Kapitel 37

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Phil parkte vor dem Krankenhaus ein. Bis jetzt hatte er noch keine Nachricht von Max erhalten. Das hieß dann wohl, dass er noch im OP stand. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war, vermochte er nicht zu beurteilen. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass eine längere OP nicht unbedingt bedeutete, dass etwas schief gelaufen war. Manchmal dauerte es einfach nur länger, weil es etwas komplizierter war, dafür aber auch den absoluten Heilungsverlauf versprach. Andersherum bedeutete eine kurze OP auch oft, dass man eigentlich abbrach, weil es keine Hoffnung gab. Er hoffte also auf ersteres. Er schnappte sich den Rucksack mit den Sachen für Rosa vom Beifahrersitz. Vielleicht sollte er gleich noch das Handy dort hineinpacken, bevor er es in seiner Hosentasche wieder mit nach Hause schleppte. Er zog es aus der Tasche und wie auf Befehl leuchtete das Display und Saschas Name tauchte auf. Na prima! Was sollte Phil jetzt machen? Das Gespräch wegdrücken sorgte mit Sicherheit dafür, dass das Display sofort wieder aufleuchtete. So gut kannte er seinen Freund. Und wenn er es dann wieder wegdrückte oder ignorierte, würde er wahrscheinlich panisch bei seinen Eltern anrufen, um zu erfahren, ob mit Rosa alles in Ordnung war. Kathie und Erik konnten jetzt mit Sicherheit nicht auch noch einen panischen Anruf ihres Sohnes gebrauchen. Phil hatte noch genau die besorgten Gesichter der beiden vor Augen, als man Rosa aus dem Zimmer geschoben hatte. Erik hatte Kathie sofort in seine Arme gezogen und versucht für sie stark zu sein. Aber das war auch ihm nicht ganz gelungen. Jedenfalls, wenn man ihn als Außenstehender gesehen hatte, der ihn schon etliche Jahre kannte. Trotzdem hatte er versucht seiner Frau etwas Trost zu spenden. Phil hatte zwar selbst keine Kinder, konnte sich aber gut vorstellen, welche Sorgen da in den Köpfen der beiden Amok liefen. Er selbst machte sich ja auch Sorgen um Rosa, obwohl sie nicht wirklich etwas außer der Reiterei und der Tatsache, dass sie Saschas kleine Schwester war, verband. Entschlossen tippte Phil auf das Display und nahm den Anruf an. „Na endlich, Rosa. Ich habe mir schon langsam Gedanken gemacht", ertönte sofort die Stimme seines Kumpels. „Nicht Rosa, ich bin's." „Phil?" Sascha klang verwundert, ehe er zu lachen anfing. „Lass mich raten, Rosa hat dir die Zügel von ihrer Dalia abgenommen und stattdessen das Handy in die Hand gedrückt, damit sie sie selbst in den Hänger verladen kann." Ja, heute wäre eigentlich der Tag gewesen, an dem er mit Rosa zusammen ihre Stute hatte in den neuen Stall nach Berlin umsiedeln wollen. Mist! Da musste er auch noch Bescheid geben, dass daraus wohl erst einmal nichts wurde, wenn überhaupt jemals. Und er musste auch Nessa anrufen und ihr von dem Unfall erzählen. Sie wartete ja auch auf Rosa als neue Mitbewohnerin. „So in etwa", brummte Phil. Wie sollte er jetzt reagieren? Eigentlich müsste er als guter Freund Sascha sagen, was wirklich passiert war. Und uneigentlich schoss ihm sofort wieder Rosa durch den Kopf, die dazu eine ganz klare Ansage vor der OP gemacht hatte. Sie wollte auf keinen Fall, dass Sascha etwas vor Ende der Flitterwochen erfuhr. Ja, okay Flitterwochen waren etwas besonderes. Wie sagte man immer? Die hatte man nur einmal im Leben. Okay, die Scheidungsstatistiken sagten da mit Sicherheit etwas anderes aus. Aber Phil war sich ziemlich sicher, dass Sascha und Marshmallow füreinander geschaffen waren. Das hieß dann, dass die Flitterwochen für sie einmalig waren. Wer war er also, sich gegen Rosas Wunsch zu stellen. „Du, heute liegt noch eine Menge an. Ich sage Rosa Bescheid, dass sie euch morgen anruft. Genießt euren Tag heute mit ein bisschen Sex on the Beach." Er bemühte sich, seiner Stimme einen lockeren und spaßigen Klang zu verpassen. Für seine eigenen Ohren scheiterte er damit ziemlich kläglich. Scheinbar filterten das aber die über 10.000 Kilometer, die zwischen ihnen lagen. „Da kannst du deinen knackigen Reiterarsch drauf verwetten", kam es kichernd von Marshmallow, die wohl wieder über den Lautsprecher mithörte. „Und lass dich nicht nur von Rosa herumkommandieren. Sie kann manchmal ganz schön herrisch sein, wenn es um ihr Pferd geht", warf Sascha ein. Wem sagte er das? Und nicht nur, wenn es um das Pferde ging. Ihre Ansage bezüglich Sascha hatte ja auch nicht gerade viele Kompromisse offen gelassen. „Also viel Spaß in Berlin." „Ja, und dir mit dem Delfin. Vielleicht nimmt er dich ja mit in seine Lagune", versuchte sich Phil noch einmal an einem zweideutigen Scherz. Die Karibik war schließlich für ihre Delfinlagunen bekannt und Delphines Name war ja dazu passend. Als er das Gespräch beendet hatte, starrte er noch kurz auf das Display und f uhr sich mit seiner Hand durch den Nacken. Hoffentlich war es richtig gewesen, Rosas Wunsch zu entsprechen. Phil wäre ziemlich sauer, wenn man ihn da so im Dunklen stehen ließe, wenn etwas mit einem seiner Geschwister wäre. Egal! Darum konnte er sich kümmern, wenn es zu einem Problem kam. Jetzt ging erst einmal Rosa vor. Er machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer.
„Wir haben Rosa gerade aus dem Aufwachraum hergebracht." Max lief ihm auf dem Stationsgang in die Arme. „Wie geht es ihr? Ist sie schon wieder richtig wach? Und wie ist die OP gelaufen?", platzte es aus Phil heraus. Sein Bruder musterte ihn. „Also, sie ist noch ziemlich benommen und wird wohl gleich wieder etwas schlafen. Dir muss ich ja nichts über die Wirkweise von Schmerzmitteln erklären." Phil nickte. Ja, so viel unterschieden sich da seine Patienten wohl nicht, außer dass sie sowieso viel mehr am Tag dösten oder schliefen. „Ansonsten ist die OP ohne irgendwelche Probleme verlaufen." Das war gut. „Also ist es reversibel?" Max zuckte mit den Schultern. „Bedingt ja. Wie weit werden die nächsten sechs Monate zeigen. Es wird eine harte Reha werden." Okay, das hörte sich erst einmal ganz gut an. Ja , auf alle Fälle viel besser als irreversibel. Phil war sich sicher, dass eine kleine Kämpferin in Rosa steckte.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt