Kapitel 84

205 35 18
                                    


„Dachtest du auch, dass ich so unverantwortlich bin, das einfach so auszuprobieren?" Mist, was dachte er denn jetzt von ihr. Sie schlug ihre Hände peinlich berührt vor ihr Gesicht. „Ich habe überhaupt nicht gedacht. Ich war einfach nur so glücklich meine Dalia wiederzusehen, dass....dass...." Sie zuckte mit den Schultern. „Dass du einfach an nichts mehr denken konntest, weil deine Welt plötzlich wieder keine Scherbenhaufen mehr war", half ihr ihre Mutter aus und sie nickte. Ja, Phil hatte in dem Moment, als er sie auf Dalia gesetzt hatte, allem wieder einen Sinn gegeben. „Ich habe nicht gedacht, sondern nur noch gefühlt. Und das war seit dem Unfall genau umgekehrt." „So hatte ich das auch geplant." Phils Sommersprossen legten einen kleinen Salsa hin. „Das ist ja alles gut und schön, aber...." „Nichts aber, Erik! Phil hat genau das gesehen, wo es hakt und in Angriff genommen. Genau wie er es gesehen hat, dass Rosa in der Reha im Sauerland depressiv ist und sie hier bei sich wohnen lässt. Also hör auf hier rumzumosern und bedanke dich lieber bei ihm. Ich tue das jedenfalls. Danke Phil, dass du dich so gut um Rosa kümmerst und immer eine Idee hast und uns die Augen öffnest und unterstützt." Rosa sah erstaunt, wie ihre Mutter Phil in die Arme zog und fast von ihren Gefühlen übermannt wurde. Das war selten für sie. Normalerweise hatte sie sich immer unter Kontrolle. Also nicht, dass sie ein gefühlskalter Mensch war. Nein, das war sie absolut nicht. Sie war eine liebevolle und herzliche Mutter, aber das beschränkte sich dann auch auf ihre Kinder und ihre Familie. Bei Außenstehenden fiel es ihr eher schwer ihre Gefühle zu zeigen. Das war wohl auch der strengen Erziehung ihres Opas geschuldet. Phil schien von der Aktion ebenfalls überrumpelt und es schien ihm ziemlich unangenehm. Das war ja klar. Er wollte immer kein großes Aufsehen für seine Heldentaten. Das war bei seinen tierischen Patienten auch so, wenn deren Halter sich überschwänglich bei ihm für seine Hilfe bedankten. Dann winkte er immer nur ab und sagte, das wäre sein Job und es sei ganz normal zu helfen. Das war es aber nicht! Nicht jeder kümmerte sich auch um andere. Die meisten hatten nur ihr eigenes Glück oder ihren eigenen Vorteil im Auge. „Ähm, ja Danke!". kam es verwirrt und wenig überzeugend auch von ihrem Vater, der sein Frau dabei irritiert anschaute. „Aber was ist denn jetzt mit Sascha?" „Was soll mit Sascha sein? Er hat sich bei Phil zu entschuldigen und ebenfalls zu bedanken", kam es wie das Selbstverständlichste aus Rosas Mund. Davon würde sie auf keinen Fall abgehen. „So sehe ich das auch", stimmte ihr ihre Mutter wieder überraschenderweise zu. Der Blick ihres Vaters wanderte zurück zu Phil und verfinsterte sich. „Aber er hat Sascha angelogen und hintergangen. Das ist ein Bruch jeglichen Bro-Codes." „Ach hör mir doch mit dem blöden Mist auf, Erik. Immer wenn es euch passt, beruft ihr euch auf eure ganz besondere Männerfreundschaft. Verbietet die auch das Benutzen eures Gehirns, wenn euer Kumpel Mist baut? Darf da keiner eingreifen?" Phil musste schmunzeln. Kathie war echt in Fahrt und stutzte ihren Mann ziemlich zurecht. Ja, so wäre seine Mutter wohl auch drauf. Kein Wunder, dass die beiden Freundinnen waren. „Aber Schatz! Zwischen eingreifen und jemanden hintergehen liegt ein meilenweiter Unterschied." „So ein Bullshit! Das Ergebnis zählt für mich. Ich sehe meine lebensfrohe und glückliche Tochter. Mehr brauche ich nicht, um das zu rechtfertigen." „Aber du warst doch auch der Meinung, dass Rosa nie wieder reiten soll!" Kathie schüttelte den Kopf. „Falsch! Ich habe mich dazu überhaupt nicht geäußert." Sie hob ihre Hand, um einen Einwurf sofort zu stoppen. „Und das war mein Fehler. Ich hätte euch beiden Holzköpfen gleich sagen sollen, dass das so nicht geht. Aber ich wusste ja, dass Dalia nicht für immer verschwinden würde. Deshalb habe ich geschwiegen und euch euren Frieden gelassen." „Wie bitte!", fuhr Erik hoch. „Du hast von dem miesen Versteckspiel gewusst?" Kathie schüttelte ihren Kopf. „Nein, ich war nicht eingeweiht, aber ich kann eins und eins zusammenzählen. Was bitte sollte Benny mit einem Pferd?" Ups, das hätte Phil nicht erwartet, dass das so durchsichtig für andere war. „Na ja, für seine Freundin wollte er es doch kaufen." Erik schaute sie nachdenklich an und schlug sich dann vor die Stirn. „Er hat ja gar keine." „Doch, mich. Ich bin ja auch eine Freundin von ihm. Nur nicht die FreundinFreundin, wie Sascha und du gedacht habt." Phil sah das imaginäre kleine Teufelchen auf Rosas Schulter und die Kornblumen blitzen als sie ihren Vater frech angrinste. „Da habt ihr uns ja ordentlich reingelegt. Okay, ich akzeptiere, dass du Dalia nicht aufgeben willst. Das hätte mir von Anfang an klar sein sollen, so vernarrt wie du immer in den Gaul warst. Und scheinbar tut dir das alles wirklich gut." Ihr Vater beugte sich zu ihr und drückte seine Lippen auf ihr Haar. „Mama hat recht. Es ist nur wichtig, dass du wieder glücklich bist. Und so wie du eben gegrinst hast, bist du wieder mein kleiner Krümel, so wie ich ihn liebe." Bei den letzten Worten war seine Stimme etwas brüchig geworden und Phil sah, wie er schluckte. Ja, es war bestimmt nicht immer leicht Vater zu sein und Phil hatte einen riesigen Respekt vor Erik und allen anderen Vätern, die diese Aufgabe so meisterten. Sein eigener Vater war ja auch so ein Prachtexemplar, der sein eigenes Wohl hinter dem seiner Kinder anstellte, genau wie Max. Er selbst würde sich das nicht zutrauen. Er trug lieber nur Verantwortung für Tiere. Da war der Zeitraum begrenzt und nicht lebenslang. Das wäre ihm eindeutig zu viel Verantwortung. „Weißt du Krümel, Väter und Brüder sind manchmal ziemlich blind und leichtgläubig und das ist auch gut so, als Entschädigung für ihr extremes Beschützergehabe. Aber wie du siehst, können sie auch manchmal ihre Augen öffnen und einsichtig sein." Kathie beugte sich zu ihrer Tochter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich hatte auch mit so einem großen Bruder zu kämpfen, der deinem Vater damals ordentlich eingeheizt hat. Das schöne ist aber, dass irgendwann dann doch das Hirn bei ihnen wieder zuschaltet, wenn sie lange genug im eigenen Saft schmoren. Und so wird es bei Sascha auch sein." Rosa nickte und war erstaunt über die Ansprache ihrer Mutter, mit der sie niemals gerechnet hätte. Aber ihr Onkel Alex konnte manchmal wirklich ziemlich bestimmend sein. „Aber Sascha hat nächste Woche Geburtstag. Da solltet ihr euch vorher auf alle Fälle versöhnen. Du musst ihn doch auch verstehen", versuchte Rosas Vater zu vermitteln. Er liebte die Harmonie in der Familie. „Könntest du nicht über deinen Schatten springen und...." Sie schüttelte sofort den Kopf. „Ich rede erst mit ihm, wenn er sich bei Phil angemessen entschuldigt hat. Geburtstag hin oder her. Das kannst du ihm auch gerne noch einmal deutlich sagen. Es liegt ganz alleine an ihm." Ja, daran würde sich auch nichts ändern. Der Ball lag jetzt in seiner Spielhälfte und er war am Zug, auch wenn sie hoffte, dass er schnell einsichtig war, denn es würde sie schon schmerzen, wenn sie ihn an seinem Geburtstag nicht sehen würde.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt