Wenn sie wollte, konnte sie ziemlich zielstrebig sein. „Ich freue mich so. Wenn Sascha das jetzt sehen könnte!" Delphie umarmte sie stürmisch und brachte sie damit fast aus dem Gleichgewicht. „Bei dem würden wahrscheinlich ein paar Tränen kullern. Dein Bruder ist manchmal ein echter Softi." Ja, eigentlich nicht nur manchmal, sondern immer, schoss es Rosa durch den Kopf. Verflucht, warum war er nur Phil gegenüber so stur? Warum konnte er da nicht einfach auch soft sein? Das wäre für sie alle viel leichter. „Dann lass uns das Essen machen, bevor wir noch verhungern", wechselte sie schnell das Thema. Sie wollte sich die gute Laune nicht verderben. Sie schnappte mit ihrer freien Hand nach der Salami. Delphie hatte den Rest gegriffen und breitete alles auf der Arbeitsplatte aus. „Magst du auch was?" Phil hatte sie bis jetzt nur wortlos beobachtet. „Gerne. Wenn es schon mit Rosa-Maria nachher Ärger gibt, weil ich euch nicht von ihrem Reich ferngehalten habe, dann will ich wenigstens auch was davon haben." Er deutete auf die Brotkrümel auf der Arbeitsfläche und fuhr sich mit seiner Hand zum Hinterkopf, wie es Rosa-Maria auch immer tat, um ihren Dutt zu richten, bevor sie sich über etwas aufregte. „Das ist hier Anarchie!Qué desastre! Madre mia!" Rosa prustete los. Die Imitation war einfach perfekt. „Grandios" Delphie klatschte in ihre Hände und verschluckte sich fast vor lachen. Ein Handy begann zu klingeln. „Das ist meins", japste Delphie immer noch lachend und zog es aus der Tasche ihres Hoodies. „Bürki-Durm", meldete sie sich und hielt sich grinsend ihren Bauch, während Phil eine weitere Performance von Rosa-Maria lautlos hinlegte. „Was?" Sie schüttelte ihren Kopf. Jegliche fröhliche Regung war aus Delphies Gesicht verschwunden. Genau wie jegliche Gesichtsfarbe. Sie sah schlagartig wie ein blasses Gespenst aus und zitterte. Was bitte war passiert?
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Roman pour AdolescentsRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...