Phil blickte kopfschüttelnd Rosa hinterher, die fast über die eigenen Füße stolperte, weil sie sich so beeilte von ihm weg zu kommen. Was bitte war mit ihr los? War sie sauer, weil er gerade keine Zeit und sie auf morgen vertröstet hatte? Sie konnte doch nicht erwartete haben, dass er sofort sprang, wenn sie mit dem Finger schnippte. Scheinbar wohl schon. Okay! Das war vielleicht ein Generations- oder Jahrgangsproblem. Seine Schwestern Stella und Luna wären wahrscheinlich genauso. Er schloss die Tür und wendete sich wieder dem Bad zu, das er fluchtartig verlassen hatte, nachdem er das Klingeln gehört und in seine Jogginghose gesprungen war. Ja, er war gerade mit dem Duschen fertig geworden. In der Praxis hatte es einen Notfall gegeben, der mit seinem Erbrochenen dafür gesorgt hatte, dass etwas Wasser auf dem Körper zur Geruchsbeseitigung dringend notwendig war. Er griff das T-Shirt, das dort noch wartete und lief zum Wohnzimmer. „Na endlich!" Phils Mutter schaute ihn vorwurfsvoll an. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr." Sie hielt einen dreiarmigen Kerzenleuchter in der Hand. „Willst du das Ding mit in dein neues Haus nehmen?" So skeptisch wie sie das Teil beäugte, bezweifelte sie wohl ernsthaft, dass er dafür Verwendung hatte. Okay, mit ihren Zweifeln lag sie nicht ganz verkehrt. Das Teil hatte er zu einer Zeit gekauft, an die er lieber nicht mehr dachte. Und wenn er ganz ehrlich war, hatte er nicht einmal mehr gewusst, dass dieses Teil noch in der Wohnzimmerkommode schlummerte. Er hatte den Kerzenständer, damals als er noch in Berlin gewohnt hatte, auf einem Flohmarkt erstanden, um ihn Blanca zu schenken, weil sie auf solchen Kitsch stand. Tja, und dann war irgendwie alles anders gekommen. Phil schaute zu seiner Mutter und zuckte mit den Schultern. „Ich kann ihn ja noch aufheben und dann Delphine bei ihrer nächsten Sammelaktion für einen guten Zweck spenden." Ja, Marshmallow, wie er die Verlobte seines besten Kumpel Sascha eigentlich nannte, hatte sich zu einer wahren Charity Queen entwickelt. Es verging kein Vierteljahr, in dem sie nicht irgendeine Spendenaktion für irgendeinen guten Zweck auf die Beine stellte. Oft genug waren da auch irgendwelche Auktionen dabei. Da würde der Kerzenständer dann wenigstens einen Sinn erfüllen. Apropos Sascha und Marshmallow. „Das war eben Rosa an der Tür. Sie und ich sind doch Trauzeugen." „Du hast ihr doch wohl nicht so die Tür aufgemacht?" Phil schaute an sich herunter und nickte. Doch das hatte er. Was war daran so verwerflich? Sein Oberkörper war gut durchtrainiert und sah ziemlich ansehnlich aus. Er war stolz darauf, dass das Reiten und seine tägliche Arbeit ihn so gut formten, dass er nicht wie andere auch noch ins Fitnessstudio rennen musste. Trotzdem stülpte er sich das T-Shirt, das er immer noch in der Hand hielt, über den Kopf. „Kein Wunder, dass sie vor dir geflohen ist und nicht reinkommen wollte." Seine Mutter schüttelte lachend ihren Kopf. Also als fluchtartig konnte man Rosas Abgang schon bezeichnen, aber er bezweifelte, dass das an seinem nackten Oberkörper lag. „Ich habe sie nicht reingebeten, weil wir hier genug zu tun haben. Sonst werden wir überhaupt nicht mit dem Packen fertig", korrigierte er seine Mutter. Ja, im ganzen Wohnzimmer verteilt standen Umzugskartons und warteten darauf befüllt zu werden, damit er sie nach und nach mit in sein neues Haus nehmen konnte. Ja, sein neues Haus, dass er in spätestens einem Monat bewohnen würde. Der Tierarzt, von dem er die Praxis vor drei Jahren übernommen hatte, war zu seiner Tochter in den Süden Deutschlands gezogen und hatte ihm nun das ganze Haus einschließlich Hof und Stallungen verkauft. In den letzten Wochen hatten die Bauarbeiter alles auf den neusten Stand gebracht und lagen jetzt in den letzten Zügen mit der Fertigstellung. Dann hatte er nicht länger nur eine hochmodern eingerichtete Praxis, sondern auch eine hochmoderne Tierklinik, die ihm noch ganz andere Möglichkeiten bot, seine Patienten zu versorgen. Na ja und zusätzlich würde er auch gleich dort wohnen, wo sich sein Leben abspielte. Das hatte schon eine Menge Vorteile. Schon alleine die Zeitersparnis nicht mehr jeden Tag durch halb Dortmund fahren zu müssen, sorgte für noch mehr Vorfreude. „Sie hätte uns ja helfen können, dann ist sie gleich für das Packen bei Sascha und Delphie in Übung." Phils Mutter pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ja, für Mai war es gerade ziemlich warm im Ruhrpott. „Du hättest ja meine Schwestern zur Unterstützung mitbringen können." Franzi prustete los. „Du bist ja lustig. Die sehe ich momentan nur morgens, wenn sie den Kühlschrank plündern und die Kühltasche packen, bevor sie zum See fahren. Die sind den ganzen Tag nur auf dem Segelboot seit das Abi durch ist. Wann ziehen eigentlich Sascha und Delphie um? Vor oder nach der Hochzeit?" „Während der Hochzeitsreise", grinste Phil. „Du vergisst, dass Sascha ein gut bezahlter Fußballprofi und kein armer Tierarzt ist. Er lässt alles von einer Spedition erledigen während sie weg sind. Also muss Rosa auch nicht üben." „Ich finde es jedenfalls schön, dass ihr dann trotz Umzug weiterhin Nachbarn bleibt." War klar, dass seiner Mutter das gefiel. Sie wohnte ja mit ihrer besten Freundin auch immer noch in nächster Nachbarschaft. Aber Phil musste zugeben, dass ihm der Umstand auch gefiel, dass Sascha und Marshmallow in das Nachbarhaus einzogen. „Was wollte Rosa denn hier?" „Irgendetwas wegen der Hochzeit besprechen. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich morgen melde." „Na hoffentlich denkst du auch daran, wenn dann wieder ein Notfall reinkommt. Ohne Schlüssel hätte ich heute hier auch vor verschlossenen Türen gestanden und du hättest mich vergessen." Ja, das passierte ihm manchmal. Aber wenn ein Tier seine Hilfe brauchte, dann war er drauf fokussiert. „Die Hochzeit ist ja auch nicht mehr lange hin." Da hatte seine Mutter recht. Wenn er an das fein geschnittene Puppengesicht, das von blonden Haaren umrahmt war, dachte und die weit aufgerissenen blauen Augen als er die Tür geöffnet hatte, sollte er vielleicht lieber heute gleich bei Rosa anrufen und einen Termin für ein Treffen verabreden. Es war mit Sicherheit im beiderseitigen Interesse, dass sie nicht wieder unangemeldet vor seiner Tür stand und dann panisch die Flucht ergriff. Phil lief zur Kommode und griff nach seinem Handy.
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Fiksi RemajaRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...