Rosa rollte mit ihrem Rollstuhl durch das Labor. Manno, der Tag heute hatte es wirklich in sich. Ein Notfall reihte sich an den anderen. Und nicht jeder war bis jetzt gut ausgegangen. Sie schluckte. Ja, zwei Patienten hatte Phil heute trotz seines ganzen Wissens und seines vollen Einsatzes nicht retten können. Das war so traurig. Sie dachte an die ältere Dame, deren Katze einfach bereits in so einem schlechten körperlichen Zustand gewesen war, dass es keine Hilfe mehr gab. Da war es auch kein Trost, dass sie bereits über zwanzig Jahre alt war. Wahrscheinlich saß die Dame jetzt alleine zu Hause in ihrer einsamen Wohnung und grämte sich. In ihrem Alter wollte sie sich auch kein neues Tier mehr als Wegbegleiter zulegen, hatte sie geschnieft. Das war doch echt Mist! Aber Rosa würde daran nichts ändern können. Sie räumte ein paar Reagenzgläser weg und desinfizierte die Arbeitsoberfläche. Die Arbeit machte ihr noch immer genauso Spaß wie am ersten Tag. Nee, das stimmte nicht. Jetzt machte sie noch mehr Spaß, weil sie einfach schon viel mehr wusste und Phil und Sebastian ihr jeden Tag noch mehr erklärten. Ein Gähnen entfloh ihr. Ja, die Arbeit als Auszubildende war schon irgendwie auch anstrengend. Egal, wie viel Spaß sie ihr machte. Ihr Blick fiel zur Uhr. Eigentlich hatte sie regulär schon Feierabend. Trotzdem würde sie noch ein paar Bestellungen durchgeben. In der Mittagspause war sie nicht dazu gekommen. Um die Müdigkeit etwas abzuschütteln, streckte Rosa ihre Arme einmal ganz weit von sich und spannte ihre Muskeln an. Das tat richtig gut und entspannte sie bis in die Fußspitzen. Fußspitzen! Rosa beugte sich vor uns schaute hinab zu ihren Füßen, die auf dem Fußboden standen und nicht auf den Ablageflächen des Rollstuhls. Wie kamen die denn da hin? Sie hatte sich gestreckt. Rosa wiederholte das Ganze noch einmal und behielt dabei ihre Füße genau im Auge. Tatsache, sie hoben sich ein kleines Stück an. Das.....das war ja..... das...würde ja bedeuten....Ihr Herz begann zu rasen. Das musste sie sofort Phil erzählen. Nee, noch besser! Sie musste es ihm zeigen. Rosas Hände griffen zu dem Handlauf und sie rollte los. Verflucht, ihre Schuhe schliffen über den Boden. Sie stoppte ab. Mit ihren Händen hob sie ihre Beine an und setzte sie auf den dafür vorgesehenen Fußstützen ab. Das ging mit Sicherheit schneller und sie hatte es ja eilig zu Phil zu kommen.
„Eh, schon mal was von rechts vor links gehört!" Rosa schaute auf und direkt in Stellas grinsendes Gesicht. „Du bretterst ja mit dem Teil hier rum und rasierst arme Tierarztschwestern ab, die nur mal ihren Lieblingsbruder besuchen wollen." Schwestern? Erst jetzt entdeckte Rosa auch Luna, die noch halb im Eingangsbereich stand und sich mit Verena unterhielt. „Lieblingsbruder! Das ich nicht lache." Phil war aus seinem Büro getreten und umarmte Stella zur Begrüßung. Bei dem Anblick kam etwas Wehmut in Rosa auf. Genau so war es früher auch mit Sascha und ihr gewesen. Manno, sie vermisste ihren Bruder. Warum konnte er nicht einfach endlich einsehen, dass er Mist gebaut hatte und sich bei Phil entschuldigen, damit sie sich auch wieder so begrüßen konnten. „Die Frage ist ja wohl eher, was habt ihr wieder angestellt, wo ich euch rausboxen und gegen Dad verteidigen soll." „Wir haben überhaupt nichts angestellt." Stella klimperte mit ihren Wimpern. „Stimmt's, Luna?" „Was stimmt?" Luna war zu ihnen getreten und beugte sich zu Rosa, um sie mit einer Umarmung zu begrüßen, ehe sie sich ihrem Bruder zuwandte. „Na, das wir nichts angestellt haben." „Ihr seid also nur hier, um mich zu besuchen?" Phil zog seine rechte Augenbraue hoch und schaute seine Schwestern nacheinander skeptisch an. „Na ja, das auch, und um die Sache mit deiner Wohnung zu klären." Luna war schon immer die ehrlichere und ernstere der beiden Schwestern gewesen, die keine Ränkespiele trieb. „Meine Wohnung?" „Ja, deine Wohnung. Die steht doch jetzt leer. Und bei Papa und Mama ist mit den ganzen Minis immer so viel Trubel. Da können wir uns dann doch überhaupt auf unser Studium konzentrieren." Stella verdrehte erst ihre Augen, um dann mitleiderregend zu schauen. Ein Schauspielstudium wäre für sie mit Sicherheit genauso erfolgversprechend wie das in Medienkommunikation, das sie bald beginnen würde. Bei dem Gedanken schmunzelte Rosa und fing Phils Blick auf, der nur leicht mir dem Kopf schüttelte und das Gesicht verzog. „Außerdem hat Benny doch die Wohnung von Sascha gekauft und wohnt dort mit Paul in einer WG. Du weißt doch, wie verletzungsgefährdet unser Drittel ist. Da wäre es wichtig in seiner Nähe zu sein, um ihm immer helfen zu können." Phil nickte. „Ja klar, Florence." „Was?" Stella schaute ihn irritiert an. „Nightingale", half Rosa aus und erntete ein Zwinkern von Phil und tanzende Sommersprossen. „Ach, ihr seid ja blöd." Sie zog einen Schmollmund. „Rede du mit ihm." Stella schob Luna vor sich, so dass sie ihrem Bruder gegenüberstand. „Wir wollten dich bitten, uns deine Wohnung zu vermieten, um Leerstand zu vermeiden, der hier in Dortmund aufgrund des fehlenden Wohnraums sanktioniert wird." Sie griff in ihre Umhängetasche und zog eine Mappe hervor. „Hier sind die für einen Mietvertrag üblichen Auskünfte." Sie reichte Phil einige Blätter. Nach einem Blick darauf, weiteten sich seine Augen. „Das sind Beläge über eure Finanzen." Luna nickte. „Es muss ja alles seine Ordnung haben." Sie zog noch einige Blätter hervor. „Ich habe auch schon einen Standardmietvertrag vorbereitet. Den Mietzins habe ich dem Mietspiegel entnommen." „Ja, das war ihre Idee. Ich hätte ja versucht dich davon zu überzeugen, dass wir nur so da wohnen können.", grinste Stella frech. „Aber du willst dich ja bestimmt nicht an zwei armen Studentinnen bereichern." „Ein Mietvertrag ist wichtig, damit Phil eventuell Instandsetzungskosten von der Steuer absetzen kann." Wieder weiteten sich seine Augen, als er seine Schwester anschaute. „Seit sie diesen vorgezogenen Kurs gemacht hat, quatscht sie nur noch wie ein Gesetzbuch. Eigentlich müsste sie die komplette Miete übernehmen, wenn ich es dann mit ihr aushalten muss. Stellt euch nur vor, wie das wird, wenn sie erst richtig Jura studiert." Stella setzte wieder eine um Mitleid bettelnde Miene auf. „Aber jetzt solltest du einfach unterschreiben. Wir behumpsen dich schon nicht." Stella reichte ihrem Bruder einen Stift, den sie aus dem Nichts hergezaubert hatte. Phil legte das Papier auf die Arbeitsfläche neben ihm und setzte seinen Namen darauf. „Ich glaube zwar, dass ich gerade über den Tisch gezogen wurde, aber...." Weiter kam er nicht, denn seine beiden Schwestern fielen ihm um den Hals. „Also, wenn ich mal Rechtsprobleme habe, weiß ich schon, wen ich da beauftrage." Sebastian war aus einem der Behandlungszimmer zu ihnen getreten und zwinkerte Luna zu. Ihr Gesicht färbte sich so, dass ihre Sommersprossen in dem Rot völlig untergingen. „Alfonso hat gerade durchgeklingelt. Rosa-Maria wartet schon verzweifelt mit dem Essen und ist ungeduldig." „Oh oh!", platzte es Rosa heraus, genau wie Phil. Wenn Rosa-Maria ungeduldig wurde, war das nie gut. „Essen!" Stella grinste breit. „Das wäre doch perfekt, um zu feiern. Wir müssen ja schließlich jetzt auf unser Geld achten, weil wir einen Miethai als Vermieter haben." Phil stöhnte auf. „Das bedeutet ja, dass ihr euch hier ständig durchfressen kommt. Was habe ich mir da nur eingebrockt." Rosa musste lachen, weil Phil sich bemühte verängstigt zu schauen. Das gelang ihm überhaupt nicht. Man sah ihm deutlich an, dass er seine Schwestern gerne um sich hatte. Ihre Gedanken wanderten wieder zu Sascha. Heute würde er zu einem Auswärtsspiel reisen. Das wusste sie. Normalerweise hätte sie angerufen und ihm viel Glück gewünscht. Ihr Magen zog sich zusammen. Egal! Das lag ja nicht an ihr. Sie schluckte das schnell herunter und zauberte sich ein Lächeln ins Gesicht. „Na dann lasst uns feiern." Entschlossen griff sie zu den Handläufen des Rollstuhls und rollte los. Ja, eigentlich hatte sie ja auch etwas zu feiern. Okay, sie musste noch warten, um Phil von ihrer Entdeckung zu erzählen, aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. Wie zur Bestätigung versuchte sie mit ihren Zehen zu wackeln. Und wieder durchfuhr sie ein Glücksgefühl.
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Schuss und Treffer - Eigentor Teil 16 ✔️
Teen FictionRosas Leben läuft in perfekten Bahnen. Sie hat gerade ihr Abitur als Schulbeste bestanden. Da bremst sie auch kein Numerus Clausus aus. Ihr Traum vom Veterinärstudium in Berlin ist zum Greifen nahe. Und dann ist da dieser eine Tag, der alles, aber...