Kapitel 33

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Ein Hämmern, das immer lauter wurde dröhnte trotz der Kopfhörer in Rosas Ohren. Sie linste durch das eine Auge. Über ihr war nur ganz dicht die weiße Rundung des Tomographen zu sehen. Schnell kniff sie wieder ihre Augen zusammen. Nein, sie wollte in dieser komischen Röhre, in die man sie geschoben hatte, nicht auch noch Beklemmungen und Platzangst bekommen. Dieses Hämmern war genauso laut wie die Rotorgeräusche im Hubschrauber, als man sie hierher geflogen hatte. Rosa musste schlucken. Sie war ja nicht dumm. Ihr war schon klar, dass man sie nicht nur zum Spaß auf dieses komische Vakuumkissen gelegt und hierher geflogen hatte. Auch wenn sie dieses ganze Fachchinesisch nicht verstand, das die Leute geredet hatten, war ihr klar, dass mit ihrer Verletzung wohl nicht zum Spaßen war. Wenn es in den Beinen kribbelte und schmerzte, man aber nicht einfach aufstehen konnte, dann musste da schon ordentlich etwas zu Bruch gegangen sein. Verflucht! Sie war doch nur von Dalia geflogen, weil die panisch durchgegangen war. Ja, ihr sonst so ruhiges Mädchen war total panisch gewesen. Das war ja auch kein Wunder. Ein Hund war aus dem Nichts aufgetaucht und hatte ihr erst ins Bein gebissen und sie dann gejagt. Ein ganzes Stück hatte sich Rosa noch im Sattel halten können, dann war sie aber runtergeflogen und Dalia war panisch weitergerannt. Der Hund war immer noch hinter ihr her gewesen. Scheiße! Dalia! Hoffentlich war ihr nichts passiert. Okay, zumindest war sie wieder im Stall angekommen. Ja, Phil hatte ihr das gesagt als sie auf den Hubschrauber gewartet hatten. Dalia war angerannt gekommen und er hatte sich deshalb auf die Suche nach ihr gemacht. Rosa atmete erleichtert auf. Phil war ein guter Tierarzt. Das hieß, wenn Dalia verletzt gewesen wäre, hätte er sie doch zu allererst verarztet und sich dann erst losgemacht, um sie zu suchen. Ja, das wäre garantiert so gewesen. Wenn Dalia Hilfe gebraucht hätte, hätte er sich um sie gekümmert. Er war ja außerdem Reiter und hätte normalerweise damit gerechnet, dass Rosa nach einem Abwurf einfach zu Fuß zurück in den Stall kam. Das hatte sie ja auch gewollt. Aber irgendwie war sie so blöd an diesen Baum geprallt, dass sie sich scheinbar beide Beine gebrochen hatte und nicht aufstehen konnte. Zu allem Überfluss hatte sie dann auch noch feststellen müssen, dass sie ihr Handy wie so oft im Stall hatte liegen lassen. Sie war also nicht einmal in der Lage gewesen Hilfe zu holen und jemand nach Dalia suchen zu lassen. In ihrem Kopf hatte sich ein totaler Horrorfilm abgespielt. Sie hatte an die nahegelegene Autobahn gedacht und befürchtet, dass Dalia in Panik dorthin rennt.....und da fuhren so viele Autos und LKWs . Sofort zog sich Rosas Magen wieder zusammen und sie musste schlucken. Alleine dieser Gedanke brachte sie schon wieder an die Grenzen ihrer Beherrschung. Egal! Es war ja alles gut gegangen. Ja, Phil hatte gesagt, dass Dalia im Stall war und das war das Wichtigste. Sie würde schon auch schnell wieder auf die Beine kommen. Hauptsache ihrem Mädchen ging es gut. Das Hämmern über ihr verstummte und mit einem Surren setzte sich die Liege unter ihr in Bewegung. Wieso machte man überhaupt diese Tomographie? Sie hatte sich doch nur die Beine gebrochen. Reichte da nicht ein einfaches Röntgenbild? „So, das wäre geschafft." Die Krankenschwester lächelte sie freundlich an. „Dann können wir wieder zurück in das Behandlungszimmer." Wie in diesen komischen Krankenhausserien, die ihre Oma immer schaute, zogen die Gänge und der Fahrstuhl im Zeitraffer an ihr vorbei. Dann wurde eine Tür geöffnet und sie wieder in den Raum geschoben, den sie schon kannte. Jedenfalls glaubte sie das. Sicher war sie sich aber nicht. Wahrscheinlich sahen hier alle Räume gleich aus, steril weiß und wenig anheimelnd. Das sollten sie ja aber auch nicht sein. „Ich gehe dann kurz dem Doktor Bescheid sagen, dass wir zurück sind." Rosa nickte der Krankenschwester zu und versuchte sich an einem Lächeln, das ihr aber gründlich misslang. Sie starrte auf die weiße gegenüberliegende Wand. Klar, sollte hier den Verletzten geholfen werden. Sie sollten sich ja nicht wohlfühlen und hier einziehen. Die Räume mussten praktisch sein, nichts weiter. Trotzdem wären sie das doch bestimmt auch, wenn sie nicht nur in weiß, sondern auch in anderen Farben gestaltet wären. Und ein Pferdebild oder ein Kunstdruck mit Landschaft würde sicher die Atmosphäre auflockern. Ja, ein Pferdebild würde ihr ein weitaus besseres Gefühl vermitteln als diese weiße Wand. Ihre Gedanken wanderten zu Dalia, die jetzt ganz alleine im Stall war. Verflucht! Wie lange dauerte das hier denn noch? Sie musste dringend zu ihrer Stute und mit eigenen Augen sehen, dass es ihr gut ging. Rosa wollte die Kleine beruhigen und ihr ein paar Möhren extra geben, um den Schreck zu vergessen. Dalia musste sich im Stall gerade total alleine und verlassen fühlen. Dieser Gedanke machte Rosa fertig und sie spürte, wie sich in ihren Augen Tränen sammelten. Sie musste hier raus und zwar ganz schnell. Das Klappen der Tür ließ sie aufschauen. „Schauen Sie mal, wen ich Ihnen hier mitbringe." Die Krankenschwester schob sich freudig ins Zimmer. Na hoffentlich den Arzt, der ihr einen Gips anlegte und sie dann entließ. Sie wollte jetzt endlich in den Stall zu ihrer Stute und nicht noch länger hier nutzlos herumliegen. Dalia brauchte sie jetzt dringend. „Er hat schon die halbe Notaufnahme verrückt gemacht." Hinter der Krankenschwester tauchte Phil in seinen Reiterklamotten auf und schob sich an ihr vorbei zu Rosa. „Kornblümchen, wie geht es dir?" Er streichelte ihr sanft mit seiner Hand über die Wange und in Rosa breitete sich das Gefühl aus, dass jetzt alles gut würde. Er würde dafür sorgen, dass sie ganz schnell zu Dalia kam. Keiner würde besser verstehen, dass sie so schnell wie möglich dorthin musste.

Schuss und Treffer -  Eigentor   Teil 16      ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt