Kapitel 31

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Phil trat aufs Gas. Dieser Notfall hatte echt mehr Zeit in Anspruch gnommen als erwartet. Das hatte nicht daran gelegen, dass es Schwierigkeiten bei der Narkose des Labradors gab oder bei der Entfernung der Granne, sondern daran, dass sein Frauchen Phil in ein überlanges Gespräch verwickelt hatte, das damit endete, dass er ihr freundlich erklärte, dass er dieses Wochenende nicht zum Takkoessen zu ihr kommen würde, um ihren geliebten Labrador noch einmal nachzuuntersuchen. Es war ziemlich deutlich erkennbar, dass sie wohl mehr an eine Untersuchung ihrer selbst gedacht hatte. Geschiedene Frauen im mittleren Alter schienen aber ziemlich schmerzfrei mit Ablehnungen umzugehen, denn sie hatte ihm nur zugezwinkert und ihm dann ersatzweise das nächste Wochenende angeboten. Sebastian hatte sich vor Lachen fast nicht mehr einbekommen. Schön, für ihn, wenn er damit so einen Spaß hatte. Vielleicht sollte Phil ihr zur Strafe Sebastians Telefonnummer geben. Obwohl nee, er mochte seinen Helfer viel zu sehr, um ihm das anzutun. Und gutes Personal war auch schwer zu finden. Alleine bei dem Gedanken etwas mit der Dame anzufangen, schüttelte es Phil. Selbst zu seinen besten Zeiten, als er sexuell noch ziemlich neugierig war, hätte er die Dame abgelehnt. Nee, so verzweifelt war er noch nie gewesen, dass er einfach irgendeine genommen hatte, weil sie sich anbot. Da hatte er schon immer mehr Anspruch. Die Chemie musste auch schon ein wenig stimmen. Es gab nichts Schlimmeres als wenn man sich nicht einmal mit der Frau unterhalten konnte, die man unter sich hatte. Nee, nur rein raus, war auch nicht sein Ding. Wenigstens für den einen Abend sollte man eine gewisse Sympathie und Gesprächsstoff haben. Er schüttelte den Kopf. Wo waren eigentlich die netten älteren Damen abgeblieben, die aus Dankbarkeit einfach einen selbstgebackenen Kuchen für das Praxisteam vorbeibrachten und nicht den Tierarzt vernaschen wollten? Sein Blick wanderte zur Uhr. Mist, er war schon eine Dreiviertelstunde zu spät dran. Hoffentlich wartete Rosa noch auf ihn. Wieso hatte er sie nicht einfach angerufen und ihr Bescheid gegeben, dass er sich etwas verspätete? Gute Frage. Weil er nicht daran gedacht hatte und sich beeilen wollte, um so schnell wie möglich im Reitstall zu sein. Jetzt machte ein Anruf aber auch keinen Sinn mehr, denn der Stall war schon in Sichtweite.
Phil stürmte in die Stallgasse. Rosa war nirgends zu sehen und ein Blick in Dalias Box, sagte ihm, das auch die Stute nicht da war. Dann hatte sie wohl nicht auf ihn gewartet. Leichte Enttäuschung kam in ihm hoch. Aber es war ja seine eigene Schuld, wenn er nicht pünktlich war. Wenn er Salomon schnell sattelte, konnte er ja noch hinterher reiten. Sie hatten ja gestern die Route ihres Ausritts abgesprochen. Und wenn er Rosa jetzt anrief, konnte sie ihm auch sagen, wo sie schon war und dort auf ihn warten. Da er keinen Snack mehr besorgen hatte können, würde er sie heute Abend als Entschädigung wieder zum Essen einladen. Das war ja das Mindeste. Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte, während er zur Sattelkammer lief. Dort begrüßte ihn ein bekannter Klingelton. Rosas Handy lag in voller Pracht auf einer der Kisten, die in der Sattelkammer standen. Okay, dann musste er wohl doch ein bisschen mehr Ballett machen, um sie noch einzuholen. Er ließ sein Handy in die eine Hosentasche und das von Rosa in der anderen verschwinden. Mit dem Zaumzeug und dem Sattel stürmte er zu Salomons Box und stellte wahrscheinlich den nationalen Sattel-Rekord ein. Seinen persönlichen auf alle Fälle. Zufrieden führte er seinen Wallach aus dem Stall hinaus. „Na Phil, heute mal ohne Rosa unterwegs? Habt ihr euch gezofft? Ich habe sie vorhin alleine los reiten sehen." Peter, einer der älteren Reiter kam ihm aus der Reithalle entgegen. „Eigentlich waren wir verabredet, aber ich hatte einen Notfall in der Praxis." „Na ja, die Lütte ist jetzt bestimmt schon eine Viertelstunde weg." Ein lautes Pferdegetrappel und Schnaufen ließ Phil und Peter aufschauen. Ein Pferd kam panisch in den Hof galoppiert. Scheiße, das war Dalia! Und ohne Reiter! Wo war Rosa? Phil sprintete zu dem Pferd, das an ihm vorbei zur Stallgasse stürmte. Er erwischte den Zügel und konnte die Stute stoppen. Sie zitterte am ganzen Körper. Was war bitte passiert? Dalia war eine ruhige und zuverlässige Stute. Sie ging nicht einfach so durch. Was war aber mit Rosa? Sie musste sie irgendwo abgeworfen haben. „Kannst du dich um Dalia kümmern? Ich suche Rosa." Phil drückte Peter die Zügel in die Hand, der sofort beruhigend auf die Stute einsprach, und schwang sich auf Salomon. „Die Kleine ist Richtung See geritten", rief Peter ihm noch nach. Das war gut. Dann hatte sie sich also an ihren ursprünglichen Plan gehalten. Phil trieb seinen Salomon an und hielt Ausschau. Hoffentlich war Rosa nichts passiert. Wenn man nicht gerade blöd stürzte, dann holte man sich im Gelände in aller Regel nicht mehr als ein paar schmutzige Klamotten. Rosa war ja eine erfahrene Reiterin. Mit Sicherheit war es nicht ihr erster Abgang vom Pferd. Trotzdem hatte er irgendwie so ein dummes Gefühl, dass er nicht weiter begründen konnte. Wahrscheinlich, weil die Kleine ihm irgendwie wie eine kleine Schwester ans Herz gewachsen war und er sich deshalb sorgte, dass ihr etwas passiert war. Blödsinn! Ihr war nichts passiert. Wahrscheinlich würde sie ihm gleich irgendwo mit jeder Menge Staub an den Klamotten entgegenkommen und ihn mit ihren Kornblumen angrinsen. Phil ließ seinen Blick weiter über die Umgebung kreisen, entdeckte aber nichts. Er trieb Salomon noch etwas mehr an. „Hilfe!" Das....das war eindeutig Rosas Stimme. Phils Herzschlag beschleunigte sich, als er sie versuchte zu Orten. Mist! Wenn sie um Hilfe rief, dann war da mehr als nur ein bisschen Staub auf der Hose.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt