Kapitel 124

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Phil saß auf dem Bett im Hotel und starrte vor sich hin. Er hatte die letzte Nacht kaum ein Auge zubekommen. Zu viele Gedanken waren ihm durch den Kopf gewirbelt. Es gab da so viele Fragen, die seine Zukunft betrafen und so wenige Antworten, die er dafür gefunden hatte. Seine Gedanken wanderten zu Rosa und ihrem Telefonat gestern Abend. In diesem ganzen Chaos hatte er es ganz vergessen sie anzurufen. Man hatte er ein schlechtes Gewissen gehabt, als er ihren Namen im Display gelesen hatte. Das schlechte Gewissen war aber schlagartig verschwunden als ihre süße Stimme erst sein Ohr und dann seinen restlichen Körper infiltriert hatte. Es war der erste und einzige Moment des gestrigen Tages, an dem er nicht das Gefühl gehabt hatte, in einem riesigen Loch zu stecken und keine Luft mehr zu bekommen. Klar hatten die Gespräche mit seinem Vater ihm auch geholfen nicht total zu verzweifeln, aber trotzdem hatte er den ganzen Mist nicht aus dem Kopf bekommen. Aber Rosa hatte es einfach nur durch ihre Stimme und ihre Erzählungen von der Praxis und ihrer Reha geschafft ihn wenigstens kurzzeitig etwas abzulenken. Klar, hatte sie wissen wollen, was sich beim Anwalt ergeben hatte und was in dem Testament stand. Sie hatte ihn aber nicht übermässig bedrängt. „Wir schaffen das schon, egal was passiert." Diese Worte von ihr echoten in seinem Kopf. Sie hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen. Das war ihm klar. Aber ihm war auch klar, dass der Inhalt des Testaments sie nicht weniger geschockt haben konnte als ihn. Und dabei hatte er ihr nur eine kurze Zusammenfassung gegeben. Sie kannte ja noch gar nicht das ganze mögliche Ausmaß. Wieder hatte er die Worte von ihr in seinem Kopf. Sie waren auch heute Nacht ständig durch seinen Kopf geschwirrt als er wachgelegen und gegrübelt hatte. Klar, würden sie das wahrscheinlich zusammen besser schaffen als er alleine. Die Frage war nur, konnte er das von Rosa überhaupt verlangen? Sie war noch so jung und hatte noch so viel mit ihrem Leben vor. Wenn sie das aber zusammen durchzogen, würde so manches für sie flachfallen. Was war zum Beispiel mit ihrem Studium, das sie ja nur wegen ihrer Verletzung zurückgestellt hatte? Konnte er von ihr erwarten, dass sie es ihm zu liebe einfach aufgab? Er sah ja bei Sebastian, wie es war, wenn man das irgendwann dann doch bereute. Und wenn man älter war, holte man das nicht einfach nach. Genau wie so viele andere Dinge auch nicht. Oder war es möglich, dass sie trotzdem ihren Lebenstraum nicht aufgeben musste? Phil hatte sich das so schön vorgestellt. Rosa würde nach der Ausbildung ihr Studium aufnehmen und dann nach ihrem Abschluss in seiner Praxis voll mit einsteigen. Sie würden zusammen Seite an Seite arbeiten und Tiere retten. Das war die blöde Sache mit dem Konjunktiv und Sachen, die er sich für eine Beziehung vorstellte. Scheinbar hatte das Universum etwas gegen ihn und Beziehungen, dass es ihm genau in diesem Moment dieses dämliche Testament vor die Füße warf, das alles wieder kaputt machen könnte. Okay, das war auch wieder Konjunktiv. Aber konnte er es Rosa wirklich zumuten alles für ihn aufzugeben? Wenn er sie wirklich liebte und ihr bestes wollte, eigentlich nicht. Nein, er musste vernünftig sein und eine Entscheidung für sie beide treffen, die zu Rosas bestem war. Ja, er musste verantwortungsvoll und nicht eigensüchtig sein. Bei dem Wort verantwortungsvoll musste er schlucken. Wieso gerade er? Wusste das Universum denn nicht, wie ungeeignet er dafür war Verantwortung zu übernehmen?
„Was grübelst du denn schon wieder, Großer?" Sein Vater kam mit einem Tablett ins Zimmer marschiert. „Du hast vorhin endlich mal geschlafen, als ich aufgestanden bin. Ich dachte mir, ich bringe dir etwas zum Frühstücken mit." Frühstück! Phil würde mit Sicherheit keinen einzigen Happen hinunter bekommen. „Jetzt schau nicht so angewidert." Sein Vater schüttelte den Kopf. „Du hast gestern schon nichts gegessen. Heute musst du was essen. Die Churros mit Schokosoße rutschen garantiert. Ich weiß doch wie gerne du die isst. Du bist doch unser Süßmaul." Ja, normalerweise mochte er sie wirklich. Aber heute. „Los jetzt! Sonst fällst du vom Fleisch und kannst nachher nicht deinen Mann stehen, wenn du nach Dortmund zu deiner Süßen zurückkehrst." Na, wenn sein Vater keine anderen Probleme hatte. Natürlich hatte er das Telefonat mit Rosa mitbekommen und sich nicht einmal bemüht seiner Freude zurückzuhalten, dass Phil auch endlich am Haken hing und den richtigen Weg, seiner Meinung nach, einschlug. „Das spielt doch sowieso keine Role mehr." Phil griff sich einen Churro und knabberte daran, damit sein Vater Ruhe gab. „Na klar, spielt das sogar eine ziemlich große." Ja, für seinen Vater vielleicht, aber nicht für ihn. Er musste Verantwortung übernehmen. Alleine bei dem Gedanken daran kamen ihm fast die paar Krümel von dem frittierten Gebäck, die er gerade geschluckt hatte, wieder hoch. „Du hast das große Glück gerade jetzt die perfekte Frau für dich gefunden zu haben. Das macht alles leichter." Oder auch schwerer. „Perfekte Frau? Woher willst du das wissen?" Sein Vater zwinkerte ihm zu. „Weil ich Augen im Kopf habe und weil ich dich kenne. Wäre sie nicht perfekt, hätte sie es nie hinter deinen Schutzpanzer geschafft." Okay, das könnte schon stimmen. Aber was würde es nützen?Also diese Konjunktive nervten ja heute. Sein Telefon vibrierte auf dem Nachttisch. Hoffentlich war das Rosa. Trotz seiner trüben Gedanken, würde ihre Stimme dafür sorgen, dass es ihm gleich etwas besser ginge. Vielleicht hatte sein Vater ja recht und sie war genau die Richtige. Was hieß hier vielleicht? Wenn es eine Frau gab, mit der er sich ein Leben in Zukunft vorstellen könnte, dann war es Rosa. Sein Blick fiel auf das Display. Nein, das war nicht Rosa. Ihm wurde eine spanische Nummer angezeigt. „Reus", meldete er sich und versuchte der weiblichen Stimme zu folgen, die ihn in Spanisch fast überrollte. Er beendete das Gespräch. „Wer war das?" Die volle Aufmerksamkeit seines Vaters lag auf ihm. „Das war das Büro des Anwalts. Die Unterlagen sind jetzt da. Wir sollen in zwei Stunden vorbeikommen." „Alles klar! Ich rufe die Dolmetscherin an, dass wir uns mit ihr beim Anwalt treffen. Hopp, ab ins Bad mit dir. Und nimm dir noch einen Churro mit auf den Weg." Phil schüttelte den Kopf. Er würde keinen Happen hinunter bekommen, bevor er das Gespräch mit dem Anwalt nicht hinter sich gebracht hatte.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt