Kapitel 122

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„Ich melde mich dann bei Ihnen, um die Übergabe zu klären, wenn alle Unterlagen zusammen sind." Der spanische Anwalt zog seine Lesebrille von der Nase und wedelte damit herum. „Ich denke, das dürfte so in zwei Tagen der Fall sein. Wir wickeln ja alles per Express ab." Er tippte mit dem Brillenbügel auf den Umschlag vor sich. „Ansonsten habe wir ja jetzt alles besprochen." Das war dann wohl seine Art sie dezent zum Aufbruch zu animieren. Das müsste er gar nicht, denn Phil hatte schon eine ganze Weile einen Fluchtreflex, den er nur unterdrückte. Er sprang aus dem Sessel auf und erntete einen überraschten Blick seines Vaters, der sich aber auch erhob. Sie schüttelten die Hand des Rechtsanwalts, der sie noch bis zur Tür begleitete und traten hinaus in den Gang. „Ich hoffe ich konnte Ihnen trotzdem behilflich sein, wobei ich das Gefühl hatte, Sie wären auch ohne mich klargekommen." Die Dolmetscherin lächelte Phil an. Sie war ungefähr im Alter seiner Mutter. „Sollten Sie noch Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen. Ich helfe Ihnen gerne weiter. Auch falls Sie nicht nur Fragen im sprachlichen Sektor haben. Mein Mann ist auch Rechtsanwalt. Sollten Ihnen also irgendwelche rechtlichen Fragen unklar sein, können Sie sich auch gerne bei mir melden. Ich würde Sie dann an meinen Mann weitervermitteln." Hatte Phil Fragen? Ja, sein ganzer Kopf explodierte fast davon. Aber da würde ihm wahrscheinlich weder eine Dolmetscherin noch ein Anwalt helfen können. Das war doch alles gequirlte Kacke! „Wir werden gerne auf ihr Angebot zurückkommen", antwortete sein Vater für ihn. „Momentan müssen wir aber erst einmal....." „Ja, natürlich müssen Sie das Ganze erst einmal verdauen. Das war ja eine ganz schöne Überraschung würde ich mal sagen. Wer rechnet schon mit so etwas", schnatterte die Dolmetscherin weiter. „Ich glaube, da wäre ich auch ziemlich von ..... wie sagt man das ..." „von der Rolle", schoss es Phil aus dem Mund. Ja, das beschrieb seinen momentanen Gefühlszustand ziemlich deutlich. „Ja genau, von der Rolle", nickte sie zustimmend. „So, ich muss dann auch mal. Wie gesagt, Sie haben ja meine Telefonnummer und können mich jederzeit erreichen." Sie reichte ihnen beiden die Hand und verschwand durch die Eingangstür. „Warum müssen Weiber einem eigentlich immer ein Ohr abkauen?" Phils Vater schaute ihr hinterher. „Aber dank ihr habe ich wenigstens verstanden, worum es ging." Er verzog nachdenklich sein Gesicht. „Zur Übergabe sollten wir sie auf alle Fälle dabei haben. Vielleicht könnte es auch nichts schaden, wenn wir uns von ihrem Mann auch noch die rechtlichen Seiten und Folgen beziehungsweise Möglichkeiten noch einmal unabhängig erläutern lassen." „Wozu? Das hat uns der andere doch eben schon." „Weil man bei einer Sache mit solcher Tragweite nicht gutgläubig sein sollte und nur einer Quelle glauben. Wir sind hier in Spanien und nicht in Deutschland. Du kannst den Spaniern einfach nicht trauen. Da dreht doch jeder Dorfsheriff und Dorfrichter das so, wie er es braucht. Und dann bist du auf einmal geliefert." „Das ist hier EU und ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik." „Das stimmt so nicht. Ich war mal auf den Kanaren und da wachsen definitiv Bananen." Phil schüttelte nur seinen Kopf. Er verspürte gerade nicht die geringste Lust weiter mit seinem Vater zu diskutieren, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Eigentlich wollte er im Moment nicht nur nicht diskutieren, er wollte nicht einmal denken. Am liebsten würde er sich einfach nur ein Kissen über den Kopf ziehen und so tun als wäre das Ganze ein Albtraum, aus dem er gerade erwacht war. So fühlte sich das nämlich an. Er lief wie in Trance schweigend neben seinem Vater her zum Auto, der auch schwieg und scheinbar in Gedanken war.
„Das is ja mal echt 'nen Ding!" Phils Vater saß kopfschüttelnd neben ihm auf dem Fahrersitz. Ja, so konnte man das auch sagen. So langsam wechselte Phils Zustand von Trance in Ungläubigkeit. Er schüttelte auch seinen Kopf und schlug mit seiner flachen Hand auf das Armaturenbrett. „Das kann gar nicht sein!" „Jetzt beruhige dich mal, sonst löst bei dieser Klitschenmietkarre noch der Airbag aus." Das war wohl der Versuch seines Vaters die Situation etwas aufzulockern. „Das kann aber nicht sein!", wiederholte Phill fassungslos. „Komm mal her, mein Junge!" Sein Vater beugte sich mit ausgebreiteten Armen zu ihm. Wann hatte er ihn das letzte Mal mein Junge und nicht Großmaul genannt? Er musste wohl auch unter Schock stehen, genau wie Phil. Er ließ sich in die Arme seines Vaters gleiten. Gerade tat das richtig gut. Egal, dass er schon 27, fast 28 war. Im Moment brauchte er jemanden, der ihm zeigte, dass er mit diesem ganzen Schlamassel, das vor ihm lag, nicht alleine dastand. Zum Glück hatte sein Vater ihn begleitet. Okay, im Moment hätte er auch seine Mutter gerne noch hier. Und Rosa. Verflucht, was würde Rosa zu dem Ganzen sagen? Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Panik stieg in ihm auf. „Ich kann das nicht!" Die letzten Worte waren fast ein Aufschrei. Sein Vater drückte ihn ganz fest an sich und strich mit seiner Hand über seinen Rücken. „Phil, du bist mein Großer, der alles kann. Was meinst du, warum ich so stolz auf dich bin. Du hast deinen Weg ganz alleine gemacht, ohne unsere Hilfe. Du wusstest immer ganz genau, wo es lang geht. Und wenn das jetzt so kommt, dann bist du ja nicht alleine. Diesmal musst du den Weg nicht alleine gehen. Diesmal kannst du dir ruhig unsere Hilfe holen. Du weißt, dass deine Mutter und ich für dich da sind und dich unterstützen. Und deine Geschwister werden dir auch zur Seite stehen. Da bin ich mir ganz sicher." Ja, er hatte seine Familie und Rosa. Das war das einzige tröstliche im Moment.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt