Kapitel 128

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Phil hob das kleine Mädchen auf seinen Arm. Wie lange hatte sie bitte nichts gegessen? Sie war nur noch ein totales Fliegengewicht. Das würde sich ganz schnell ändern. Sowie sie hier aus dem Büro raus waren, würde er ihr erst einmal ein ordentliches Eis spendieren. „Du bist mein Papa?" schniefte die Kleine in Spanisch an seinen Hals. „Unglaublich! Das ist der erste zusammenhängende Satz, den ich von ihr höre!" Die Tante vom Amt schaute ihn begeistert an. Das blendete Phil aber gleich wieder aus und konzentrierte sich sofort wieder auf seine Tochter. „Ja, das bin ich, meine Süße." Die Kleine nickte leicht mit ihrem Kopf und kuschelte sich an ihn. „Dann können wir ja noch die restliche Bürokratie abwickeln." Der andere Papiertiger vom Amt tippte auf irgendwelche Unterlagen vor ihr und wedelte mit einem Stift herum. Dann würde er das schnell hinter sich bringen, damit er endlich hier raus kam und vor allem damit die Kleine hier endlich rauskam und er sich vernünftig um sie kümmern konnte.....
„Also ich sage nie wieder etwas gegen unsere Bürokratie", stöhnte sein Vater auf als er sich endlich auf den Fahrersitz gleiten ließ. „Wie gut, dass wir den Kindersitz gleich mit gemietet haben." Sein Vater schaute über den Innenspiegel zum Rücksitz. Dort saß Phils Tochter gut gesichert und schlief. Ja, sie war auf seinem Arm eingeschlafen. Er fragte sich, ob sie in der letzten Zeit überhaupt zur Ruhe gekommen war. Wahrscheinlich hatte sich nicht einmal jemand die Mühe gemacht, ihr zu erklären, was mit ihr passieren würde. Sein Vater fädelte sich in den Verkehr ein. „Ich würde sagen, wir fahren erst einmal ins Hotel, damit die Kleine sich ausschlafen kann." Phil schüttelte seinen Kopf. „Nein, sie schläft jetzt gerade so schön, lass uns lieber noch etwas durch die Gegend fahren, anstatt sie vielleicht gleich wieder aufzuwecken." Sein Vater begann zu grinsen. „Ja, wenn sie nach dir kommt, ist das die beste Lösung. Dich und Max habe ich so manche Nacht mit eurer Mutter durch die Gegend gefahren, besonders als ihr gezahnt habt. Das Auto war der einzige Ort, an dem ihr seelenruhig geschlafen habt." Okay, Zähne hatte die Kleine ja schon. Das konnte er dann wohl getrost abhaken. „Also ehrlich gesagt hätten wir uns auch den Vaterschaftstest sparen können, wenn sie uns vorher ein Bild von der Kleinen gezeigt hätten. Sie ist dein absolutes Ebenbild. Nur dass du keine Zöpfe in dem Alter hattest. Da sind voll die Reusgene durchgeschlagen." Der Stolz in der Stimme seines Vaters war nicht zu überhören. „Die Kleine hast du echt gut hinbekommen." Er löste seine Hand vom Lenkrad und klopfte Phil anerkennend auf die Schulter. „Wie war ich eigentlich als Kind? War ich sehr unruhig?" Sein Vater schüttelte sofort den Kopf. „Nee, du und Max wart immer am Lesen oder ihr habt mit dem Tablett oder Handy gezockt. Ihr habt mich echt zur Verzweiflung gebracht, weil ihr überhaupt kein Interesse an Fußball hattet. Eure Schwestern waren dagegen die totalen Quirle, die sich dann immer den Ball geschnappt haben. Als ihr dann auch noch die Ponys von den Mädels haben wolltet, war meine Welt und meine Planung total auf den Kopf gestellt. Da habe ich dann aber etwas ganz Wichtiges gelernt, was ich dir gerne weitergeben würde." Also erstens bezweifelte Phil, dass er seinen Vater davon abhalten könnte und zweitens interessierte es ihn wirklich, was ihm sein Vater als Rat mit auf den Weg geben wollte. Vielleicht konnte er ja von ihm lernen, ein guter Vater zu sein. Das war nämlich seit einer knappen Stunde, als seine Tochter ihre Arme um ihn geschlungen und sich an ihn gedrückt hatte, sein höchstes und auch einziges Ziel. „Und was ist das?" „Kinder entwickeln sich nicht nach deinen Wünschen, sondern nach ihren eigenen Anlagen. Du bist nur dazu da, ihnen Möglichkeiten zu bieten und sie dabei zu unterstützen. Mir wird immer ganz schlecht, wenn ich diesen Schwachsinn von wegen my mini me sehe. Wollen die Leute eine Kopie von sich? Dann sollen sie zum 3D Drucker gehen. Jedes Lebewesen hat seinen eigenen Charakter und sollten ihn auch entfalten dürfen, ohne in eine Richtung gezwungen zu werden." Da hatte sein Vater recht. In der Tierwelt vermittelten die Eltern den Jungen auch nur, was sie zum Überleben brauchten. Vielleicht war das gar nicht so verkehrt. „Meinst du, ich bekomme das wirklich alles hin?" Sein Vater grinste ihn breit an. „Na klar bekommst du das hin. Das liegt dir im Blut. Sieh dir Max an. Er meistert das mit den drei Kindern auch gut. Und für ihn war die Situation mit Emilio ja auch nicht viel anders. Er hatte da genauso wenig neun Monate Vorlaufzeit wie du und es hat auch funktioniert." Das stimmte. „Aber er hatte auch Leo." Das war ein großer Unterschied. Die beiden hatten sich, wenn es Probleme gab. Er war aber alleine. „Und du hast Rosa", zwinkerte sein Vater ihm zu. Ja, irgendwie wusste bereits die ganze Welt davon Bescheid, obwohl sie beide noch nicht einmal das wichtigste Gespräch geführt hatten. Und Phil war sich nicht sicher, ob er das überhaupt noch führen wollte. Er hatte jetzt eine Tochter! Das war alles was für ihn wichtig war. Wie sollte Rosa da noch in sein Leben passen? Und wenn sie sich noch einfügen würde, was konnte er ihr schon noch bieten? Seine Kleine hätte immer Vorrang und das würde auch so bleiben. Rosa hatte einfach mehr verdient, als er ihr geben konnte. Und sie war auch noch so jung, dass sie so viel noch erreichen konnte. Auf sie wartete ein ganzes Leben. Ein freies Leben, nicht an einen Mann und ein fremdes Kind gebunden. Phil schluckte. Die Frage war nur, wie er damit klarkam das Richtige für sie zu tun. Das hatte aber noch etwas Zeit. Jetzt brannte ihm erst noch etwas anderes auf der Seele. „Ich muss noch dringend wohin!" Er tippte eine Adresse in das Navi, damit sein Vater den Weg fand.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt